Kino

Vom Ringen um Verantwortung

Wolken ziehen über eine Alm bei Oberstaufen im Allgaeu in Bayern.
Wolken ziehen über eine Alm in Bayern. © picture alliance / Julian Stratenschulte
Von Bernd Sobolla · 16.06.2014
Über zehn Jahre hat der Filmemacher Matti Bauer den Lebensweg einer bayerischen Jungbäuerin verfolgt. Herausgekommen ist nicht nur ein Porträt, vielmehr wird der Überlebenskampf eines traditionellen Familienbauernhofs reflektiert.
"Also wenn es nach moine Eltern gangen wär, dann wär i seit fünf Jahre verheirat und hätt daheim den Hof und hätt fünf Kinder. I denk, man muss vielleicht nicht grundsätzlich alles in den Wind schießen, was die Eltern sogen, aber muss schon ein bisserl sein eigenes Leben leben."
Uschi ist Anfang 20, hat blonde Haare, zupackende Hände, ein strahlendes Lächeln und spricht – so wie alle in ihrer Familie – einen starken bayerischen Dialekt. So dass sich Regisseur Matti Bauer entschloss, den Film mit Untertiteln zu versehen. Der Filmemacher lernte sie vor rund zehn Jahren kennen: Ein Bekannter hatte ihm von einer Sennerin namens Uschi vorgeschwärmt. Sennerinnen leben auf der Alm, wo sie Kühe und Ziegen hüten und deren Milch zu Käse verarbeiten.
Matti Bauer: "Und die Sennerinnen sind so freiheitsliebend, so besondere Frauen, die unabhängig sein wollen und es auch sind. … Habe ich mir gedacht: 'Okay, das scheint eine interessante Frau zu sein. Fahren wir doch mal hin!'"
In der Einsamkeit der Alm angekommen ist er fasziniert von Uschis offener Art und von ihrer pragmatischen Alltagsphilosophie.
"I denk, dass jeder grundsätzlich für sich allein sein könn muss. Das gilt ja nicht nur für die Alm, das gilt unten auch. Also wenn ma das net schafft, dass man irgendwann mal allein is, don kemmet man mit sich selber net zurecht."
Nur wer allein leben kann, bewältigt auch die Anforderungen des Lebens. Und davon kommt einiges auf Uschi zu. Von Anfang an schwebt die entscheidende Frage über der Familie und damit auch über dem Filmprojekt: Wird Uschi den Hof der Eltern übernehmen? Oder endet mit dem Ruhestand der Eltern auch die familiäre Tradition? Uschi drückt sich zunächst vor der Antwort. Und ihr Vater kann nur lachen.
"Ja, wie schaut es denn aus mit der Hofübergabe? Mei."
"A Bäuerin braucht a Bauer"
Die Mutter hingegen sieht ein grundsätzliches Problem.
"Allein, als Frau kann man es eigentlich nicht gut schaffen. Es ist einfach: Ein Bauer braucht eine Bäuerin, und a Bäuerin braucht a Bauer."
"Still“ war nicht gleich als Langzeitprojekt geplant, sondern entwickelte sich dazu eher zufällig: Zwei Sommer besuchte Matti Bauer die Protagonistin auf der Alm und wollte sich dann dem Vater widmen, der auf dem Hof auch eine kleine Schnapsbrennerei betreibt.
"Und dann kamen wir dann da im Winter an, das Team, und die Uschi war plötzlich schwanger und hatte mir nichts davon erzählt. … Also einerseits hat sie dann gesagt, sie will gar nicht mehr gefilmt werden. Dann waren wir erst einmal baff, erstaunt und haben geschluckt, haben sie dann aber doch davon überzeugt mit zu machen. Und ab da dachte ich mir, das könnte vielleicht einen längeren Film geben."
Allerdings machte Uschi nur unter einer Voraussetzung weiter:
"Wenn ich den Hof meiner Eltern nicht übernehme, dann machst du den Film auch nicht weiter, weil ich will nicht diejenige sein, die sozusagen die Loserin ist in dem ganzen Spiel."
"Still“ ist ganz in Schwarz-Weiß-Bildern gehalten, um nicht das Pathos von alten Berg- und Heimatfilmen aufkommen zu lassen. Darüber hinaus handelt es sich nicht nur um ein Porträt, sondern auch um ein Werk, das den Überlebenskampf eines traditionellen Familienbauernhofs reflektiert. Man fühlt, dass es nicht nur um eine wichtige familiäre Entscheidung geht, sondern auch um den Erhalt einer Tradition.
"Man braucht schon Idealismus, vor allen Dingen bei unserer Betriebsgröße. Das ist ja nicht zu einfach zu bewirtschaften. Es ist eher, dass ich es schod fand, wenn man aufhört. Weil es doch a Stück Kulturgut ist."
Ein Film voller Atmosphäre
Matti Bauer und sein Kameramann Klaus Lautenbacher haben viele schöne Szenen gefilmt: Wenn Uschi die Milch zu Käse schlägt und mit den Händen formt, wenn das Obst geerntet wird oder das Zimmer für Uschis Baby hergerichtet wird, sprüht der Film voller Atmosphäre. Und dann kommt auch noch Überraschendes zutage, als der Regisseur die Mutter fragt:
"Würdest du eigentlich in deinem Leben was anders machen? / Allos! / Alles? / Jo. / Lacht. / Jetzt bist du überrascht, gel? / Lacht. Allos! Jo! / Nämlich? Warum? / Weil es mir so nicht gefallen hat. Ganz einfach. Ganz einfach. Alles würd i anders mochn. Aber hinterher ist mo immer gescheiter mit allem. / Bist du unglücklich? / Na, des bin i net."
Die Stärke des Films beruht darüber hinaus auf den Blicken, Gesten und dem inneren Ringen der Protagonisten um Verantwortung. Und irgendwie geht es auch um das nahende Ende einer Epoche, wie es Matti Bauer ausdrückt.
"Als ich angefangen habe zu filmen mit der Uschi, da gab es noch viel mehr solche Höfe, wie sie einen hat. Erst mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das eigentlich was ganz Besonderes langsam wird. … So ein ganz normaler Bauernhof mit 20, 30 Kühen, … die Wiesen, die Kühe drauf und so was, das hat es früher immer gegeben. Das gibt es jetzt kaum noch. Jetzt stehen da Pferde oder gar nichts oder ein Discounter."
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