Klangmagie und symbolisch aufgeladene Motive

15.02.2011
Im Jahr 1959 ging der Nobelpreis für Literatur an den Italiener Salvatóre Quasímodo. Anhand einer vorbildlich gestalteten, zweisprachigen Ausgabe ist seine Lyrik jetzt auch bei uns neu zu entdecken.
Einen Vers des sizilianischen Dichters Salvatore Quasimodo (1901-1968) kennt fast jeder in Italien auswendig: Die Wendung "Und gleich ist es Abend" hat es zum geflügelten Wort gebracht. Anhand einer vorbildlich gestalteten, zweisprachigen Ausgabe ist der Nobelpreisträger von 1959 jetzt auch bei uns neu zu entdecken. Die kundig kommentierte Auswahl bietet einen Querschnitt durch das Werk; rund die Hälfte der 110 Texte kann man zum ersten Mal auf Deutsch lesen.

Der ehemalige Landvermesser und spätere Literaturprofessor Salvatore Quasimodo gilt als großer Repräsentant des Hermetismus, einer Strömung, die an das Erbe des Symbolismus anknüpft und das Gedicht als Chiffre begreift. Quasimodos Klangmagie, die symbolisch aufgeladenen Motive wie Wind, Wolke, Wasser, Licht, Baum, Sumpf, die syntaktischen Muster mit Verkürzungen, dem Verzicht auf Artikel und einem schillernden Gebrauch der Präpositionen passten in das Schema der neuen Richtung.

In den reimlosen, locker gefügten Versen spiegelt die Natur die Nöte des haltlosen lyrischen Ichs: "Stehendes Wasser, Schlaf der Sümpfe / in breiten Streifen zermahlst du Gifte, / abwechselnd weiß und grün in den Blitzen, / bist ähnlich du meinem Herzen." Immer wieder ist von existenzieller Einsamkeit als Voraussetzung für das schöpferische Schaffen die Rede, was mitunter zur Pose gerinnt. In einem Gedicht heißt es: "Schmerz wächst mir von Dingen, / die ich nicht kenne; es reicht nicht / ein Tod, denn siehe: mehrfach drückt / mit dem Gras aufs Herz mir die Scholle."

Auch wenn Christoph Ferbers Entscheidung, das Adverb "ecco" mit dem biblisch anmutenden "siehe" zu übersetzen, den emphatischen Charakter möglicherweise noch betont, steckt die manierierte Rhetorik doch im Original. Die Verknüpfung des abstrakten "Schmerzes" mit einem Konkreta wie "Scholle" verstärkt diesen Eindruck. Oft übertünchen derartige Konkretisierungen das gelungene Flirren eines Bildfeldes wie zum Beispiel in "Rast des Grases": "Überflutendes Licht, haltlose Wirbel, / Luftige Sonnenzonen, / Abgründe steigen empor: ich öffne die Scholle, / die mein ist und ruhe mich aus. Und schlafe: / seit ewig rastet das Herz / des Grases mit mir."

Die Anspielungen auf den Dichter Giacomo Leopardi mögen noch so dicht gesät sein – es spricht eben nicht Leopardi, nur sein gelehriger Schüler. Quasimodos Verhaftung in der dichterischen Tradition wirkt heute an vielen Stellen gekünstelt: als spiele jemand Mozarts Klarinettenkonzert auf der Blockflöte nach.

Quasimodos schönste Gedichte sind die über Sizilien. In den 40er-Jahren verdichten sich die Bezüge auf reale Ereignisse: Gekreuzigte Partisanen, trauernde Mütter und greinende Kinder bevölkern die Texte, die einfach gestaltet sind und ein größeres Publikum ansprechen sollen. Beeindruckend ist Quasimodos hellsichtige politische Haltung. Mit den Faschisten hat er sich nie gemein gemacht. Überzeugt von der ethischen Aufgabe der Dichtung, verstand er den Lyriker als aktiven Zeitgenossen mit bestimmten Pflichten. Auch dies mag ein Grund gewesen sein, weshalb ihm 1959 der Nobelpreis verliehen wurde.

Besprochen von Maike Albath

Salvatore Quasimodo: Gedichte 1920 – 1965. Italienisch – Deutsch
Ausgewählt und übersetzt von Christoph Ferber, mit einem Nachwort von Georges Güntert und Kommentaren von Antonio Sichera
Dietrich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2010
332 Seiten, 20 Euro