Kommentar zum Fall Puigdemont

Niemand darf wegen unbequemer Meinungen verfolgt werden

Ein Transparent mit der Aufschrift "Free Puigdemont" hängt am Zaun der Justizvollzugsanstalt in Neumünster in Schleswig-Holstein, in die der ehemalige katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont nach seiner Festnahme gebracht wurde
Ein Transparent mit der Aufschrift "Free Puigdemont" hängt am Zaun der Justizvollzugsanstalt in Neumünster in Schleswig-Holstein, in die der ehemalige katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont nach seiner Festnahme gebracht wurde © picture alliance/ dpa/ Markus Scholz
Von Burkhard Birke · 30.03.2018
Ein deutsches Gefängnis ist der falsche Ort, um die innenpolitischen Probleme Spaniens zu lösen, so Burkhard Birke zum Fall des inhaftierten Carles Puigdemont. Ein komplexer politischer Konflikt könne nicht mit strafrechtlichen Mitteln aus der Welt geschafft werden.
Es ist Zeit sich einzumischen, klar Position zu beziehen und auf eine Verhandlungslösung einzuwirken. Denn auch der Kanzlerin dürfte es allmählich dämmern, dass der Weg ihres in Madrid regierenden Parteifreundes Mariano Rajoy ein Irrweg ist.
Rajoy setzt auf die Justiz. Die verfolgt mit kaum nachzuvollziehender Härte sämtliche Separatistenführer, bringt sie hinter Gitter. Mehr als ein Dutzend ehemalige Minister und Politiker sind mittlerweile inhaftiert. Hinzu kommen die beiden Jordis, die Führer der zivilen Unabhängigkeitsbewegungen.

Wie unabhängig ist die spanische Justiz?

Zweifel an der Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit des spanischen Justizsystems dürfen geäußert werden. Die Richter werden indirekt vom Parlament bestimmt. Nach teilweise fast fünf Monaten Haft sind die Verfahren noch immer nicht formell eröffnet worden. Das erinnert eher an Länder wie die Türkei! Natürlich haben die Separatistenführer, hat Carles Puigdemont als Regionalpräsident gegen die spanische Verfassung verstoßen. Sie haben ein vom Verfassungsgericht für illegal erklärtes Referendum über die Frage der Unabhängigkeit Kataloniens abgehalten.
Diesen Verstoß gegen die Verfassung mit Rebellion und Aufruhr gleichzusetzen scheint gewagt. Denn damit dieser für Putschisten geschaffene Straftatbestand nach spanischem Recht greift, ist Gewalt Grundvoraussetzung. Friedfertiger und gewaltloser als die katalanischen Separatisten kann man jedoch kaum vorgehen. Erst nach der Verhaftung Puigdemonts sind einige radikale Kräfte dieser Tage ausgerastet und gewalttätig geworden. Auch das sollte zu denken geben.

Wie vergleichbar sind "Hochverrat" und "Rebellion"?

Die Lage in Katalonien wird immer angespannter, je länger die Konfliktlösung auf sich warten lässt. Seit November hat Madrid die Kontrolle übernommen. Bei demokratischen Wahlen haben die Separatisten zwar keine absolute Stimmen-, aufgrund des Wahlsystems aber erneut eine Sitzmehrheit im Parlament erzielt. Sie wollten und wollen Puigdemont wieder zum Präsidenten wählen. Seine oder die Wahl eines anderen radikalen Separatisten versucht Madrid mit allen juristischen Möglichkeiten zu verhindern. Wie lange soll dieses Spiel noch fortgesetzt werden?
Jetzt sitzt der Wunschkandidat für das Präsidentenamt in Schleswig Holstein im Knast und wartet auf eine Entscheidung. Er kann nur ausgeliefert werden, wenn die ihm zu Last gelegten Taten auch nach deutschem Recht strafbar sind. Sind Rebellion und Aufwiegelung mit Hochverrat gleichzusetzen? Veruntreuung öffentlicher Gelder?

Eine Flucht würde Puigdemont diskreditieren

Selbst für den vielleicht einzig plausiblen Anklagepunkt der Zweckentfremdung öffentlicher Gelder etwa für das verbotene Referendum konnte spanischen Medienberichten zufolge die Zentralregierung in Madrid bislang keine Beweise erbringen. Kurzum: Der Eindruck verstärkt sich, dass die Verfolgung Puigdemonts vor allem politisch motiviert ist.
Natürlich ist die Justiz unabhängig. Sie muss die Zulässigkeit des Auslieferungsgesuchs prüfen und tut dies mit vielleicht übertriebener Härte. Weshalb lassen die Schotten die frühere katalanische Bildungsministerin in gleicher Lage auf freiem Fuß bis zur Klärung, und weshalb musste Puigdemont hinter Gitter? Eine Flucht würde ihn diskreditieren. So wird er, der in Katalonien auch unter Separatisten längst nicht unumstritten ist, zum Märtyrer und erneut Fokus der Aufmerksamkeit.

EU und Deutschland sollen auf Spanien einwirken

Bundesjustizministerin Barley müsste, selbst wenn das Gericht ihn ausliefern wollte, dagegen entscheiden. Puigdemonts Anwalt, kein geringerer als Wolfgang Schomburg, hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass in Europa niemand verfolgt werden darf, weil er eine unbequeme Meinung oder einen Volksentscheid durchgeführt hat.
Die Bundesregierung und die EU sollten auf Spanien einwirken, dass dort wirklich rechtsstaatliche, faire Prozesse stattfinden, dass endlich über ein verbessertes Autonomie- und Finanzstatut für Katalonien verhandelt wird und endlich eine Verfassungsreform mit der Möglichkeit eines Referendums für Autonomieregionen eingeleitet wird. Denn nur das Ergebnis eines Referendums würde von vier Fünfteln der Bewohner Kataloniens akzeptiert und den Konflikt auf Dauer lösen.
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