Kommunion, Jugendweihe und Co.

Rituale des Übergangs

In allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland begingen nach Ostern katholische Christen, wie auf dem Foto in der Iserlohner St. Hedwigskirche, feierlich die Erste Kommunion.
Erste Kommunion © picture alliance / dpa / Klaus Rose
Von Regina Voss · 20.05.2015
Jedes Frühjahr werden Kommunion, Konfirmation oder Jugendweihen gefeiert. Auch wenn das Bedürfnis nach Ritualen wieder zunimmt, fühlen sich einige Menschen mit den tradierten Festen unwohl.
Lukas: "Vielleicht der Einzugsmoment, der war cool. Als wir halt reingegangen sind, links und rechts diese Eltern- und Menschenmassen."
Anna: "Wie man so gesegnet wird und nur so diesen schwarzen Mantel vor sich sieht."
Maud: "Am Anfang, dass so eine ganz große Spannung da war, als wir so in diesem Kreis standen und auch irgendwie so, nicht heilig, aber so etwas Weihe-, Würdevolles hatte, was dann immer gelöster wurde und fröhlicher. Am Ende sind wir wirklich rüber getanzt über die Glut."
Merle: "Meine Mutter ist in Tränen ausgebrochen, hat sie mir erzählt, und auch bei meiner Schwester habe ich sie weinen gesehen. Ja, für die ist das, glaube ich, was ganz Besonderes. Die hat das gleiche Gefühl, wie man selbst: Ja, jetzt wird sie erwachsen."
Zum Beispiel Lukas, Anna, Maud und Merle – junge Männer, junge Frauen aus Berlin, Qualitz, Heringsdorf, München. Sie alle haben den Übergang von der Kindheit ins erwachsene Leben gefeiert.
Angelika Hirsch: "Jugendweihe, Konfirmation, Firmung und jetzt auch neue, freie Varianten sind natürlich aus dem hervorgegangen, was eine anthropologische Konstante ist: dieses Gestalten des Übergangs von der Kindheit ins Erwachsensein. Das ist nicht der einzige wichtige Übergang im Leben, aber dieser Übergang von der Kindheit und ins Erwachsensein ist irgendwie der Prominenteste."
In allen Kulturen, in allen Zeiten, sagt die Religionswissenschaftlerin Angelika Benedicta Hirsch, gab und gibt es Übergangsrituale, die den Wechsel von einem Lebensabschnitt in den nächsten begleiten. Neben dem Übergang vom Kind zum Erwachsenen geht es auch um Geburt, den Einstieg ins Berufsleben, das Schließen von Ehen und Lebenspartnerschaften und den Tod.
Rituale gestalten diese markanten Übergänge. Sie werden aus dem Alltäglichen herausgehoben und zu Momenten verdichtet, die sich tief in die Erinnerung einschreiben und damit den Lebensweg der Menschen strukturieren.
Diese einschneidenden Momente mit anderen zu teilen und zu feiern und der im Mittelpunkt stehenden Personen eine Rolle bewusst und öffentlich zuzuweisen – auch das gehört zu einem Übergangsritual.
Doch auch wenn die einzelnen Übergangsrituale sehr unterschiedlich gestaltet werden, manche fremd oder exotisch anmuten, besitzen alle eine gleiche, dreiphasige Struktur.
Angelika Benedicta Hirsch: "Die erste Phase ist das Abtrennen von dem Alten, es geht ja darum, was Neues zu beginnen, also muss das Alte beendet werden. Die dritte Phase ist das In-Besitz-nehmen des Neuen, und das Interessante ist, dass es eine Phase dazwischen gibt, wo das Alte nicht mehr richtig ist und das Neue noch nicht ist und das Paradebeispiel für diese Phase dazwischen, das ist die Pubertät."
(Atmo Jugendkeller)
Angelika Hirsch: "Was das Krisenhafte an diesen Übergangssituationen ist, das ist dieser undefinierbare Übergang, diese Liminalphase, wie sie auch genannt wird, also diese Zeit auf der Grenze, wo ich nicht das Eine bin und nicht das Andere bin. Wo ich in einem Niemandsland bin und man ist nicht Fisch, nicht Fleisch."

