Knie-OP: Wann ist sie wirklich nötig?

Von Sigrun Damas · 05.06.2011
Die Schlüsselloch-Operation am Knie ist die zweithäufigste Operation in Deutschland überhaupt. Doch jetzt denkt die Fachwelt allmählich um. Muss der Eingriff wirklich immer sein? Und bringt er immer Linderung?
Er hat einen anstrengenden Job, ist Manager eines mittelständischen Betriebs. Um Dampf abzulassen, geht Wolfgang Bode deswegen gern joggen. Er liebt lange Crossläufe durch den Wald. Aber mit der Entspannung ist es irgendwann vorüber: Der 58-Jährige bekommt beim Laufen Knie-Schmerzen. Als sie stärker werden, geht er zum Arzt. Der macht eine Kernspin-Aufnahme und stellt die Diagnose: Arthrose, also Knieverschleiß:

"Und dann kam die Aussage, ich sollte mich möglichst schnell operieren lassen. Ich hätte Schäden im Knie: am Meniskus, die Bänder nicht in Ordnung, Knorpelschäden. Ich sollte schnell handeln, damit es nicht noch schlimmer wird. Und dann kam die Aussage: Erst mal keinen Sport treiben, sondern erst mal den Eingriff machen lassen."

Wolfgang Bode bekommt sehr schnell einen Operationstermin für eine Arthroskopie. Der verschlissene Meniskus und der Knorpel sollen geglättet werden. Er hängt seine Laufschuhe erst mal an den Nagel. Aber im Vorfeld der Operation hört er sich um, fragt Freunde und Bekannte. Deren Erfahrungen sind ernüchternd:

"Ein Teil steht noch mal zur Operation an, die haben wieder Beschwerden gehabt nach geraumer Zeit. Bei einigen war es o.k. Und bei zweien war es so, dass die nach der Operation Probleme hatten, bis heute. Und das war das Abschreckende. Das wollte ich also nicht."

Der Manager sagt den OP-Termin jetzt erst einmal ab und geht zu einem anderen Orthopäden. Karl-Heinz Frosch ist Knie-Spezialist an der Asklepios-Klinik St. Georg in Hamburg. Er sieht sich Röntgenbefunde und Knie sehr genau an. Und er kommt zu einem für den Patienten überraschenden Ergebnis:

"Nach meiner Einschätzung haben Sie einen Meniskusriss. Das ist ein kleiner Riss, kernspintomografisch ist der Riss aber sehr klein. Ich denke, man kann das ohne OP erst mal abwarten. Ich glaube, wenn Sie da ein bisschen Sport machen, das Knie bewegen, gelenkschonenden Sport, kommen Sie damit gut zurecht. Ich rate Ihnen von der OP erst mal ab."

Professor Frosch sagt das, was in der Fachwelt inzwischen bekannt ist: Bei reinem Knieverschleiß hilft eine Arthroskopie dem Patienten nicht. Gelenkschonender Sport wie Radfahren, Schwimmen, Walking bringt oft mehr, denn er spült Gelenkschmiere ins Knie. Zusätzlich baut sich ein Muskelkorsett auf. Es schützt und stabilisiert das Knie. Eine Operation bringt – wenn überhaupt – nur kurzfristig Linderung, denn der Verschleiß schreitet weiter fort. Obwohl das inzwischen in Fachkreisen bekannt ist, werden in Deutschland jedes Jahr etwa 400.000 Patienten am Knie operiert, viele davon wegen Knie-Verschleiß. Eine haarsträubende Überversorgung, kritisieren Experten:

"Wenn eine Operation sich als nicht hilfreich erweist, dann ist es nicht zum Wohle des Patienten. Sondern dann ist es eine überflüssige Operation. Die wird deswegen häufig durchgeführt, weil auch wirtschaftliche Überlegungen in Krankenhäusern eine Rolle spielen. Das heißt, man operiert, obwohl man es gar nicht müsste."

Sagt Professor Edmund Neugebauer von der Universität Witten-Herdecke. Er erforscht, wie nützlich und hilfreich chirurgischen Eingriffe sind. Dass die Knie-OP bei reiner Arthrose nichts bringt, hätten internationale Studien schon vor Jahren belegt:

"Wir haben in Deutschland zu lange gewartet. Die ersten zuverlässigen Daten stammen aus dem Jahr 2002 in den USA. Für mich eine Konsequenz wäre, in Deutschland eine Studie dazu durchzuführen."

Immerhin: Seit Jahresanfang befasst sich der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen mit der umstrittenen Operation. Er entscheidet darüber, ob die Knie-Arthroskopie bei reinem Verschleiß in Zukunft überhaupt noch von den Krankenkassen erstattet werden soll. Mögliches Szenario:

"Wenn wir die Studien bestätigen können, wie sie im Ausland gelaufen sind, dann würde das bedeuten, dass vielleicht ein Drittel der Arthroskopien wegen dieser Indikation einfach wegfallen würde."

Bis der Gemeinsame Bundesausschuss eine Entscheidung fällt, können aber noch Monate oder Jahre vergehen. Arthrose-Patient Wolfgang Bode hat sich schon entschieden. Für ihn ist die Operation vom Tisch. Er hat seinen Laufstil umgestellt, macht jetzt kürzere Schritte und verzichtet auf lange Läufe in unebenem Gelände. Seine Knie-Schmerzen sind dadurch nicht verschwunden, aber deutlich zurück gegangen:

"Seitdem ich wieder regelmäßig Sport mache, sind die Schmerzen geringer geworden. Ich denke, ich baue mir wieder ein Muskelpaket auf und ich specke ab. Heute muss ich sagen: Es war die einzig richtige Entscheidung, den Eingriff nicht machen zu lassen."

Fazit: Vor allem ältere Patienten, die wie Wolfgang Bode wegen Artrhose-Knieschmerzen zur schnellen Operation gedrängt werden, sollten sich Zeit nehmen - zumindest dafür, eine zweite Meinung einzuholen. So manchem bleibt damit womöglich ein sinnloser Eingriff erspart.