Kleines Wörterbuch des Krieges

Islamischer Staat

Plakate gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS)
Scharia und Twitter: Beim Islamischen Staat verbinden sich das 7. Jahrhundert und die Moderne. © JUSTIN TALLIS / AFP
Von Hans-Joachim Lenger · 22.09.2014
Der "Islamische Staat" ist eine Chimäre aus Archaik und Moderne, ein Wortmonster. Furchterregend ist jedoch, was er uns über unsere Gegenwart und eine mögliche Zukunft sagen könnte.
Zunächst ist der Begriff des Islamischen Staates ein Widersinn in sich. In ihm treten "Islam" und "Staat", das archaische Gesetz mit der Ratio einer neuzeitlichen Staatlichkeit wie in einer monströsen Montage auf.
Erratisch verbindet sich der Aberglaube des 7. Jahrhunderts hier mit Ansprüchen auf eine Weltlichkeit, die den modernen Staatsbegriff tausend Jahre später erst hervorbrachte – und zwar gegen die Rasereien gottesstaatlichen Aberglaubens. Man sollte also meinen, dass ein solches Wortkonstrukt eigentlich zerfallen müsste wie die Sache, die es bezeichnet.
Und doch, im Zeitalter asymmetrischer Kriege werden auch die Begriffe asymmetrisch. Archaische Versatzstücke amalgamieren sich dann mit modernsten Figuren auf eine Weise, die einen das Fürchten lehren kann.
Der IS sagt etwas über unseren eigenen Staatsbegriff aus
Dann verschränkt sich im Islamischen Staat die Scharia mit der Maschinenkanone und elektronisch gesteuerten Boden-Luft-Rakete, frühmittelalterlich inspirierter Terror mit avancierten Finanztransaktionen auf internationalen Kapitalmärkten, mit digitaler Videoproduktion und der Twitter-Präsenz.
Dieser Begriff ist eine Chimäre aus Archaik und Moderne, ein Wortmonster. Furchterregend aber ist, was er uns über unsere Gegenwart – und eine mögliche Zukunft sagen könnte.
Auffallend widerstandslos konnte sich das Wort nämlich auch hierzulande durchsetzen. In Kommentaren mochte zwar von einem Nachspielen, einem "Reenactment der Mythen" die Rede sein. Die Fähigkeit zur Staatenbildung aber wird den Terroristen damit keineswegs abgesprochen. Und dies sagt etwas über unseren eigenen Staatsbegriff aus, der sich seinerseits als "postpolitisch" entleert, als zutiefst anfällig herausstellt.
Denn wo Krieg und "nation building" Staatlichkeit und Demokratie in den Nahen Osten exportieren sollten, da erwiesen sie sich selbst als leere Begriffskonstrukte. Staatlichkeit reduzierte sich auf die Entfesselung einer Schrecken erregenden Militärtechnologie; Demokratie wurde zur Forderung, sich dem Hunger nach Rohstoffquellen und geostrategischen Positionen zu fügen.
Gegenwart und möglicherweise Zukunft
Exportiert wurde lediglich ein Vakuum, das sich seither nur durch moderne Waffen und hypermoderne Technologien aufrechterhalten lässt. Kein Wunder, dass die derart zertrümmerten Gesellschaften diese Waffen an sich reißen; und ebenso wenig, dass sie das aufklaffende kulturelle Vakuum mit Feinderklärungen füllen, die einer gottesstaatlicher Ordnung entstammen. Denn deren Archaik erweist sich jeder Ratio gegenüber als immun, gehorcht darin umso mehr einer Logik der Feindschaft.
Der Islamische Staat, diese monströse Begriffschimäre, ist deshalb keine Vergangenheit. Er ist Gegenwart und möglicherweise Zukunft. Im Feind, so der Staatsrechtler Carl Schmitt, tritt uns unsere eigene Frage nur als Gestalt entgegen.
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