Knochenjob Landarzt

Von Almuth Knigge · 22.07.2008
In den nächsten fünf Jahren gehen in Mecklenburg-Vorpommern rund 53 Prozent der Allgemeinmediziner in Rente, so die Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung im Nordosten. 2010 werden 300 Hausärzte und auch 200 Fachärzte fehlen. Für die wenigen noch praktizierenden Hausärzte bedeutet das: Überlastung, immer mehr alte und chronisch kranke Patienten.
"Na, wie geht Ihnen das so?"
"Na, gut nicht Herr Doktor…"
"Wieso nicht, …"

Hausbesuch auf Rügen.

"…was plagt Sie denn?"
"Die Erkältung so sehr, und es will nicht besser werden."

Seit morgens um acht ist Uwe Rülow auf der Insel unterwegs zu seinen Patienten. 20 werden es am diesem Tag sein - 12 Stunden ist er unterwegs, knapp 100 km ist er am Ende des Tages gefahren.

"Na, da müssen wir wohl mal schärfere Geschütze auffahren."

Uwe Rülow gehört zu einer seltenen Gattung, Er ist jung - gerade 35 Jahre alt - und Allgemeinmediziner in Mecklenburg-Vorpommern. Zweimal in der Woche macht der Doktor Hausbesuche, nach den Sprechstunden in seiner Praxis in Bergen kommen oft noch Stunden dazu, die er mit dem Ausfüllen von Formularen beschäftigt ist. 40-Stunden-Woche? Ein Traum.

"Das spielt sich eher so in dem Rahmen um und bei 60 ab und es wird mehr als weniger. Und dann fängt es auch manchmal an belastend zu werden."

Die meisten seiner Patienten spiegeln die demografische Entwicklung des Landes wieder. Sie sind alt, sie sind krank - und allein. Oft ist Uwe Rülow auch Seelsorger

"Die wissen schon nicht, was wir fachlich können, das können sie nicht beurteilen. Was sie beurteilen können ist, hören wir zu und nehmen wir das ernst, was sie erzählen und machen nicht nur so nach Vorschrift, Blutdruck gut, Herz gut und tschüss. Sie müssen sich auch mal einen Augenblick hinsetzen und reden."

In den nächsten fünf Jahren gehen in Mecklenburg-Vorpommern rund 53 Prozent der Allgemeinmediziner in Rente, so die Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung im Nordosten. 2010 werden 300 Hausärzte und auch 200 Fachärzte fehlen, rechnet Andreas Crusius, Präsident der Landesärztekammer vor.

"Gehen Sie mal nach Anklam, wo es kein Kino mehr gibt, wo die Kinder nachmittags keine Beschäftigung mehr haben. W wer soll da als junges Arztehepaar hingehen, wenn das soziale Umfeld nicht stimmt?"

Auch der Verdienst ist im Osten immer noch geringer als im Westen. Privatpatienten, die das meiste Geld bringen, gibt es in Mecklenburg-Vorpommern kaum. Bei Uwe Rülow sind es weniger als ein Prozent. Bluthochdruck, Grippeimpfung, Diabetes, Arthrose - das ist der Alltag von Dr. Rülow. Die jungen Gesunden, die sind weggegangen aus dem Land, übrig sind die alten, chronisch kranken Schmerzpatienten. Das heißt auch - immer weniger Ärzte müssen immer mehr Hausbesuche machen - bei übervollen Praxen. Eine Entwicklung, der der junge Arzt mit Grauen entgegensieht.

"Das darf ja kein Zuschussgeschäft werden , letztlich ist es neben aller Berufung ja auch noch ein Beruf, und damit verdient man das Geld zum Leben, bums, ne."

Die Lösung könnte Agnes heißen - eine Abkürzung für Arztentlastende, E-health-gestützte Intervention. In den neuen Bundesländern übernehmen speziell ausgebildete Telemedizin-Schwestern die Routine-Hausbesuche der Ärzte, prüfen Blutdruck, nehmen Blut ab, schauen nach dem Rechten. Für die Patienten ein Gewinn - allein - die kassenärztliche Vereinigung prüft noch, ob dies zur Regel werden kann.