Kohl trifft Orban

Die Oggersheimer Bungalow-Revolte

Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl (l.) legt bei einer Wahlkampfveranstaltung in Gyor im Jahr 2002 den Arm um den ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban.
Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl (l.) bei einer Wahlkampfveranstaltung im Jahr 2002 mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban. © picture-alliance / dpa / epa Bertleff
Von Stephan Detjen · 19.04.2016
Altbundeskanzler Helmut Kohl trifft sich mit Ungarns umstrittenen Premierminister Victor Orban in seinem Haus in Oggersheim. Das Treffen wird stilisiert als Spitze gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel und deren Flüchtlingspolitik.
Auf europäischer Bühne wird er zuweilen wie das Schmuddelkind aus Budapest behandelt. "The dictator is coming" – der Diktator kommt, raunte EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker vor laufenden Kameras, als er Viktor Orban vor einem Jahr bei EU-Osteuropagipfel in Riga auf ihn zuschritt:
Juncker: "The dictator is coming."
Orbans nationalistische Rhetorik, seine umstrittenen Verfassungsreformen und Presseeinschränkungen haben den ungarischen Premierminister zu einer Reizfigur gemacht, in Brüssel nicht weniger als in Berlin.

Ungebrochene Männerfreundschaft

Im Oggersheimer Bungalow dagegen soll heute eine ungebrochene Männerfreundschaft gepflegt werden. Sie begann Ende der neunziger Jahre als politisches Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Helmut Kohl am Ende seiner Kanzlerschaft und Viktor Orban als jungem Hoffnungsträger seiner damals pro-europäischen Reformbewegung Fidesz.
Heute ist Orban die politische Leitfigur europäischer Nationalpopulisten und Europaskeptiker von Marine LePen in Frankreich bis zur AfD in Deutschland. Und auch die CSU lud den ungarischen Premierminister auf dem Höhepunkt der unionsinternen Flüchtlingsdebatte demonstrativ zur Klausurtagung:
Orban: "The Problem is not a european problem, the problem is a german problem.”
Das Problem ist nicht ein europäisches, sondern ein deutsches Problem, hatte Orban Angela Merkel entgegengehalten, während die Bundeskanzlerin für eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise warb. Auch das Treffen in Oggersheim wird jetzt – gezielt offenbar auch aus Kohls Umfeld – als Spitze gegen Merkel stilisiert.

Gemeinsamer Arbeitsprozess mit Ehefrau

Angekündigt vor zwei Wochen in der "Bild Zeitung" erscheint unmittelbar davor im Berliner "Tagesspiegel" ein Text unter Kohls Namen, der sich als Kritik an Merkels Ungarn-Entscheidung vom letzten September lesen lässt: "Einsame Entscheidungen, so begründet sie im Einzelnen erscheinen mögen, müssen der Vergangenheit angehören", heißt es da, ohne dass Merkel beim Namen genannt wird. Der Text ist das Vorwort zur ungarischen Ausgabe eines Europa-Manifests, das Kohl vor eineinhalb Jahren selbst vorstellte, auf offener Bühne mit seinen sprachlichen Einschränkungen ringend:
Kohl: "Wir brauchen wieder mehr europäischen Gemeinsinn und Gemeinschaftsgeist."
Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl und seine zweite Ehefrau, Maike Kohl-Richter (2014)
Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl und seine zweite Ehefrau, Maike Kohl-Richter (2014)© picture alliance / dpa / Arno Burgi
Angesichts seiner schweren Gebrechen wird immer wieder gefragt, in wie weit die unter seinem Namen erscheinenden Texte überhaupt dem Altkanzler zugerechnet werden können. Kohls Ehefrau, Maike Kohl Richter, gab bei der Buchvorstellung im November 2014 einen Einblick in den gemeinsamen Arbeitsprozess:
Kohl-Richter: "Er hat – wie hast Du gesagt? – Du hat das alles im Kopf. Mein Mann hat das im Kopf. Ich geh dann in die Archive, suche ihm raus, was er im Kopf hat. Und dann lege ich ihm schrittchenweise die Dinge vor und dann redigiert er wie früher und dann sagt er 'das will ich sagen', 'das will ich nicht sagen' und 'das will ich anders sagen'."

"Meistens gibt er ihr Recht"

Auch Jean Claude Juncker, einer der ältesten europapolitischen Weggefährten Kohls, ist regelmäßig im Oggersheimer Bungalow zu Besuch und berichtet:
Juncker: "Ich habe mit ihm richtige Gespräche. Und wenn er müde wird, dann sag ich ihm, den Satz, den ich denke und wenn seine Frau Kohl-Richter, Maike, nicht einverstanden ist, dann sagt sie das auch. Das kommt öfters vor. Und dann macht Helmut Kohl – er zeigt dann entweder auf seine Frau oder auf mich und dann ist der Satz der, der von dem gesprochen wird. Und meistens gibt er ihr Recht."
Die Artikulationsprobleme Kohls dürften nach seinem gesundheitlichen Rückfall im vergangenen Jahr eher zugenommen haben. Was auch immer heute von dem Treffen in Oggersheim nach außen dringt – es dürften sich die Töne eines neuen europäischen Nationalismus und das schwer zu entschlüsselndes Echo eines europäischen Geistes aus dem letzten Jahrhundert überlagern.
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