"Kommt uns nicht mit Fertigem"

Von Johannes Kirsten · 27.11.2012
Ein Jahr nach dem Bau der Mauer rief der Dichter Stephan Hermlin im Namen der DDR-Akademie der Künste junge Leute dazu auf, unveröffentlichte Gedichte einzusenden. Die Aktion wurde zur Initialzündung für eine Bewegung, die als "Lyrik-Welle" in die Literaturgeschichte eingehen sollte.
Der Dichter Stephan Hermlin hat im Herbst 1962 - ein gutes Jahr nach dem Mauerbau - im Namen der DDR-Akademie der Künste junge Leute aufgerufen, unveröffentlichte Gedichte einzusenden. Unter dem Titel "Junge Lyrik - unbekannt und unveröffentlicht" fand daraufhin im Dezember in der Akademie am Berliner Robert-Koch-Platz ein einmaliger Lyrikabend statt. Er wurde zur Initialzündung für eine Bewegung, die dieser Gattung in den folgenden Jahren eine ungeahnte Aufmerksamkeit einräumte und als "Lyrik-Welle" in die Literaturgeschichte eingegangen ist.

Aus einer Flut von Zuschriften wählte Stephan Hermlin 63 Gedichte aus und lud die angehenden Dichter in die Akademie ein, darunter Rainer und Sarah Kirsch, Wolf Biermann und Volker Braun. Ein ganz neuer Ton hielt Einzug in die Institution und in die Literatur. Nach der Lesung eröffnete Hermlin eine Diskussion, die in den Archiven der Akademie aufbewahrt ist. Überraschend waren Freizügigkeit und Leidenschaft, mit der hier gestritten wurde. Dies blieb für einige Beteiligte nicht ohne Folgen, aber der Keim war gelegt und der Siegeszug der Autoren, von denen einige zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikern zählen, nicht mehr aufzuhalten.

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