Klartext oder Ressentiment?

Nikolaus Blome und Sven Scheffler im Gespräch mit Joachim Scholl · 03.05.2010
Während die "Bild"-Zeitung in Bezug auf Griechenland vor der Verschwendung von Steuergeldern warnt, ruft das "Handelsblatt" dazu auf, griechische Staatsanleihen zu zeichnen. Nikolaus Blome von "Bild" betont, es sei keine Kampagne, sondern "Klartext". Sven Scheffler vom Handelsblatt hingegen will ein Zeichen der Solidarität senden.
Joachim Scholl: Die Milliardenhilfen für Griechenland schlagen in der gesamten deutschen Öffentlichkeit hohe Wellen und eine besonders aggressive Note setzt die "Bild"-Zeitung, und zwar täglich. Heute antwortet das Handelsblatt. Am Telefon begrüße ich nun Sven Scheffler, Chefredakteur von "Handelsblatt Online", guten Tag, Herr Scheffler!

Sven Scheffler: Guten Tag!

Scholl: Und ich bin auch verbunden mit Nikolaus Blome, Leiter der Parlamentsredaktion der "Bild"-Zeitung. Hallo, Herr Blome!

Nikolaus Blome: Guten Tag!

Scholl: Seit gut zehn Tagen, Herr Blome, hagelt es bei Ihnen Schlagzeilen wie die folgenden:

Schlagzeilen:
Samstag, 24. April: "Also doch – Griechen wollen unser Geld!"
Dienstag, 27. April: "Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxusrenten?"
Mittwoch, 28. April: "Angst um unser Geld!"
Donnerstag, 29. April: "25 Milliarden – Griechen wollen noch mehr Geld von uns!"
Freitag, 30. April: "Mit unserem Steuergeld – warum retten wir diesen Griechenmilliardär?"
Montag, 3. Mai: "110 Milliarden Euro – Pleitegrieche kriegt den dicksten Scheck der Geschichte!"

Scholl: Schlagzeilen aus der "Bild"-Zeitung von heute und den vergangenen Tagen zum Thema Griechenland. Nikolaus Blome, Leiter der Berliner Parlamentsredaktion der "Bild"-Zeitung – nicht nur wir, sondern viele Ihrer Leser dürften diesen Ton Ihrer Schlagzeilen schon als Kampagne empfunden haben. Ist es eine?

Nikolaus Blome: Nein. Es ist auch nicht aggressiv, wie Sie in der Anmoderation so freundlich sagten, sondern es ist Klartext. Es geht um eine Menge Geld und es ist strittig, ob das Geld gut angewandt ist; es geht um das Geld der Steuerzahler, die letztlich für die Kredite, die ausgereicht werden, bürgen, und die Frage ist mehr als erlaubt, ob es der richtige Weg ist, den Euro zu retten. Dass der Euro gerettet werden soll, ist unumstritten.

Scholl: Was bezwecken Sie mit solcher Art Klartext?

Nikolaus Blome: Die Debatte anzustoßen, die eine ganze Zeit lang sehr, sehr still und bestenfalls in sehr Expertenkreisen geführt wurde – die Debatte, wie hilft man den Griechen richtig und wie hilft man, den Euro vor einem Schicksal als Weichwährung zu bewahren oder gar, und das ist auch nicht mehr völlig ausgeschlossen, den Euro davor zu bewahren, dass er auseinanderbricht.

Scholl: Sie haben sich dieses Konzept ausgedacht, Herr Blome, und jeder, der das unbegleitet liest, sage ich mal, wird sich doch denken: Schau einer an, die faulen, bankrotten Griechen wollen nur an unser sauer erspartes und verdientes Geld. Schüren Sie damit nicht Ressentiments?

Nikolaus Blome: Ich glaube nein. Griechenland ist kein reiches Land, aber es stellt sich heraus, dass auch Länder, die nicht so reich sind, über ihre Verhältnisse leben können. Und das hat Griechenland über eine ganze Reihe von Jahren getan. Die privaten Kreditaufnahmen wie die Kreditaufnahmen des Staates ist weitaus schneller gewachsen als die Wirtschaftskraft des Landes. Das führt irgendwann an einen Punkt, wo man die Schuldenlast als Land, als Gesellschaft nicht mehr tragen kann und auf gar keinen Fall so weitermachen kann wie bisher.

Scholl: "Rationalität statt Ressentiments" – so formuliert es wörtlich heute das "Handelsblatt" und startet nun diese Aktion: "Deutschland hilft – ich kaufe griechische Staatsanleihen", titelt die Wirtschaftszeitung und darunter sind Fotografien von Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, die Staatsanleihen zeichnen wollen aus Solidarität. Sven Scheffler, Chefredakteur von "Handelsblatt Online", was ist der Sinn dieser Aktion?

