Kinokolumne Top Five

Die besten Filme der "Berliner Schule"

Szene aus dem Film "Toni Erdmann" mit Peter Simonischek und Sandra Hüller, der beim Filmfest München gezeigt wird
Szene aus "Toni Erdmann" mit Peter Simonischek und Sandra Hüller © Filmfest München 2016
Von Hartwig Tegeler  · 19.08.2017
Vor rund 20 Jahren entstand die "Berliner Schule". Die Filmemacher Valeska Grisebach, Maren Ade, Christoph Hochhäusler, Thomas Arslan oder Christian Petzold werden in diese Schublade gesteckt. Unser Filmkritiker hat die fünf besten ihrer Art herausgesucht.

Platz 5: Toni Erdmann von Maren Ade (2016)

Wenn die Tochter, in Bukarest Unternehmensberaterin, auf ihren Vater trifft, da in der rumänischen Hauptstadt, und er mal wieder einen seiner skurrilen Scherze vom Stapel lässt, die aberwitzige Perücke aufsetzt und die falschen Zähnen in den Mund nimmt und Tochter Ines fragt, ob sie denn hier glücklich sei. Und die nur fragt, was der Alt-68er denn mit Glück meine, dann macht Maren Ade ein großes Fass auf: Was ist Glück?
Ist der Zustand von Glück irgendwie gebunden an einen Ort? Die einzige Therapie findet Ines in ihrer Entfremdung von ihrem Leben am Ende in der absurden Geste, sich die falschen Zähne des Vaters rein zu tun und die Mütze von Oma auf den Kopf zu ziehen. Erinnerung an Kindheit, als sich etwas noch als Heimat anfühlte? Frage, auf die Maren Ade in "Toni Erdmann" antwortet mit einer Frage: "Was findest denn du lebenswert? Wenn du schon die großen Themen hier hochbringst?"

Platz 4: Unter dir die Stadt von Christoph Hochhäusler (2010)

Frankfurt. Der oberste Banker schickt einen Untergebenen in ein fremdes Land, um an dessen Frau zu kommen. Die Figuren führen hier ein Leben in einer Welt hinter Spiegeln; die Realität, in der sie sich bewegen, hat keine Sinnlichkeit mehr wie die von Ines in "Toni Erdmann". Sie ist konsequent ausgedörrt von Wirklichkeit. Von Heimat. Am Ende, die neue Frau des mächtigen Bankers, am Fenster. Auf der Frankfurter Straße laufen schreiend Menschen. Es hat angefangen, sagt die Frau. Ist "Unter dir die Stadt" ein Zombiefilm?

Platz 3: Jerichow von Christian Petzold (2008)

Jerichow, Ostdeutschland. Imbissbudenbesitzer Ali, Ehemann der schönen Blonden Laura, dazu Thomas, Afghanistan-Krieg-Veteran. Der Türke Ali, Besitzer von 45 Imbissbuden, hat hier, in den leeren Weiten der ehemaligen DDR, viel Geld, aber nie eine Heimat gefunden. Der Entwurzelte will zurück. Er habe sich ein Grundstück in der Türkei gekauft. "Als Ferienhaus?" fragte Thomas seinen Chef und vielleicht - aber nur vielleicht! - Freund. Nein, sagt Ali. "Soll für immer sein." Wie in der Vorlage zu "Jerichow" - James M. Chains Geschichte "Wenn der Postmann zweimal klingelt" - zerschlägt Christina Petzold nicht nur die geldgierigen Träume von Laura und Thomas, sondern auch die von Ali, dessen Herz in der Fremde, in Deutschland, krank geworden ist. Türkei, Deutschland, Heimat - alles bleibt in der Realität wie in der Nostalgie ein Ort, an dem wir nicht sind.

Platz 2: Drei Leben von Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler (2011)

Triptychon im Thüringer Welt. Drei Spielfilme, die sich, ausgehend vom Fall des entflohenen Frauenmörders, verzahnen, die am gleichen Ort spielen, von Unterschiedlichem erzählen, immer aber mit dem Bezug zum Wald. Diesem Ort der Ablagerung von Geschichte, von Mythen. Heimat, von den Nazis ideologisch besetzt. Im "Drei Leben"-Projekt wird der Heimatbegriff von zwei Regisseuren aus der Berliner Schule, Petzold und Hochhäusler, und ihrem "Altvorderen", Dominik Graf, zurückgeführt auf die Heimat als Sehnsuchtslandschaft der deutschen Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts. "Der Wald hat doch, obwohl der so schön und geordnet daherkommt," sagt Dominik Graf, "er trotzdem doch, was aus ihm kommt, was in ihm ist, eine Finsternis." Heimatfilm, weit, sehr weit entfernt vom "Förster im Silberwald".

Platz 1: Gold von Thomas Arslan (2013)

Sommer 1898, Kanada. Emily Meyer - Nina Hoss - schließt sich einer Gruppe deutscher Auswanderer an, um nach Dawson, zu den Goldfeldern am Klondike zu gelangen. Durch die Wildnis. Zu Pferd. Es werden nicht viele ankommen. Wie sagten die Bremer Stadtmusikanten: "Etwas Besseres als den Tod findest du überall." Grundthema von Migration, Verlust der Heimat, Utopie einer neuen.
Heimatsuche im weiten Raum, in der die Menschen als kleine Punkte kaum auszumachen sind. Als ob sie schon verloren wären. Am Ende wird einer aus der Gruppe in dieser Weite wahnsinnig und läuft in den Wald, der unendlich ist. Überlebenskampf, das hältst du nur mit einem emotionalen Panzer durch. Als das Ziel fast in Sicht ist, darf Nina Hoss heraus aus dem Panzer und hinaus in die Freiheit galoppieren. Irgendwo da, hinter dem Hügel oder dem nächsten könnte die neue Heimat liegen. Oder nur eine Goldader?
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