Komponistin Sinem Altan

Was Schuberts Winterreise mit Anatolien zu tun hat

Die Komponistin Sinem Altan
Die Komponistin Sinem Altan © Anton Tal
Sinem Altan im Gespräch mit Britta Bürger · 18.12.2017
Sie galt als musikalisches Wunderkind. Bereits mit elf Jahren begann Sinem Altan ihr Studium an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin, zog dafür von Ankara nach Berlin. Heute verbindet die 32-Jährige Musik des Abend- und Morgenlandes.
Mit elf Jahren bewarb sie sich an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin - und wurde angenommen, obwohl sie fast kein Deutsch sprach und in der türkischen Hauptstadt Ankara lebte. Dort galt Sinem Altan als musikalisches Wunderkind, das neben der Klavierausbildung auch Komposition lernte, seit es sieben war. Heute, mit 32 Jahren, lebt die Deutsch-Türkin immer noch in Berlin und hat als Komponistin wie Interpretin zahlreiche Preise eingeheimst. Sinem Altans künstlerisches Thema ist die Begegnung von Musiken des Abend- und des Morgenlands:
"Für mich ist genau an dieser Stelle dieser Dialog und auch diese veränderte Wahrnehmung total wichtig, weil genau dann in dieser sogenannten Fusion - oder ich sage auch immer Umarmung der beiden Musikrichtungen - etwas passiert, was auch ein Verständnis von einem Begriff wie Kunstlied von heute entstehen lassen kann."

Musizieren in der Einwanderungsgesellschaft

Und diese "Umarmung" unterschiedlicher Musikstile hat für Sinem Altan gerade in Einwanderungsgesellschaften eine Bedeutung, die über das Musikalische hinausgeht:
"Dieses Neue hat etwas auszusagen auch über die Gegenwart von Europa, von Deutschland, weil diese Geschichten der Menschen, die hierher kommen und etwas mitbringen, sicherlich einen enormen Einfluss haben. Es ist vielleicht sehr weit hergeholt, aber wenn man die Migrationsgeschichten nach USA sich anschaut und wie sich da die Musikkulturen dadurch verändert haben, dann ist dieser Weg sicherlich in Deutschland überhaupt nicht weit."
Ihre besondere Liebe gilt den Liedern von Franz Schubert, die sie in musikalischen Dialog mit der Volksmusik ihrer anatolischen Heimat bringt:
"Was ist an Schubert, was für mich Heimat bedeutet? Und da finde ich dieses ewige Wandern in Schuberts Musik und das Ankommen oder das ankommen Wollen, hat mich schon sehr lange beschäftigt. Und besonders in der ‚Winterreise‘ kommt diese einsame Reise mir sehr nah, was auch in anatolischen Volksliedern und Steppenliedern auch behandelt wird."

Es geht nicht um Herkunft, sondern um Haltung

Mit ihrer Verbindung von Franz Schuberts Musik und anatolischen Volksweisen hat Sinem Altan in Berlin allerhöchstes Interesse geweckt, beim damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck:
"Damals haben wir Schuberts ‚Forelle‘ mit einem Schwarzmeer-Volkslied kombiniert und das fand er ungeheuer wichtig auch für seine Einstellung insgesamt, dass es eben nicht um Herkunft, sondern um Haltung geht."
Und so spielte Sinem Altan im Januar 2017 mit ihrem Ensemble "Olivinn" bei der offiziellen Verabschiedung Joachim Gaucks im Schloss Bellevue vor den versammelten Spitzen von Staat und Gesellschaft. Spätestens da war das Wunderkind aus Ankara endgültig in Deutschland angekommen.
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