Konfirmation
Konfirmation in der Dorfkirche Lohmen in Sachsen© dpa / picture alliance / Rainer Oettel
Jugendkeller, Gemeinde am Weinbergsweg
Pfarrer Michael Reinke: "Dann gibt es schöne Musik von unseren Klangfischen."
Jugendliche: "Wer?"
Pfarrer: "Die Klangfische sind unsere Gemeindeband."
Jugendliche: "Klangfische, die Gemeindeband, geile Musik! Cool, die machen geile Musik! (Lachen) Hip-Hop."
Während bestimmte Regeln für Kinder gelten und auch Erwachsene wissen, was sie zu tun oder zu lassen haben, gibt es für die Zeit zwischen den klar definierten Lebensabschnitten keine klaren Regeln. Alles, was bisher als selbstverständlich galt, alle sozialen Normen, wird in Frage gestellt oder boykottiert. Doch die Bewohner dieser Zwischenwelten erleben ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl: Sie bilden eine Gemeinschaft Gleicher. Da kann der Treffpunkt auf den Bänken im Park oder im Netz, auch der Jugendkeller einer Gemeinde eine "communitas" mit eigenen Regeln ausprägen.
Michael Reinke: "Und wir treffen uns am Sonntag um 9.15 Uhr in der Sophiensakristei, da gibt es die Gelegenheit mit frischen Frisuren und gestylten, gestylten Outfits."
"Der Keller", Jugendtreff der Gemeinde am Weinbergsweg in Berlin-Mitte. Drei Tage vor der Konfirmation erklärt Michael Reinke den 30 Mädchen und Jungen, den Konfirmanden, den Ablauf der kommenden Tage:
"Ich glaube, zum großen Teil ist es noch so, dass die Familien sich das wünschen und dass das die Familienkultur ist, dass die Eltern sagen, das gehört zu unserer Familiengeschichte und zu unserer Familie dazu, dass Du konfirmiert wirst."
"Der erste Impuls - das Thema - in den meisten Fällen von den Eltern gesetzt wird, dass die Jugendlichen sich drauf einlassen und in der ersten Zeit ‚maulig' ertragen oder mitmachen und im Laufe der Zeit im besten Fall für sich entdecken."
Michael Reinke ist Gemeindepädagoge im Jugendpfarramt in der Gemeinde in Berlin nahe dem Hackeschen Markt. In einer schmalen Straße, die mit reduziert eingerichteten Cafés und kunstgalerieähnlichen Friseurläden die Neue Mitte gut repräsentiert, liegt etwas zurückgesetzt die Sophienkirche. Bürgerliches Publikum geht hier zum Gottesdienst, die meisten wohlsituiert. Kirche gehört bei vielen irgendwie dazu und Jugendweihe ist hier kaum ein Thema.
Der Osten der ehemaligen Mauerstadt hat sich gewandelt.
Michael Reinke: "Ich nehme es in Mitte eher so wahr, dass der Großteil der Familien aus einer Richtung kommt, in der die Konfirmation eine Rolle spielt. In der auch viele, zumindest mit einem Elternteil oder die Großeltern volkskirchlich sozialisiert sind, oder zumindest eine große Nähe verspüren. Also jetzt, wir merken es als Gemeinde, dass viele Schüler oder auch Jugendliche aus den evangelischen Schulen zu uns kommen."
Auch der 16-jährige Moritz kommt aus der evangelischen Schule um die Ecke.
Moritz: "Ich denke, bei den meisten - für mich kann ich da auch sprechen - eher nicht wirklich ein Entscheidungsprozess ist, sondern eher ein Prozess, der automatisch geht halt."
Auch wenn man halt selbst nicht so religiös überzeugt ist, aber in einer relativ religiösen Familie aufwächst, einfach die Konfirmation mitmacht, ohne da wirklich dahinter zu stehen.
