Konfliktlinien beim EU-Haushalt "sind wesentlich komplexer"

Janis Emmanouilidis im Gespräch mit André Hatting · 22.11.2012
Für den Politik-Analysten Janis Emmanouilidis vom Brüsseler Think-Tank "European Policy Centre" ist die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion in Europa die wichtigste Antwort auf die Euro-Krise. Die Verhandlungen über den EU-Haushalt seien nicht das Entscheidende, sagte er.
André Hatting: Die Euro-Finanzminister haben ihre Beratungen zu Griechenland ergebnislos abgebrochen und vertagt. Heute und morgen geht es in Brüssel wieder ums Geld und wieder dürften es lange und zähe Verhandlungen werden. Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beraten auf ihrem Sondergipfel darüber, wie viel Geld die EU in den nächsten Jahren maximal ausgeben darf. Die Kommission will für die Jahre 2014 bis 2020 eine Billiarde und 91 Milliarden Euro. Vielen Nettozahlern wie Deutschland, Großbritannien und Schweden ist das viel zu viel. Die britische Regierung hat sogar vorsorglich mit einem Veto gedroht. Die ärmeren süd- und osteuropäischen Länder unterstützen dagegen die Kommission, klar, sie profitieren ja auch besonders von den Regionalhilfen. Am Telefon ist jetzt Janis Emmanouilidis, Finanzexperte am European Policy Centre, das unabhängige Forschungsinstitut mit Sitz in Brüssel diskutiert aktuelle Probleme der EU. Guten Morgen, Herr Emmanouilidis!

Janis Emmanouilidis: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Kann man den Konflikt auf die Formel Arm gegen Reich bringen?

Emmanouilidis: Nein, die Konfliktlinien sind wesentlich komplexer. Zum einen gibt es natürlich die Konfrontation – in Anführungszeichen – zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern, es gibt aber in diesen Gruppen unterschiedliche Gruppierungen, wo die einen eher dafür sind, den Agrarhaushalt zu kürzen, andere dagegen möchten eher andere Bereiche gekürzt sehen. Und dann gibt es die wesentlichen Konfliktlinien, das ist 26 gegen einen, und der eine ist das Vereinigte Königreich, das eine ganz besondere Position in diesen Verhandlungen einnehmen wird.

Hatting: EU-Ratspräsident Van Rompuy hat einen Kompromissvorschlag gemacht noch im Vorfeld des Gipfels: 80 Milliarden weniger als von der EU-Kommission gefordert. Damit ist er sehr nahe bei den Vorstellungen, die Deutschland hat. Finden Sie das einen fairen Kompromiss?

Emmanouilidis: Ich glaube, das ist eine Grundlage, auf der man diskutieren kann. Man muss sich aber genauer anschauen, wo man im Vergleich zu den Vorschlägen der Kommission Kürzungen ansetzen will. Also, will man eher in den Bereichen des Agrarhaushalts und der Kohäsionspolitik kürzen oder will man vornehmlich kürzen, wenn es darum geht, Forschung, Entwicklung, Innovation zu fördern? Also, da muss man genau sehen, um welche Art von Kürzungen es sich handelt. Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob dieser Kompromissvorschlag am Ende die Zustimmung der 27 finden wird, und danach sieht es bisher zumindest noch nicht aus.

Hatting: EU-Kommissionspräsident Barroso hat sich im EU-Parlament noch mal leidenschaftlich gegen Kürzungen ausgesprochen. Die Entscheidungen über die zukünftigen Haushalte der EU seien der – Zitat – "Schlüssel für unsere Glaubwürdigkeit". Ist das Pathos berechtigt?

Emmanouilidis: Natürlich muss es da ein gewisses Pathos geben und das ist auch nötig, um in den Verhandlungen auch die Position derer zu stärken, die dafür sind, dass das EU-Budget ein nach vorwärts gerichtetes, modern ausgerichtetes Budget ist, das entsprechend über eine gewisse Größe verfügt. Und Pathos haben wir auch in der Vergangenheit erlebt. Die Frage ist am Ende, ob es Pathos sein wird oder nicht rationale Argumente. Und ich glaube, dass Letzteres überwiegen wird bei der Suche nach einem Kompromiss. Die Frage ist aber, ob man den Kompromiss wird jetzt erreichen können.

