Komische Oper Berlin: "Anatevka"

Ein Stück auch über unsere Zeit

Sänger Max Hopp sitzt als Milchmann Tevje im Musical "Anatevka" in der Komischen Oper in Berlin auf einem Milchwagen.
Sänger Max Hopp als Milchmann Tevje im Musical "Anatevka" in der Komischen Oper in Berlin © picture alliance / XAMAX / dpa
Uwe Friedrich im Gespräch mit Mascha Drost · 04.12.2017
Barrie Koskys Neuinszenierung von "Anatevka" in der Komischen Oper Berlin ist ein Stück zum Lachen und Weinen. Da es um Flucht und Vertreibung gehe, passe es gut in die Jetzt-Zeit, sagt unser Kritiker. Restlos überzeugt hat ihn das Musical jedoch nicht.
Am gestrigen Sonntag feierte die Komische Oper ihr 70-jähriges Bestehen, und zwar mit einem Werk, das bis heute die meisten Vorstellungen hat, nämlich "Anatevka" oder "The fiddler on the roof". Mehr als 500 Mal wurde es in der legendären Inszenierung von Walter Felsenstein gespielt - und der Regisseur wachte mit Argusaugen über jede Vorstellung. Jede Neuinszenierung wird also ähnlich kritisch begutachtet werden, auch diese von Intendant Barrie Kosky – in unserem Fall kritisch begutachtet von Opernkritiker Uwe Friedrich.

Relativ schwache Geschichte

Es sei das Stück zu unserer Zeit, sagt Friedrich, da es um Flucht und Vertreibung geht. In seiner Geburtstagsrede betonte Barrie Kosky, dass man in Deutschland bei diesem Stück, das mit einem Pogrom endet, natürlich an den Faschismus denken müsse. Aber man müsse auch etwas tun, weshalb im Anschluss für die Flüchtlingshilfe gesammelt wurde. Barrie Kosky hatte ein Stück zum Lachen und zum Weinen angekündigt - und das habe er auch eingehalten.
Der Jubel war groß, zu Recht, wie Uwe Friedrich meint - der aber trotzdem nicht ganz glücklich war: "Das Stück ist doch relativ lang, die Geschichte aber relativ schwach: Der Milchmann Tevje, der an der Tradition festhalten will, dann aber doch Neuerungen zulässt, seine Töchter anders verheiratet, als er das möchte, und die dritte dann aber verstößt und für tot erklärt."

Rolle des Tevje mit Schauspieler besetzt

Das Bühnenbild besteht aus einer Wand aus Schränken, in denen die Tradition verwahrt ist. Wenn das Pogrom kommt, sind diese Schränke nur noch der Sperrmüll, der geplündert wird. "Für das Bühnenbild fallen Rufus Didwiszus sehr schöne und sehr starke Bilder ein", so Friedrich.
Die Betonung liegt auch auf Musik-Theater: Die Rolle des Tevje wurde nicht mit einem Sänger, sondern einem Schauspieler besetzt, "mit dem absolut famosen Max Hopp, einem klugen, wunderbaren, auch demütigen Schauspieler, der sagt, es sei so eine Freude, mit diesen Opernsängern zusammenzuarbeiten". Das Lied, in dem er als Tevje seine Tochter Havele beklagt, als Tote, weil sie einen Nichtjuden heiratet, kann extrem kitschig sein, weil es bei Puccini abgeschaut ist, "mit Streicherglutamat, sing mit den Streichern mit und dreh richtig auf", sagt Uwe Friedrich. "Aber Hopp hält das extrem zurück. Das war sehr bewegend, sehr berührend." Das gelte auch für das restliche Ensemble.
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