Anna: "Naja, dass es so eine Art Familientradition ist, bei mir ist es definitiv nicht so, bei mir ist es sowieso ein bisschen gespalten. Mein Vater war eigentlich komplett dagegen, meine Mutter war so „Mm", und dann war das einfach meine Entscheidung eigentlich.
Für mich ist auch ein sehr wichtiger Punkt: ja, die Gruppe oder die Leute hier, der Keller, ich bin einfach total gerne hier, ein Ort, wo ich einfach hingehen kann, mit Leuten quatschen kann, Neues kennenlernen kann, das gefällt mir auch extrem an der Gemeinde, das hat dann auch die Entscheidung so ein bisschen erleichtert, wenn das jetzt in einer anderen Gemeinde gewesen wäre, hätte ich vielleicht noch ein bisschen genauer darüber nachgedacht."
Die Familie oder "der Keller" - also die Gruppe - sind hier die zwei häufigsten Antworten, wenn es um die Motivation zur Konfirmation geht. Aber schöne Nebeneffekte, die gibt es auch.
Anna: "Ich glaube, es gibt sogar einige Leute, die Konfirmation nur wegen der Geschenke machen, dass es gar nicht ihr eigener Wille ist, das ist irgendwie schade, aber naja..." (lacht).
Knapp drei Jahre Vorbereitungszeit gibt es in der Gemeinde Am Weinbergsweg. Das ist im Vergleich zu anderen Gemeinden, die sich auf ein oder zwei Jahre Konfirmandenunterricht beschränken, eine lange Zeit. Manche Gemeinden bestehen aber auch auf eine Stempelkarte mit Quittierung der Gottesdienstbesuche.
Doch bindende Voraussetzung für die Konfirmation ist die Taufe. Das "Ja" zum Glauben, dass die Eltern und Paten mit dem Kind im Arm bei der Taufe gesprochen haben, werden die Kinder jetzt als junge Erwachsene selber sprechen. Jetzt sind sie mindestens vierzehn, damit religionsmündig, und können selbst entscheiden, ob und zu welcher Religion sie gehören wollen.
Michael Reinke: "Und letztendlich ist es für viele Familien der klassische Übergangsritus, dass die Familien, die Eltern sich ein Fest wünschen, an dem sie ihre Kinder loslassen und sagen, die Kindheit ist damit abgeschlossen."
Wie der Gottesdienst genau abläuft, erfahrt ihr morgen!
Lukas: "Wirklich Angst habe ich eigentlich jetzt nicht. Ich freue mich einfach auf dies, was da dann kommt. Und ich glaube, es wird schon irgendwie gut gehen, egal, wie schief es geht."
Moritz: "Es geht auch darum, dass man es gemacht hat, ich glaube, es geht nicht darum wie, sondern, dass man es gemacht hat."
Der Konfirmationsgottesdienst
Michael Reinke: "Jetzt geht's los! Herzlich Willkommen in der Sophienkirche! Herzlich Willkommen auch Ihnen, den Familien, den Paten, den Freunden und Verwandten am Weinberg zur Konfirmation 2015!"
Die Kirche ist übervoll. Alle Bänke und auch die Stühle, die noch zusätzlich in den Kirchraum gestellt wurden, sind besetzt. Kinder rutschen hin und her, Frisuren werden gerichtet und mancher schaut wartend auf die Uhr.
Doch jetzt wird es ruhig. Die Gemeinde erhebt sich und die Blicke gehen zur großen Tür: Durch den Mittelgang ziehen die Mädchen und Jungen ein, die heute konfirmiert werden. Manche Jungs sehen in ihren Anzügen jünger aus als noch vor drei Tagen im "Keller", viele Mädchen, geschminkt und frisiert, älter und fraulich.
Michael Reinke: "Und lasst uns einstimmen in das Lied Die güldene Sonne."
