Kirgistan wählt Präsidenten

Weiterhin "Insel der Demokratie" in Zentralasien?

Der kirgisische Präsidentschaftskandidat Soroonbaj Scheenbekow (l) gibt am 15.10.2017 in einem Wahllokal in Bischkek (Kirgistan) seinen Stimmzettel ab.
Der frühere Regierungschef Soroonbaj Scheenbekow hat die besten Chancen bei der Präsidentenwahl in Kirgistan. © dpa-Bildfunk / AP / Vladimir Voronin
Von Edda Schlager · 12.10.2017
Präsident Almasbek Atanbayev darf in Kirgistan nicht mehr antreten am 15. Oktober. Nun gibt es weitgehend offene Wahlen über seine Nachfolge. Eine Ausnahme in Zentralasien. Trotzdem werden Medien geschlossen und Oppositionspolitiker benachteiligt.
Am Rande von Bischkek, der kirgisischen Hauptstadt. Im zweiten Stock eines unscheinbaren Bürohauses zwischen Autowerkstätten sitzen acht junge Leute an ihren Computerbildschirmen, einige mit Kopfhörern auf den Ohren. Dies ist die Redaktion des unabhängigen Fernsehsenders "Sentyabr" – "September".
Tatsächlich dürfen die Journalisten unter diesem Namen nicht mehr arbeiten. Denn im August wurde "Sentyabr" die nationale Sendelizenz für das Kabelfernsehen entzogen. Jetzt betreiben die Journalisten einen Youtube-Kanal unter dem neuen Namen "Zhalbyrak", zu Deutsch "Blatt" – das Logo des alten Senders.
Das Urteil, den Sender zu schließen, hält Chefredakteurin Kayrgul Urumkanova für rechtswidrig. Der Grund, der Sender habe Falschmeldungen verbreitet, sei ein politischer Vorwand:
"Warum schließen sie vor den Präsidentschaftswahlen den einzigen unabhängigen Fernsehsender des Landes? Weil sie Angst vor unseren Berichten haben. Regierung und staatliche Behörden wollen, dass der vom Präsidenten vorgesehene Nachfolger an die Macht kommt, ohne dass das jemand in Frage stellt oder gar dagegen vorgeht."
Am 15. Oktober wählen die Kirgisen einen neuen Präsidenten. Aussichtsreich sind vor allem zwei Kandidaten: Ex-Premierminister Sooronbay Jeenbekov, der die alte Regierung vertritt und in Kirgistan mit Noch-Präsident Almasbek Atambajew ein ähnliches Tandem bilden könnte wie Putin und Medwedjew in Russland.
Und der Milliardär Omurbek Babanov, ein 47-jähriger eloquenter Geschäftsmann, der viele Anhänger unter jungen Leuten hat.

Seit 2011 parlamentarische Demokratie mit freien Wahlen

Der derzeitige Präsident Almasbek Atambajew darf laut Verfassung nach sechs Jahren Amtszeit nicht mehr antreten. Er war 2011 gewählt worden, am Ende eines konstitutionellen Umbauprozesses nach dem gewaltsamen Sturz seines Vorgängers Kurmanbek Bakijew im April 2010. Per Verfassungsreferendum hatten die Kirgisen sich damals zu einer parlamentarischen Demokratie erklärt und im Oktober 2011 erstmals frei einen Präsidenten gewählt.

Seitdem gilt Kirgistan im Westen als eine "Insel der Demokratie" in Zentralasien, die umgeben ist von autokratischen Diktaturen wie Usbekistan oder Turkmenistan.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Spaziergang mit dem kirgisischen Präsidenten Almasbek Atambajew.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Spaziergang mit dem kirgisischen Präsidenten Almasbek Atambajew 2016.© AFP / VYACHESLAV OSELEDKO
Doch entspricht dieses Bild Kirgistans überhaupt der Realität? – Journalistin Kayrgul Urumkanova fürchtet, das Land entwickele sich eher wieder zur Autokratie zurück.
"Alle, die den Präsidenten kritisiert haben, sitzen im Gefängnis oder wurden mit enormen Geldstrafen belegt. Wer ihn kritisiert gerät unter Druck wie unser Sender."
Tatsächlich haben Repressionen der kirgisischen Regierung gegenüber Medien und Oppositionspolitikern in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen. Doch nicht nur Regimekritiker müssen die Macht der kirgisischen Behörden fürchten.