Sven Scheffler: Ja wir wollen einfach ein Signal aussenden, dass wir solidarisch sind in Europa, und zwar nicht weil wir einen Schwamm drüber legen wollen über die Diskussion, sondern auch wir üben Kritik an der griechischen Schuldenpolitik. Die ist wichtig und die Griechen müssen sich reformieren, die müssen sparen und das Sparprogramm, was die Regierung von Papandreou beschlossen hat, ist massiv. Nur ein kleines Beispiel: Wenn wir ein, in Deutschland, ein ähnliches Sparprogramm umsetzen würden, müssten wir 165 Milliarden Euro in Deutschland einsparen und 96 Milliarden Euro höhere Einnahmen erzielen. Das ist mal das Programm der Griechen auf Deutschland umgerechnet. Das verdient erst mal unseren Respekt und ich glaube, dass wir jetzt rational diskutieren müssen, wie können wir den Euro retten. Da bin ich mit Herrn Blome einer Meinung, ich glaube aber, dass wir das Signal brauchen: Ja, wir stehen zueinander und wir müssen an den Märkten Ruhe schaffen.

Scholl: Ich meine, die Komplexitäten dieser Lage, die werden nun in vielen Blättern und auf vielen Ebenen diskutiert und Sie haben sie jetzt noch mal schön zusammengefasst, Sie beide. Aber Herr Scheffler, ist das jetzt mit Ihrer Aktion "Deutschland hilft", – ich meine, dieser Slogan, der könnte auch von der "Bild"-Zeitung stammen – ist das Ihre Kampagne gegen die Kampagne der Kollegen aus Berlin?

Sven Scheffler: Es ist keine Gegenkampagne, aber es ist schon so, dass wir mit vielen Entscheidern in Wirtschaft und Politik gesprochen haben, die gesagt haben, wir stehen auch für ein anderes Deutschland, für ein Deutschland, was helfen möchte und was bereit ist, sich zu engagieren, wenn die Griechen die richtigen Signale aussenden. Sodass wir sagen, na ja, es gibt unterschiedliche Stimmen, die bilden wir ja auch in der Debatte ab und auch in den Reaktionen unserer Leser werden wir viele Stimmen abbilden, die kritisch mit unser Haltung umgehen, aber ich glaube, wir müssen den Leuten, die vernünftig und rational mit dem Thema umgehen, eine Plattform geben. Und das haben wir versucht.

Scholl: Wie haben Sie denn bei der "Bild"-Zeitung diese Kampagne empfunden oder diese Aktion jetzt des "Handelsblatts", Herr Blome?

Nikolaus Blome: Also engagierter Journalismus, den das "Handelblatt" hier betreibt, ist immer gut für den Journalismus insgesamt. Wir teilen diese Position nicht und mit Verlaub gestatte ich mir die Frage, wie viel Mut dazu gehört, jetzt eine griechische Anleihe zu zeichnen, wo ja klar ist, dass sie mit den Krediten der Europäer und auch der Deutschen und des IWF garantiert ist. Also die Zinsen, die die Herren und Damen, die da heute Anleihen zeichnen werden, die Zinsen, die sie bekommen werden und die Tilgung, die stammt am Ende aus jenen Krediten, über die der Bundestag demnächst beschließt. Das heißt, es ist auch ein bisschen Gratismut, heute eine griechische Staatsanleihe zu zeichnen – spannender wäre gewesen die Frage, ob diese Leute auch vor drei Wochen eine griechische Staatsanleihe gezeichnet hätten, als noch nicht klar war, dass der europäische Steuerzahler einspringt.

Sven Scheffler: Das sehen die Anleihenmärkte ja ein bisschen anders, Herr Blome, weil die reagieren auf den aktuellen Beschluss wenig und ich glaube, dass gerade die Aktion, wenn viele Menschen sagen, die gehen in den freien Kapitalmarkt und zeichnen Anleihen, dazu führen kann, dass die Steuerzahler in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Staaten, nicht so stark unterstützen müssen, als wenn der Anleihenmarkt darniederliegt.

Nikolaus Blome: Wir sind uns aber einig, lieber Herr Scheffler, dass die Zinsen, die auf diese Anleihen bezahlt werden, auch aus jenen Krediten kommen – das ist ja der Sinn einer Umschuldung oder einer Revolvierung der Schuld durch frische Kredite – auch aus jenen Krediten kommen, über die die europäischen Staaten jetzt befinden.

Sven Scheffler: Richtig.

Nikolaus Blome: Das heißt, das Risiko, dass diese heute gezeichnete Staatsanleihe ausfällt, ist ungleich kleiner als das Risiko war vor 14 Tagen.