Der 40-jährige Pfarrer, der sich im Gottesdienst nicht scheut, unterschiedliche Brillengestelle aufzusetzen, um verschiedene Glaubensansätze zu demonstrieren, ist dankbar, dass die Liturgie, die Gottesdienstordnung, ihm einen festen Rahmen für die Konfirmation bietet. Das Niederknien der Jungen und Mädchen vor dem Altar und die anschließende Segnung, bei der der Pfarrer ihnen die Hände auflegt, sind für ihn Gesten, die diese Stunde überhöhen und aus dem alltäglichen Leben herausnehmen:
"Da hat die Kirche einen Schatz, den andere erst entdecken müssen oder eben neu erfinden. Zugegeben, auch unsere Rituale haben Mühe, Menschen zu erreichen, die mit der Kirche nichts am Hut haben. Und das ist, gerade in Ostdeutschland, eine große und wachsende Zahl. Da stehen andere Anbieter schon längst in der Tür", sagt der Pfarrer und lacht.
Christoph Wulf: "Ich habe mir mal eine Jugendweihe angeschaut, das war auch interessant, wie viele Elemente Ähnlichkeiten haben mit religiösen Feiern. In diesem Fall kam ein Sprecher aus dem Himmel runter, so mit einem Lift, es war fast wie Christus, der auf die Welt kam, und der verkündete, dass sie jetzt in eine neue Lebensphase hineinkommen."
Christoph Wulf, Professor für Anthropologie und Erziehung an der Freien Universität in Berlin, bleibt gelassen, wenn es um die Bewertung der vielfältigen Angeboten geht, die in multimedialen Shows, festlichen Gottesdiensten, schamanischen Anleihen den Übergang vom Kind zum Erwachsenen gestalten. Er sieht die Ähnlichkeiten zwischen den Ritualen:
Christoph Wulf: "Das sind Inszenierungen und Aufführungen, die mit dem Körper gemacht werden. Die Jugendlichen stehen auf, sie werden angesprochen, sie sagen etwas. Die ganze Inszenierung ist eine, die weit über das rein verbale hinausgeht, wo etwas mit der gesamten Existenz gemacht wird, der ganzen Körperlichkeit. Das Gleiche ist natürlich bei einer Konfirmation, sie findet im Rahmen eines Gottesdienstes statt, wo durchaus sakrale Elemente sehr stark sind und sakrale Elemente haben es an sich, dass sie sich sehr stark in die Erinnerung einschreiben."
"Bisschen tiefer den Blumenstrauß... einen halben Meter, 'nen viertel Meter. Und jetzt werfen!"
Jemand ruft: "Wer wird als nächstes konfirmiert?"
Für das Schuljahr 2013/2014 zählt die Evangelische Kirche 250.000 Konfirmationen, die Katholische Kirche nennt 167.000 Firmungen. Das sind circa 51 Prozent der rund 800.000 Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen in Deutschland, auch wenn manche der gezählten religiösen Übergangsrituale in einer anderen Altersstufe stattfanden. Diese Zahl ist seit fünf Jahren stabil.
Auch das Statistische Bundesamt verzeichnet Konfirmationen und Firmungen, doch Angaben zur Jugendweihe macht das Bundesamt nicht. Man muss sich auf die Zahlen der einzelnen Anbieter verlassen: Der größte Anbieter, der Bundesverband Jugendweihe Deutschland e.V., rechnet im Jahr 2015 mit 36.000 Jugendlichen, also mit 4,5 Prozent aller Achtklässler.
Beim zweitgrößten Anbieter, dem Humanistischen Verband, haben sich rund 9000 Jugendliche zur sogenannten JugendFeier angemeldet.
Es bleiben rund 43,5 Prozent der Achtklässlerinnen und Achtklässlern, die an keinem oder an alternativen Formen eines Übergangsrituals teilnehmen.
Glückwunschkarten zur Jugendweihe
Glückwunschkarten zur Jugendweihe© dpa / picture alliance / Jens Büttner
Die 22-jährige Maud lebt mit ihrer Familie auf einem Hof in Mecklenburg. Familie – das sind Susanne, Mauds Mutter, und Mauds Geschwister Carl und Marla, die alle drei im Haupthaus leben. Maud wohnt ein paar Schritte über den Hof mit ihrem einjährigen Sohn im ehemaligen, jetzt ausgebauten Stall.
