Kleine Leute ganz groß

31.05.2012
Der gewöhnliche Mann schätzte die Ehe, ging aber trotzdem zu Prostituierten und zahlte dort nicht mehr als für einen Becher Wein oder ein Stück Käse. Robert Knapp kennt sich aus im alten Rom und hat seine lesenswerte Geschichte der einfachen Leute, der Gladiatoren oder Banditen mit spannenden Fakten gespickt.
"Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht."

Dieser Gedanke Walter Benjamins, der zum Umfeld seiner Überlegungen "Über den Begriff der Geschichte" gehört, benennt einen Anspruch gegenüber der Geschichtsschreibung. Demnach wäre Geschichte nicht allein aus der Perspektive der Sieger darzustellen, sondern auch die Namenlosen müssten in ihr vorkommen. Überliefert werden die Namen von Kaisern und Königen, heißt es in Brechts Gedicht "Fragen eines lesenden Arbeiters", aber wer erzählt vom Leben der "einfachen" Leute.

Den Alltag derer, die im Schatten der Geschichte lebten, beschreibt der zuletzt in Berkeley lehrende Althistoriker Robert Knapp sehr eindringlich in seiner überaus lesenswerten Studie über die "gewöhnlichen Leute" im Römischen Reich der ersten dreihundert Jahre unserer Zeitrechnung. Knapp wendet sich den Namenlosen zu, was schwierig ist, denn in den erhaltenen Quellen, die von den Reichen und Mächtigen verfasst oder für sie geschrieben wurden, "wird das Tun und Denken der übrigen Schichten" ausgeblendet. Zur Elite gehörten im Römischen Reich aber nur 0,5 Prozent. Knapps Absicht nun ist es, die restlichen 99,5 Prozent nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Sein Buch gliedert sich in neun Kapitel, wobei er sich in den ersten beiden den "gewöhnlichen Männern und Frauen", in den folgenden den Armen, den Sklaven und Freigelassenen, den Soldaten, Prostituierten, Gladiatoren und den Banditen und Piraten zuwendet. Unter einem "gewöhnlichen Menschen" versteht Knapp "jeden Freien unterhalb der Oberschicht und über dem mittellosen Tagelöhner oder Bauern." Zwischen diesen Schichten sind die sozialen Unterschiede beachtlich. Während kleine Landbesitzer, Handwerker, Kaufleute und erfolgreiche Soldaten über ein gutes Einkommen verfügten, reichte es für die weniger Begüterten nur für das tägliche Brot.

Unterschiede gibt es auch in der Einstellung zur Arbeit, die innerhalb der im Luxus lebenden Oberschicht verpönt war. Der "gewöhnliche Mann", so Knapp, schätzte die Ehe und er legte Wert auf Treue. Das hinderte ihn aber nicht daran, Prostituierte zu besuchen. Ein solcher Besuch kostete ihn etwa zwei Asse und lag ein wenig unter dem Tagesverdienst eines Arbeiters. Für das gleiche Geld konnte er sich aber auch einen Becher Wein oder ein Stück Käse kaufen. Die Prostituierten mussten zwar von ihren Einnahmen Steuern bezahlen, aber das Gewerbe, dem sie nachgingen, war legal. Es gab viele Frauen, die aus Armut oder als Sklavinnen gezwungen waren, sich zu prostituieren.

Knapp zieht für seine aufschlussreiche Studie eine Vielzahl von sehr aussagekräftigen Materialien heran. Besonders interessant sind die zitierten Graffiti, Grabinschriften oder Traumbücher. Verfasst wurden diese Aufzeichnungen fast immer von Männern, während Erinnerungen von Frauen, die sich in eigenen Worten ausdrücken, fast gänzlich fehlen.

Knapps bemerkenswertes Buch räumt gründlich mit einer Reihe von gängigen Klischees auf und argumentiert überzeugend gegen ein ideales Bild der römischen Gesellschaft, indem es schlicht auf die Fakten verweist. So entsteht das Bild einer Epoche, die manchmal gar nicht so weit von der unsrigen entfernt zu sein scheint, wie man glaubt.

Besprochen von Michael Opitz

Robert Knapp: Römer im Schatten der Geschichte - Gladiatoren, Prostituierte, Soldaten: Männer und Frauen im Römischen Reich
Aus dem Englischen von Ute Spengler
Klett-Cotta, Stuttgart 2012
398 Seiten, 24,95 Euro