Sven Scheffler: Aber das Problem in der Griechenlandkrise ist ja nicht, dass die Griechen ihre Zinsen nicht gezahlt haben. Die Griechen haben bisher jede Anleihe gezahlt. Das Problem ist, dass die Griechen in eine Schwierigkeit hineingelaufen sind, dass sie sich am Kapitalmarkt über Anleihen nur noch sehr schwer oder eventuell gar nicht mehr hätten finanzieren können. Und an diesem Mechanismus setzen wir an.

Nikolaus Blome: Ich glaube, das Problem der Griechen besteht darin, dass sie das Vertrauen der Anleger verloren haben, und das sind nicht nur schamlose Zocker, sondern das sind auch ganz normale Anleger. Das hängt damit zusammen, dass die Griechen, die griechische Regierung oder Regierungen besser gesagt über Jahre hinweg, das Land über seine Verhältnisse haben leben lassen, und das rächt sich jetzt. Und die Frage ist halt, ob es nicht doch besser gewesen wäre, das Land kontrolliert in einen Schuldenschnitt zu geben beziehungsweise für eine Zeit mit Rückkehrrecht aus dem Euro austreten zu lassen.

Scholl: Herr Blome, Herr Scheffler, Sie diskutieren beide heute am Tag der Pressefreiheit und es ist schön, Ihnen zuzuhören, weil es auch ein gutes Zeichen für unsere Freiheit der Presse ist. Lassen Sie uns noch mal ein bisschen auf den Ton der Musik zurückkommen, der doch auch von Ihren beiden Blättern, wenn man so will, halten zu Gnaden, gemacht wird – umso stärker muss es doch auch um die Verantwortung gehen.

Herr Blome, wenn man Ihnen sagt, es ist eigentlich unverantwortlich, so ein bisschen auf die Gefühltube zu drücken, dem kleinen Mann zu sagen: Mensch jetzt guck mal, die Griechen, die nehmen uns den Euro weg. Und Herr Scheffler, Sie sozusagen sagen, zeichnet Staatsanleihen – Herr Blome sagt ja zurecht, ist ja jetzt, ist eine sichere Sache. Wie schlecht oder wie gut ist es für die öffentliche Diskussion, wenn der Ton auch diese politische Musik bestimmt? Herr Blome?

Nikolaus Blome: Der Ton macht immer die Musik, aber wir lassen uns als Zeitung, als "Bild"-Zeitung, nicht in die nationalistische Ecke rücken und auch nicht in die Anti-Europa-Ecke. Die Zeitung, für die ich arbeite, die "Bild"-Zeitung, hat glaube ich mindestens so sehr wie alle anderen Zeitungen, wenn nicht mehr, für den Euro gekämpft, für seinen Erhalt, und hat auch für den Euro in der – anfangs zumindest – doch recht skeptischen deutschen Bevölkerung geworben, mehr als manche sogenannte Qualitätszeitungen.

Scholl: Was antworten Sie, Herr Scheffler?

Sven Scheffler: Also ich glaube schon, dass der Ton sehr, sehr wichtig ist. Der Ton der "Bild"-Zeitung ist immer ein wenig aggressiver, das ist in allen Themen so, das meine ich gar nicht wertend, wie es so klingt – das ist ein sehr direkter Ton. Wir haben uns ganz bewusst von unserer Linie, die wir als Wirtschaftszeitung generell pflegen, ein wenig abgewendet, wir sind sonst immer sehr, sehr ruhig, zurückgelehnt und sachlich und haben gesagt, in dieser Notsituation müssen wir ein Zeichen setzen. Das ist ein bisschen Stück weit Leadership übernehmen, das ist, there is no leadership without risk. Und dieses Risiko gehen wir in dieser Debatte halt auch ein.

Scholl: Verraten Sie uns die Schlagzeilen der morgigen Ausgaben Ihrer Blätter? Herr Blome, was haben Sie?

Nikolaus Blome: Wir sind noch nicht ganz sicher, aber ich glaube nicht, dass es Griechenland wird, ich weiß es aber ehrlich gesagt noch nicht genau. Wir haben noch einen langen Tag vor uns, das ist das Gute an der "Bild"-Zeitung, der Redaktionsschluss ist spät und darum die Zeitung aktuell.

Scholl: Herr Scheffler?

Sven Scheffler: Wir werden uns mit Griechenland beschäftigen und zwar, dass Griechenland eine Zerreißprobe droht wegen des doch sehr harschen Sparprogramms. Und ob sie das durchsetzen können, das wird jetzt die große Frage und das wird auch die Frage sein, die Anleihenmärkte beruhigen kann oder in Aufregung bringen kann.

Scholl: In Sachen Griechenland "Bild"-Zeitung contra "Handelsblatt", das waren Nikolaus Blome, Leiter der Parlamentsredaktion der "Bild"-Zeitung, und der Chefredakteur von "Handelsblatt Online", Sven Scheffler. Ich danke Ihnen beiden!

Sven Scheffler: Vielen Dank!

Nikolaus Blome: Bitte schön!