In der großen Küche des Haupthauses, am Esstisch, erinnern sich Mutter und Tochter an die Initiation von Maud, die eher ein langer Weg und kein punktuelles Ereignis war.
Am Anfang stand ein Wunsch.
Susanne Wetzel: „... dass es schön wäre, wenn die sozusagen eine Begleitung hätten von diesem Kind- zum Jugendlichen sein, die nicht unbedingt mit mir selbst zusammen hängt."
Nein, ich selber wollte mir nichts für meine Kinder ausdenken, ergänzt Susanne Wetzel. Das müssen andere tun, das können die eigenen Eltern nicht übernehmen!
Die Biografie der 49-Jährigen bot für die Initiation der Tochter Maud keine direkten Anknüpfungspunkte. Susanne Wetzel wurde 1982 in Schwerin konfirmiert:
"Das war Kirche im Osten und damit eigentlich die einzige Alternative zu den staatlichen Jugendorganisationen. Ich weiß, dass ich relativ verankert war in diesem Glauben, tatsächlich, also in diesem evangelischen Glauben und dass es für mich wirklich 'ne Bedeutung hatte, dass die Konfirmation damals bedeutet hat: Fest machen im Glauben. Das habe ich damals wirklich gewollt und gewusst. Und ich habe mich bewusst gegen die Jugendweihe entschieden, weil, da damals gab es so Schlagworte: Als Kampfreserve der Partei hat man sich da aufgestellt und wurde sozusagen in die sozialistische Erwachsenenwelt aufgenommen."
Archivaufnahme Jugendweihe, Hörfunk-Mitschnitt von 1976, ab 0:30
"Liebe junge Freunde, seid ihr bereit, als junge Bürger unserer deutschen Demokratischen Republik mit uns gemeinsam getreu der Verfassung für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen und das revolutionäre Erbe des Volkes in Ehren zu halten, so antwortet: Ja, das geloben wir.
Ja, das geloben wir!"
Radiosprecher:
"Das Bekenntnis zur DDR, zur Freundschaft mit der Sowjetunion, zum Sozialismus, zu Fleiß in Schule und Beruf legten in diesem Jahr 284.000 Jugendliche ab. Sie wurden darauf in zehn Jugendstunden vorbereitet mit Themen wie: „Der Sozialismus – unser heute und morgen"," Was heißt heute revolutionär sein?" und „Unsere Jugend ist richtig programmiert" (reißt ab).
Maud: "Na, die beiden Alternativen, die so üblich sind, sind ja Konfirmation oder Jugendweihe und das kam beides für mich gar nicht infrage. Mm. Konfirmation nicht, weil ich nicht kirchlich bin und Jugendweihe ist halt so ein Zirkus, den ich gar nicht mitmachen wollte."
Die 22-jährige Maud entschied sich als Dreizehnjährige für ein Angebot von Elan e.V., einem Verein aus Erfurt:
"Das waren fünf Fahrten, in jeder Jahreszeit eine Fahrt, die gingen ungefähr eine Woche bis zwei Wochen. Und dann noch mal zum Schluss eine Weihefahrt – im nächsten Frühling."
Es ging viel um Mut und Selbsterfahrung, erzählt Maud. Abenteuerreisen, Klettern, Skifahren - aber auch allein sein können. Die Natur war, wie in vielen alternativen Ritualangeboten, Sparringpartner. Doch Maud war vor allem an den Gesprächen interessiert: Was heißt das überhaupt: erwachsen sein? Wie gelingt es, dass das, was ich muss und das, was ich will, sich die Balance halten?
Das abschließende Ritual war ein Feuerlauf.
Maud: "Ich habe mich währen dieses ganzen Ritualablaufs total sicher und gehalten gefühlt und es war total gut. Im Kreis haben sie um ein Feuer gestanden, das den ganzen Tag gebrannt hat. Dann funkelten nur noch die glühenden Reste - und nach und nach hat sich jeder aus der Gruppe gelöst und ist über die Glut gelaufen."
