Klassiker zum Aufklappen

01.12.2009
Herman Melvilles "Moby Dick" ist im Original über 1000 Seiten schwer. Der New Yorker Grafikdesigner Sam Ita hat das Werk jetzt als Popup Buch herausgebracht. Beim Aufklappen scheint einem das Geschehen quasi dreidimensional entgegen. Mit viel Liebe zum Detail und sehr effektvoll erzählt Ita so die entscheidenden Schlüsselszenen nach.
Um es gleich vorneweg zu sagen: Dieses Buch ist ein kleines Kunstwerk! Sam Itas grafische Darstellung von Herman Melvilles "Moby Dick" ist eine Kombination aus Comic und Bilderbuch, aus Literatur und Kunst und ist damit ein Buch für jede Altersklasse. Auf zwölf DinA4-Seiten wird hier die Geschichte von Moby Dick geballt erzählt, eine Geschichte, für die Herman Melville selbst an die eintausend Seiten brauchte. Und obwohl das Buch natürlich nicht die Tiefe des Originals erreicht, sie gar nicht erreichen kann, geht Sam Itas Konzept trotzdem auf. Er hat einen Klassiker zum Anfassen geschaffen! Ein Buch, das Lust macht auf mehr.

Gleich auf der ersten Seite entfaltet sich ein Walfänger mitsamt seiner drei Masten aus den Fluten des Meeres. Originalgetreu nachgebaut aus Pappe mit all seinen Takelagen, Beibooten und Fahnen. Davor auf einem Holzsteg steht Ismael, der Ich-Erzähler des Buches: Eine kleine Pappfigur mit flatterndem Schal am windigen Pier. Und schon ist man gleich mitten in dieser mitreißenden Geschichte, die der Grafikdesigner Sam Ita klug und effektvoll in den entscheidenden Schlüsselszenen nacherzählt: die erste Begegnung Ismaels mit dem furchterregenden Quiqueg, der letzte Kirchbesuch vor dem Auslaufen, dann Kapitän Ahabs mächtiger erster Auftritt, seine hasserfüllte Einschwörung der Mannschaft auf die mörderische Jagd nach dem weißen Wal und schließlich die Jagdszenen selbst.

Dabei ist jede Hauptseite so genial gemacht, dass sie jeweils ihre eigene Sogwirkung entfaltet und zum Entdecken einlädt, zum Drehen, Wenden, Schieben und Aufklappen und gleichzeitig noch zum Lesen. Dieses Buch legt keiner so schnell wieder aus der Hand, denn selten sind auf DinA4-Seiten solche Popups gezaubert worden wie hier. Alle sechs Doppelseiten transportieren Ahabs verderbende Inbrunst, seine Besessenheit, mit der er dem Wal nachjagt, um seinen Rachegelüste zu befriedigen und der er letztendlich auch das Leben seiner Mannschaft opfert.

Künstlerisch großartig ist vor allem die Szene, in der Wal das Schiff zerstört und in seinem Strudel in die Tiefen reißt: Wrackteile fliegen durch die Luft, Wellen spitzen dem Betrachter entgegen und über allem schwebt Moby Dick mit seiner riesigen Wasserfontäne.

Die Geschichte selbst wird in kleine Comicstrips und weiteren kleineren Pop-ups erzählt, die sich jeweils am Rand der Doppelseiten finden: Ismaels Suche nach einer Unterkunft, Quiquegs Herkunftsgeschichte, die Anheuerung auf der Pequod, die erste Jagd nach einem Wal, die Entdeckung Moby Dicks und schließlich Ahabs Weigerung, bei der Suche nach Schiffbrüchigen zu helfen, nur um weiterhin dem Wal auf der Spur zu bleiben, abschließend der Untergang der Pequod und die Rettung Ismaels.

Das liest sich leicht weg und steht dennoch nicht hinter den Pop-ups zurück. Ein bisschen erinnert dieses Buch in der Auswahl seiner Passagen an den berühmten Film von John Huston mit Gregory Peck in der Haupttolle. Vielleicht erklärt das auch den Erfolg. In den USA, wo das Buch schon im letzten Jahr herausgekommen ist, hat Sam Itas Moby Dick schon heute Kultstatus. Bei jungen wie bei älteren Lesern.

Besprochen von Kim Kindermann

Sam Ita: Moby Dick - Ein Popup Buch
12 Aufklappseiten, durchgehend farbig illustriert
Knesebeck Verlag, 2009
24,95 Euro