Knastbrüder als Karthager

Von Mirko Heinemann · 16.06.2009
Auf dem Gefängnishof in der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel wird diesen Sommer "Hannibal" gegeben. Der Andrang ist groß, Eintrittskarten für das Gefangenentheater "aufBruch" sind begehrt - obwohl sich Besucher eine Woche vorher anmelden müssen. Das ist nicht zuletzt das Verdienst des Regisseurs Peter Atanassow, der zum wiederholten Male mit Gefangenen Theater macht.
Chor: "Zieht den Hut ins Gesicht, den sie dir schenken. Zeige dein Gesicht nicht. Sondern verwisch die Spuren."

Atanassow: "Bei 'öffnen' gehen wir rein. Und immer wichtig: Hör mal zu! Verwisch die Spuren! Das muss knallen!"

30 Männer stehen im Gefängnishof in Tegel und proben den Chor. Vor ihnen steht Regisseur Peter Atanassow. Er inszeniert mit Texten von Heiner Müller die Geschichte von Hannibal, der mit seiner Armee Rom herausforderte. Seine Schauspieler sind Mörder, Schläger, Drogenhändler. Manche sind bereits seit Jahrzehnten hinter Gittern. Atanassow glaubt, dass sich die Insassen mit den Texten identifizieren können.

"In der Komplexität, in der Aneinanderfolge dieser allegorischen Anspielungen ist Müller kompliziert, aber die einzelnen Phrasen sind immer recht klar. Und es schützt mich, wenn das Leute im Knast machen, die ihre Biografien haben und die ihre ganz persönlichen Bezüge zu diesen Phrasen haben."

Peter Atanassow hat bereits elf Theaterstücke in Gefängnissen inszeniert. Die Teilnahme ist für die Gefangenen freiwillig, sie sind mit Elan bei der Sache. Dennoch sammelt sich in der Haft Frust an, und Atanassow bekommt ihn oft genug zu spüren.

"Also, es ist verbal. Wenn man eine gemeinsame Übung macht, und ich mach die ja immer mit - dann mal so ein Bodycheck, zu gucken: Wie steht er? Steht er auch? Also, wenn man jetzt sagt: Wir laufen durch den Raum und weichen einander aus, und dann gibt es zwei, drei, die weichen eben nicht aus, aber das ist alles in einer spielerisch verpackten Form. Ich habe nie erlebt, dass es wirklich 'ne Gefahrensituation war."

Atanassow: "Zwei nach rechts, zwei nach links ... Tempo, Tempo. Jetzt geht's los."
Chor: "Eins, zwei drei vier"

Peter Atanassow, schwarze Schirmmütze, schwarze Kleidung, steht aufrecht wie ein Kommandeur. Gefängnis und Armee haben durchaus Ähnlichkeiten, findet er.

"Die Logistik ist militärisch. Verproviantierung, Wäsche waschen, die ganzen geregelten Gänge, die Aufstehzeiten, die Einschlusszeiten und so weiter - das ist Kaserne. Und man ist da eben auch mit Leuten zusammen, mit denen man eigentlich sonst keinen Kontakt gehabt hätte."

Peter Atanassow wurde 1968 in Dresden geboren, der Vater Bulgare, die Mutter Deutsche. Kurz vor dem Mauerfall zog ihn die Nationale Volksarmee ein. Dort wurde er auf mögliche Einsätze gegen die demonstrierenden DDR-Bürger vorbereitet.

"Wir haben nur noch in Uniformen geschlafen, wir haben kaum noch telefonieren können mit Zuhause. Wir haben auch keine Post gekriegt in der Zeit. Wir wurden von den sogenannten V-Null-Offizieren noch mal gefragt, ob wir bereit sind, auch auf Menschen zu schießen. Uns wurden Bilder gezeigt vom Massaker auf dem Tian'anmen-Platz: natürlich nur durch die aufgebrachte Bevölkerung verstümmelte Soldaten. Okay, das kann euch auch passieren. Da draußen tobt der Mob. Es war so ein bisschen Skepsis schon, was sie uns jetzt erzählen wollten. Aber es war auch so ein bissel: Ja gut, der Mensch ist zu allem fähig."

Im Februar 1990 wird Peter Atanassow vorzeitig entlassen, er geht auf die Schauspielschule in Potsdam. Als er im Anschluss für eine Fernsehserie engagiert wird, fühlt er sich wie im siebten Himmel: 13.000 D-Mark Gage im Monat, und die Serie spielt auch noch auf der Ferieninsel Mallorca.

Nach wenigen Monaten hat Peter Atanassow die Nase voll von der Partyinsel. Er kündigt und zieht nach Berlin, wo er noch heute zusammen mit seiner Freundin lebt. Er inszeniert Stücke an kleinen Off-Bühnen, bis er die Leute vom Theater "aufBruch" kennen lernt, die mit Gefangenen arbeiten. Und findet hier seine Herausforderung.
"Klar, die haben alle wirklich wilde Biografien hinter sich und da ist es so, dass ich mir sage: Wie kann ich sie inszenieren, dass es gut wird? Wie kann ich sie mit all ihren körperlichen Ausprägungen und zum Teil auch Schwierigkeiten, die sie inzwischen haben - der eine hat Zucker und der andere hatte schon einen Schlaganfall - wie kann ich sie trotzdem als das zeigen, was sie in der Inszenierung sein sollen, nämlich 'ne durchaus gefährliche und respektable Meute, die da über die Alpen kommt."

Theater ist für den 41-Jährigen kein reiner Zeitvertreib, sondern eine moralische Instanz. Eine Chance für die Gefangenen, den Charakter zu bilden.

"Wenn das Gefängnis 'ne militärische Grundstruktur ist, dann ist das Theater so was wie der Einsatz, das Manöver, das Ausrücken. Wo jeder jeden wirklich braucht. Wo man nicht weiterkommt, wenn man den anderen nur schikaniert.""

Chor: "Ein Horizont aus Panzern ist der Deutsche. Der auf dich zufährt. So ein Himmel aus Flugzeugen ist der Deutsche ... "

Die Proben gehen über sieben Wochen. Atanassow verlangt Disziplin von den Gefangenen, seine Inszenierungen sind beim Publikum beliebt. Dennoch: Chancen, in nächster Zeit an einem großen Theater zu inszenieren, rechnet sich Peter Atanassow nicht aus.

"Ich glaube, dass es große Berührungsängste gibt. Ich sehe nicht, dass ein Intendant kommt und sagt: Mach mal was mit meinen Leuten. Das sehe ich nicht."

Service:
"Hannibal" wird noch bis 3. Juli 2009 jeden Mittwoch und Freitag um 18 Uhr in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel aufgeführt. Eintrittskarten müssen mindestens fünf Tage vor der Vorstellung reserviert werden. Infos gibt es im Internet unter www.gefaengnistheater.de oder telefonisch unter 030 - 44 04 97 00.