Maud: "Ich glaube, an so einem Ritual ist total wertvoll, dass das, was eigentlich im Innen passiert, so nach Außen deutlich macht. Man läuft übers Feuer, schneidet Sachen durch, was auch immer, ist eigentlich egal. Hauptsache, man kann das Bild nehmen für das, was im Innen passiert und sich dadurch viel bewusster machen, dadurch, dass man das bildlich macht."
Wer sich durchs Netz klickt oder den Ratgebermarkt durchforstet, findet zahlreiche Angebote und Möglichkeiten, den Übergang vom Kind zum Erwachsenen zu gestalten. Individuell zugeschnitten, für Mädchen und für Jungen, unterschiedliche Preiskategorien - alles ist vorhanden. Ein ausdifferenzierter Markt ist entstanden, der das Bedürfnis nach lebensmarkierenden Ritualen befriedigen will. Konfirmation und Firmung und auch die Jugendweihe reichen nicht mehr aus.
Die Ritualkritik der 1960er-Jahre, die vor allem durch die Instrumentalisierung von Ritualen durch die Nationalsozialisten entstanden war und das Stereotype am Ritual ablehnte, hat sich in den 1970er Jahren in eine kritische Begleitung von Ritualen gewandelt.
In den darauffolgenden Jahren kommt es zu einer Ausdifferenzierung der Rituale, die im 21. Jahrhundert in "Rituale im Überfluss" gipfelt: Gesucht wird das individuell zugeschnittene und kreativ gestaltete Ritual zu allen Lebenslagen. Versatzstücke aus der Tradition sind trotzdem zu finden. Und auch der Wunsch, dass das Ritual in einer unübersichtlichen Zeit eine nicht zu hinterfragende Sicherheit bieten möge, bleibt.
Den Handlungen wird auch in diesen "neuen" Ritualen einen Sinn zugesprochen, der über das Tun hinausreicht. Doch diese unsichtbare Ressource wird oft dem Einzelnen, nicht einer Gruppe zugesprochen: Damit passen diese Rituale zur zeitgenössischen Mentalität.
Es bleibt die Frage: Wenn jeder sein Ritual selbst designt, wo ist dann noch das Ritual?
Angelika Hirsch: "Dass überhaupt in diesem Alter etwas gemacht wird für die Jugendlichen und dass man das Gefühl hat, man muss das machen. „Das macht man so!", sagen wir - das ist eigentlich die beste Begründung für ein Ritual. Das hat man schon immer so gemacht, deshalb machen wir das auch. Die Geschenke, das gemeinsame Essen, die Musik – viele Elemente gehören zu diesem „Das macht man so!"
"...das erste Mal Trinken und nicht selten sich auch Betrinken - das ist eine uralte Form, das ist nicht das Besäufnis bei der Bude um die Ecke, auf der Straße, sondern, das hat was Kultisches, das ist in Jahrhunderten in unserer germanischen Tradition ist dieses Minnetrinken in feierlichen Momenten, das gemeinsame Trinken - das hat eine ganz hohe Wichtigkeit und deshalb ist auch dieses Entgleitende, was oft auch dabei ist, das gehört auch dazu. Da muss man sich gar nicht so drüber aufregen."
Heringsdorf
Anke Möhring: "Geplant ist, was trinkst Du? Wie heißt das?"
Malte Möhring: "Becks. Also, meine Mutter meinte, in ihrer Anwesenheit darf ich eine Flasche Becks trinken und meine Schwester meinte, wenn meine Mutter nicht da ist, reden wir nochmal und..."
Anke Möhring: "Ich weiß, dass bei meiner Schwester die Kinder ihr erstes Bier da offiziell mal trinken durften. Aber dieses Becks ist ja irgendwie noch was gemischt... kein pures Bier, das ist so ein Gemisch."
Insel Usedom, im kleinen Dorf Pudagla: Anke Möhring, studierte Ökonomin, sitzt mit ihrem 14-jährigen Sohn Malte am Küchentisch. Im Gespräch über Maltes Jugendweihe schauen sich Mutter und Sohn immer wieder an, nicht, um zu kontrollieren, ob auch alles „okay" ist, was sie so sagen – nein, es gibt eine Nähe zwischen den beiden, die in den Blicken deutlich wird.
