Klassik

Pianist voller Temperament

Klaviertasten
Ivo Pogorelić vereint die Spontaneität des Balkan mit der Präzision der westrussischen Schule. © Imago / AFLO
Von Arkadiusz Luba · 12.03.2015
Der kroatische Pianist Ivo Pogorelić gilt als Genie am Klavier. Sein Repertoire reicht vom Barock über die Klassik und Romantik bis ins 20. Jahrhundert. Doch vor allem Chopin und Beethoven umgeben etwas Geheimnisvolles, sagt er.
Als Sohn eines Kontrabassisten in Belgrad geboren, erhielt Ivo Pogorelić mit sieben Jahren seinen ersten Klavierunterricht. Mit zwölf setzte er sein musikalisches Studium an der Zentralen Musikschule in Moskau und sodann am Tschaikowsky-Konservatorium in Sankt Petersburg fort. Das Feuer und die Spontaneität des Balkan trafen auf die Präzision der westrussischen Schule. Und mit dem familiären Hintergrund erklärt er auch sein Temperament:
"Man muss sehen, aus welchen Ländern meine Eltern stammen: Einerseits sind das die Einflüsse des Osmanischen Reichs von vor 500 Jahren, und andererseits - die habsburgische Monarchie. Ich verkörpere diese Gegensätze. Sie tragen der Offenheit bei."
Und offen ist Pogorelić für verschiedene Komponisten und deren Werke. Für Ravel, Bach, Scarlatti, Mussorgsky, Beethoven - um nur ein paar seiner Meister zu nennen.
Begonnen hat jedoch alles mit Chopin. Und mit einem Skandal. 1980 trat Pogorelić beim Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau auf und eroberte mit höchst umstrittenen Interpretationen die Musikwelt. Das Publikum verehrte ihn, doch die Experten schieden ihn aus dem Wettkampf aus. Martha Argerich betrachtete daraufhin den ganzen Chopin-Wettbewerb als abgewertet und verließ die Jury. Sie nannte den Nachwuchspianisten ein "Genie". Ähnlich äußerte sich über Pogorelić ein anderer Jury-Mitglied und Interpret von Chopin-Klavierwerken Nikita Magaloff:
"Er spielte auf höchstem Niveau, wie das wohl kaum sonst jemand auf der Welt heute kann."
Das Geheimnis von Chopin und Beethoven
Davon, dass er bei dem Wettbewerb in Warschau keinen Erfolg hatte, ließ sich Pogorelić nicht abschrecken und widmete sein erstes Album dem polnischen Komponisten:
"Ja, ich wurde aus dem Wettbewerb rausgeschmissen. Irgendwie habe ich direkt danach das Chopin-Album aufgenommen. Dazu haben jedoch nicht nur die Umstände, sondern auch meine Entscheidung geführt. Ich mag Chopins Musik, der Komponist ist einmalig."
Einmalig sei auch Beethoven, der das Klavierspiel völlig veränderte. Seine Werke hätten damals das Publikum schockiert. Sie seien genial konstruiert, wie eine moderne Technologie:
"Er ist außergewöhnlich. Seine kompositorischen Qualitäten sind höchst innovativ. Er ist ein Erfinder verschiedener Pianotechniken. Beethoven hat die linke und die rechte Hand befreit, voneinander unabhängig gemacht, das Klavier instrumentiert. So viele verschiedene komplexe Faktoren."
Manchmal sei ein Stück beim Üben noch ein großes Geheimnis, gibt Pogorelić zu. Wie jede Arbeit an etwas Neuen sei auch das Einstudieren eines Musikwerkes ein langwieriger Prozess:
"Es ist rätselhaft, ja geheimnisvoll. Manchmal brauche ich Wochen, um dahinter zu kommen, um das Labyrinth der Noten erfolgreich zu verlassen. Jedes Werk ist im gewissen Sinne ein Labyrinth. Man steckt drinnen und probiert jeden Gang aus und kennt jedes Tor, wodurch man den Weg nach außen findet."
Perfektionismus statt Extravaganz auf der Bühne
Pogorelić scheint ein Perfektionist zu sein. Seine Interpretationen hätten nichts Zufälliges oder Extravagantes an sich. Sie seien viel mehr das Ergebnis eines wohlüberlegten Konzepts, das hauptsächlich auf dem Notentext und den Quellen beruht, die ihm zur Verfügung stünden. Allein die Arbeit zähle. Er nehme sich all die notwendige Zeit, um ein Klavierstück vorzubereiten:
"Mich interessiert also das Stück: Ich mag die Motive, die Harmonie, die Melodie, die Struktur. Ich fühle etwas, aber dann beginnt die Arbeit. Sich Zeit nehmen und versuchen, sich Zeit nehmen und versuchen und so weiter. Wenn das Produkt fertig ist und ich es vorführen kann, kommen die Emotionen wieder. Aber nicht sie zeige ich auf der Bühne, sondern mein Werk."
Pogorelićs Interpretationen lassen keinen kalt. Die Einen heben ihn auf den Gipfel der pianistischen Kultur. Die Anderen schauen dem Exzentriker skeptisch zu. Er selbst kommentiert es selten und lässt sich von Komplimenten oder Affronts nicht ablenken. Er bleibt allein seiner Berufung und der Musik treu:
"Als Künstler bleibt man sein ganzes Leben lang Künstler. So denke ich, es ist richtig, anständig und bescheiden zu bleiben. Man will die physische Fähigkeit behalten, um den Beruf weiter auszuüben. Man sollte also aufpassen, was man tut, wie man sich schützt und ernährt, wie man ausruht. Ich diene den Komponisten: Da ist einfach die Partitur, das Klavier und die Zeit. Die Musik ist für mich die höchste Priorität. Sie ist wie ein Stern am Himmel."
Unkonventionell, so schrieb die "Neue Zürcher Zeitung", öffne Pogorelić einen Raum zur Reflexion über vermeintlich bekannte Werke. So wird ihn auch das deutsche Publikum erleben.