Hatting: Es gibt ja auch einen möglichen Trick: Man lässt die Verhandlungen scheitern – denn eigentlich gilt ja hier das Prinzip Einstimmigkeit, also, alle 27 Länder müssen diesem neuen Haushalt dann zustimmen –, wenn man aber die Verhandlungen scheitern lässt, dann führt man einfach die bisherige Finanzplanung weiter, und zwar jahresweise. Was halten Sie davon?

Emmanouilidis: Das ist ein möglicher Kompromiss, eine mögliche Lösung, die auch vorgesehen ist im europäischen Recht. Die Frage ist jedoch, ob man bereits an diesem Punkt angelangt ist oder ob man nicht noch mal versuchen wird, auch wenn der Gipfel heute und morgen – vielleicht sogar dauert er bis Samstag – nicht zu einem Ergebnis führt, dass man sich noch mal zusammenfindet und noch mal einen Versuch unternimmt und erst dann diese Lösung anvisiert. Aber das hängt davon ab, wie sich die Verhandlungen gestalten werden heute und morgen beziehungsweise Samstag.

Hatting: Sie beschäftigen sich an Ihrem Institut ja auch immer mit der Zukunft der Europäischen Union. Hat die eigentlich als Solidargemeinschaft eine Zukunft, wenn beim Thema Geld alle Länder nur national denken und handeln?

Emmanouilidis: Ja, natürlich hat die Europäische Union eine Zukunft. Und das, was wir gegenwärtig erleben, haben wir auch in der Vergangenheit erlebt, und dennoch gab es weiterhin eine Zukunft, auch wenn sich Mitgliedsstaaten nur schwer haben - auch in der Vergangenheit - sich einigen können. Ich glaube, die wesentlich größere Frage ist nicht die Frage einer Abstimmung jetzt im EU-Budget, sondern die Frage, inwieweit man in der Lage sein wird, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion weiterzuentwickeln, vor allem die Wirtschaftsunion weiterzuentwickeln. Und das ist der entscheidende Punkt. Darüber wird zwar nicht beim jetzigen Gipfel, aber beim Dezember-Gipfel debattiert werden. Ich glaube, da werden die entscheidenden Weichen gestellt für die Zukunft Europas.

Hatting: Würde eine solche Wirtschaftsunion mit zentraler Kontrolle der nationalen Haushalte, mit einer Bankenunion und vielleicht so was Ähnliches wie einem europäischen Finanzminister, würde das in Zukunft die Verhandlungen erleichtern?

Emmanouilidis: Nein. Ich glaube, dass ... Da reden wir über separate Dinge. Auch in der Zukunft werden Verhandlungen über das Budget sehr schwierige Verhandlungen sein, denn da geht es um sehr viel Geld. Und da geht es auch darum, dass Mitgliedsstaaten zeigen, dass sie ihre jeweiligen nationalen Interessen unterstützen. Aber wenn man sich einigt mit Blick auf die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion, wird man sicherlich innerhalb der Europäischen Union eine verstärkte Integration sehen. Und diese verstärkte Integration kann Kompromisse in der Zukunft fördern. Aber wenn es ums Geld geht, gibt es immer Ärger und immer Kontroversen in der Mitgliedschaft.

Hatting: Sie haben vor einer Woche an einer Diskussion teilgenommen, Lehren aus der Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre Folgen für die Zukunft der EU. Ist diese Wirtschaftsunion, wäre das die wichtigste Folge und die wichtigste Lehre?

Emmanouilidis: Das ist die wichtigste Lehre. Ich glaube, dass wir über die letzten zwei, drei Jahre gesehen haben, in welcher Form von Verquickung, Interdependenz die Staaten vor allem stecken, die den Euro eingeführt haben, die diese gemeinsame Währung haben, wie sie gegenseitig abhängig sind. Und wenn man in einer solchen Abhängigkeitslage ist, kann man entweder einen Schritt nach hinten tun oder einen Schritt nach vorne. Und ich glaube, der Schritt nach hinten wäre keine ideale Alternative, also muss man den Schritt nach vorne wagen. Das wird natürlich nicht einfach, das wird Jahre dauern, bis man diesen Schritt vollzogen haben wird, aber ich glaube, es ist der Schritt in die richtige Richtung und höchstwahrscheinlich der einzige Weg, um aus dieser Krise herauszukommen.

Hatting: Das war Janis Emmanouilidis, Finanzexperte am European Policy Centre. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch!

Emmanouilidis: Ich danke Ihnen!

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