Als 2009 die Jugendweihe der Tochter Lisa in einer Turnhalle stattfinden soll, mischt Anke Möhring sich ein. Der Ort entsprach einfach nicht dem Anlass, sagt sie.
Sie meldet sich beim Verein Jugendweihe Mecklenburg-Vorpommern und organisiert, dass der Festakt im prunkvollen Kaisersaal des Maritimhotels in Heringsdorf, vis-à-vis der Küstenpromenade stattfindet.
Seitdem organisiert Anke Möhring die Jugendweihen auf der Insel Usedom mit, die hier ausschließlich vom Verein Jugendweihe Mecklenburg-Vorpommern angeboten werden.
Auch bei der Jugendweihe von Sohn Malte wird die Mutter den Jugendlichen Urkunden und Blumen den Jugendlichen überreichen. Bis auf vier werden alle 18 Mitschülerinnen und Mitschüler von Malte auf der Bühne stehen.
Anke Möhring: "Und ich dem Kind halt auch die Gelegenheit geben wollte, dass mal ein Tag direkt speziell nur für ihn da ist. Es wird ja sich wirklich nur um dieses eine Kind gekümmert und mal richtig gewürdigt."
Fotos hat sie herausgesucht, damit Freunde und Verwandte Maltes Lebensweg erinnern können. Aber auch die Zukunft spielt in ihren Gedanken eine Rolle.
Anke Möhring: "Meines Erachtens nach, dass die Jugendlichen begreifen, dass sie eben einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Dass das auch irgendwo wirklich im Kopf dann auch - wie so ein kleiner Hebel - umgesetzt wird, dass würde ich mir auch halt wünschen von der ganzen Veranstaltung: Bis eben waren sie doch noch Kind, ach Mensch, du hattest ja Jugendweihe gehabt. Du könntest jetzt doch ein bisschen mehr Verantwortung übernehmen?"
Dass die Jugendweihe zu DDR-Zeiten instrumentalisiert wurde, ist für Anke Möhring kein Problem. Familientradition, sagt sie und verweist außerdem auf die viel tieferen Wurzeln der Jugendweihe.
"Und das wird auch morgen in der Rede deutlich zur Sprache kommen, dass es keine Erfindung der DDR ist und da werden sie ein Raunen in dem Saal hören, von den Eltern, die das noch nicht gehört haben."
Der Begriff Jugendweihe taucht 1852 das erste Mal in freireligiösen Kreisen auf. Eduard Baltzer, ein aus der evangelischen Kirche ausgetretener Pfarrer und Freidenker, gilt als Gründungsvater.
In der Weimarer Republik bekommt die "Confirmationsersatzfeier", wie sie oft genannt wird, vor allem Zulauf aus Freidenkerkreisen und der Arbeiterbewegung. Konfessionslose Jugendliche feiern damit ihre Schulentlassung und den Übergang ins Berufsleben – zu diesem Zeitpunkt mit 14 Jahren. Die Nationalsozialisten verbieten die kommunistischen und sozialdemokratischen Ausformungen der Jugendweihe und führen die „Verpflichtung der Jugend" ein. Nach Kriegsende wird die Tradition vor allem in den westlichen Besatzungsgebieten wieder aufgenommen. Doch als die Jugendweihe ab 1955 in der DDR zum sozialistischen Bekenntnis wird, sinken die Zahlen auf Westseite rapide.
Die DDR-Bevölkerung reagiert auf die Einführung der Jugendweihe zunächst verhalten, Jugendweihe und Konfirmation werden oft einfach parallel gefeiert. Doch in den 1960er und 1970er Jahren wird die Weihe zum Selbstläufer. Hauptgrund war, dass ab 1956 der berufliche Erfolg eines Jugendlichen an die Teilnahme an der Jugendweihe gekoppelt war. Formal freiwillig, wurden Jugendliche, die sich gegen die Jugendweihe entschieden, fast ausschließlich nicht zur Erweiterten Oberschule zugelassen: Abitur und Studium wurden damit unmöglich.