Usbekische Minderheit fühlt sich diskriminiert

Osch, im Süden Kirgistans. In einer Gegend, in der ausschließlich Usbeken wohnen, sitzen an einem Abend ein paar Nachbarn zusammen. Sie alle gehören zur usbekischen Minderheit, haben den kirgisischen Pass. Der Völkermix im Ferganatal, einer der furchtbarsten Gegenden ganz Zentralasiens, gehört seit Jahrhunderten zum Alltag der Menschen hier. Doch das Zusammenleben war nicht immer friedlich. Zuletzt starben im Jahr 2010 bei ethnischen Konflikten von Kirgisen und Usbeken in Osch mehrere Hundert Menschen, die meisten davon Usbeken. Obwohl sich die Lage seitdem beruhigt hat, fühlen die Usbeken sich durch die Behörden diskriminiert. Denn die staatlichen Institutionen sind durchweg mit Kirgisen besetzt. Der 70-jährige Aden Nurmatov erzählt, wie sein Neffe Gafurdzhan durch kirgisische Polizisten erpresst wurde.
"Eines Abends sind sie gekommen und haben ihn mit aufs Revier genommen, mehrfach geschlagen. Er sollte irgendwie in Extremismus verwickelt sein. Sie zwangen ihn, eine Nummer in Syrien anzurufen, und das sollte der Beweis sein. Dann wollten sie ein paar Hundert Dollar, damit sie ihn frei lassen."
Stattdessen wandte sich die Familie an den Rechtsanwalt Valerian Vahitov. Er betreibt eine Rechtsberatung und hilft vor allem Usbeken beim Kampf gegen die Behörden. Mit seiner Hilfe kam Nurmatovs Neffe Gafurdzhan ohne Strafverfolgung frei. Doch der Onkel ist dennoch unzufrieden:
"Wir haben acht Monate lang gekämpft, doch niemand aus der Polizei oder der Staatsanwaltschaft wurde zur Rechenschaft gezogen."
Nurmatovs Rechtsanwalt Valerian Vahitov erkennt durchaus an, dass die Regierung unter Präsident Atambajew versucht, die ethnischen Konflikte nicht wieder ausbrechen zu lassen. Denn auch die Regierung weiß, dass diese die junge Demokratie erneut erheblich destabilisieren könnten. Doch Vahitov sieht große Defizite bei der Umsetzung.
"Die Bevölkerung traut weder Richtern, noch Rechtsschutzorganen. Unser gesamtes Rechtssystem ist auf Verwandtschaftsbeziehungen aufgebaut, auf Clanzugehörigkeit. Wenn ein neuer Präsident kommt, hat der vielleicht gute Ideen, aber die werden durch Korruption und Vetternwirtschaft völlig zunichte gemacht."
Blick auf die Innenstadt von Bischkek
Bischkek ist die Hauptstadt Kirgistans, einer der ärmsten Ex-Sowjetrepubliken.© picture alliance/ dpa

Proteste angekündigt, wenn Ex-Regierungschef gewinnt

Genau diese Verpflichtung von Politikern gegenüber zahlreichen Interessengruppen sieht auch der deutsche Kirgistan-Experte Alexander Wolters als entscheidendes Problem bei der demokratischen Entwicklung des Landes. Der Soziologe lebt seit mehreren Jahren in Bischkek und hat Lehraufträge verschiedene Universitäten. Selbst wenn ein neuer Präsident Willens sei, das Land zu reformieren, stoße er an Grenzen.
"Sobald ich in der Machtposition bin, fühle ich mich mit informellem Druck konfrontiert, jetzt endlich mit Stellen zu versorgen, Aufträge abzugeben, Positionen neu zu besetzen, und beschäftige mich dann auch nur damit, und habe gar nicht die Möglichkeit, die Ressourcen, die ich dachte, anfangs für die Kampagne mobilisiert zu haben, jetzt in die Reform des Staatswesens zu stecken."
Journalistin Kayrgul Urumkanova appelliert an den Westen, die Entwicklung Kirgistans nicht zu verklären.
"Es ist schwer vorherzusehen, wie das Land reagiert, sollten die Standards einer freien Wahl gebrochen werden. Wir sind dabei, jeglichen Respekt gegenüber EU, OSZE oder UNO zu verlieren, weil diese Institutionen scheinbar die Augen vor den aktuellen Rechtsbrüchen verschließen. Wie kann man denn übersehen, was hier gerade passiert?!"
Unterstützer des aussichtsreichen Kandidaten Babanov haben bereits landesweite Proteste angekündigt, sollte Sooronbay Jeenbekov, der Ex-Regierungschef und Favorit des jetzigen Präsidenten, gewinnen. Tatsächlich ist in Kirgistan vor dieser Wahl wirklich vieles weitgehend offen.
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