Gegen Ende der DDR nehmen 95 Prozent der Jugendlichen der achten Klassen an der Jugendweihe teil.
Möhring: "Dieses Einstellen auf den politischen Staat, das hat man als Jugendlicher nicht so bewusst mitbekommen bzw. man hat das nicht so empfunden. Das war ebenso, da hat man sich gar keine Gedanken drüber gemacht."
Nach der Wende verzichtet man auf die sozialistischen Inhalte, die humanistischen Wurzeln der Jugendweihe werden betont. Doch organisatorisch nutzt man gern die vorhandenen Strukturen: Ehemalige SED-Funktionäre wollen das Jugendweiheritual retten oder zumindest weiterhin ein Ritual anbieten, dass sich an konfessionslose Familien richtet. Der Bundesverband Jugendweihe Deutschland entsteht und entwickelt sich zum größten Anbieter.
Zweitgrößter Anbieter ist der Humanistische Verband. Mit dem Namen JugendFeier grenzt er sich von der jüngsten Geschichte der Jugendweihe deutlich ab.
Beide Veranstalter, Jugendweihe Deutschland e.V. und der Humanistische Verband, haben ihre größten Marktanteile im Osten der Republik.
Friedrichstadtpalast
Eine Woche später, nach der Jugendweihe auf Usedom, feiert der Humanistische Verband in Berlin, knapp einen Kilometer entfernt von der Sophienkirche, im Friedrichstadtpalast seine JugendFeier-Auftaktveranstaltung: 400 Mädchen und Jungen werden an diesem Vormittag hier ihre Feier erleben: Ein bombastisches Event, das mit Lasershows, Breakdancern, Bands, Spielszenen aus dem Alltag der Jugendlichen, Videogrußbotschaften von Schauspielern und Politikern vor allem auch eine logistische Herausforderung ist.
In kleinen Gruppen werden die Mädchen und Jungen kurz vorher in den Ablaufplan eingeweiht.
"Wenn dann euer Name aufgerufen wird – ich gehe in der Zwischenzeit schon vor die Säule – dann bitte, Johnny, die paar Schritte nach vorne kommen, einmal nett lächeln in die Runde sozusagen. Dann werde ich Dir eine Rose übergeben, dir nochmal kurz gratulieren und dann wirst du von den Tänzerinnen und Tänzern nach hinten auf die Bühne gebracht, bis wir wieder runter gehen."
Später werden die Eltern, Geschwister und Großeltern über eine riesige Videoleinwand verfolgen, wie ihrem Kind, Enkel, Bruder oder Schwester vorne auf der Bühne eine Rose überreicht wird.
Dann verschwindet es wieder, das Kind, tritt lebensgroß zurück in die Gruppe der anderen Jugendlichen, die wartend am Bühnenrand stehen - teilweise Mitschülerinnen und Mitschüler, teilweise Unbekannte. Jetzt sind sie - so heißt es - aufgenommen in den Kreis der Erwachsenen.
Maud: "Das ist so eine Spannung, die wir auch bei diesem Feuerlauf gespürt haben, die aber in der normalen Jugendweihe noch mit drin steckt, dieses: Jetzt passiert irgendein besonders wichtiger Schritt! Ich gehe in eine neue Zeit hinein."
Angelika Hirsch: "Und das heißt natürlich nicht, dass ich danach „zack-bumm" erwachsen bin, das Entscheidende ist, wenn es gut gelungen ist, wenn es eine gute Phase der Vorbereitung war und wenn dies Fest in einer guten Weise gestaltet ist, dann ist es wirklich für alle Beteiligten klar, dass eine Veränderung stattgefunden hat und das von heute an wirklich etwas anders ist und das kann wirklich (am Ende) eine deutliche Zäsur sein im Leben."
Maud: "Ich glaube aber, dass es oft eine Enttäuschung danach kommt. Dieses, das war es jetzt? Wo bin ich denn jetzt? Warum fühle ich mich immer noch wie vorher?"
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