Kino - "Magical Mystery, oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt"

"Der Film ist sicher mehr auf Witz gestrickt als der Roman"

Sven Regener und Arne Feldhusen im Gespräch mit Susanne Burg  · 26.08.2017
Rückkehr in Sven Regeners "Herr Lehmann"-Universum: In "Magical Mystery" unternimmt eine Handvoll Techno-Freaks einen abenteuerlichen Roadtrip durch das Deutschland der frühen 90er. Regeners literarische Vorlage verfilmte Regisseur Arne Feldhusen. Ein Gespräch.
Susanne Burg: Es sind gerade gute Zeiten für Sven-Regener-Fans: Am 7. September erscheint Regeners neuer Roman "Wiener Straße" – und davor, am Donnerstag, kommt sein letzter Roman als Verfilmung in die Kinos: "Magical Mystery, oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt". Charly Hübner spielt darin eben jenen Karl Schmidt, der nach einem langen Psychiatrie-Aufenthalt in einer Drogen-WG in Hamburg lebt. Zufällig trifft er seine alten Kumpels wieder. Die sind mittlerweile – es ist Mitte der 90er-Jahre – Stars der deutschen Techno-Szene. Sie wollen auf große Tour gehen und suchen einen Fahrer, einen, der immer nüchtern bleiben muss. Und so heuern sie Karl Schmidt an. In einem Tourbus geht’s los – und vor einem Auftritt gibt einer von ihnen, Ferdi, Instruktionen.
Sven Regener hat für die Verfilmung auch das Drehbuch geschrieben. Regie geführt hat Arne Feldhusen. Ich habe mit beiden gesprochen. Und wollte erst mal von Arne Feldhusen wissen, was seine erste Reaktion war, als er die Romanvorlage gelesen hat.
Arne Feldhusen: Das Erste, was mich total wahnsinnig gemacht hat, waren die Dialoge. Da waren Dialoge, die über mehrere Seiten gingen und fast was Dadaistisches hatten und auf den ersten Blick erst mal wenig Sinn gemacht haben, aber an denen ich unfassbar viel Spaß hatte. Das sind Dialoge, die jetzt so gar nicht unbedingt im Film sind, aber das waren die Sachen, die mir beim ersten Lesen unfassbar viel Spaß gemacht haben.
Burg: Sven Regener, Sie haben ja das Drehbuch geschrieben. Der Roman wird ja erzählt aus der Ich-Perspektive und hat so einen sehr lakonischen Humor. Wie schwierig war es dann, diese Ich-Perspektive in Dialoge in Dialoge zu verwandeln? Weil ja auch … Aus der Ich-Perspektive wird ja viel die Back Story erzählt, viel die Persönlichkeit etabliert und so.
Der Sänger Sven Regener beim Melt! Festival in Ferropolis
Der Sänger Sven Regener bei einem Auftritt. Von ihm stammt die Vorlage zu "Magical Mystery, oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt"© imago/STAR-MEDIA
Sven Regener: Ja, man muss da viel wegfallen lassen, vieles geht dabei auch verloren. Wie bei jeder Buchverfilmung ging auch hier viel verloren, dafür gewinnt man andere Dinge. Man sieht die Leute richtig so und die kriegen ein Gesicht und so, man hat Schauspieler, die natürlich sehr viele Unbestimmtheitsstellen dann auch füllen. Auch die Dialoge sind ja beschränkt, die Dialogmöglichkeiten sind ja im Film sehr viel beschränkter als im Roman, weil man ja auch in der Regel ein Zeit- und Formatproblem sonst bekommt und auch natürlich die Sache ein Zwangstiming hat.
Das heißt, es ist auch eine Frage des Tempos und des Timings und dieser Sachen. Das bedeutet für einen Drehbuchautoren eigentlich, dass man das über mehrere Stufen auch eindampft und versucht, die wesentlichen Sachen, die unbedingt sein müssen, im Film zu retten. Dadurch verschieben sich teilweise auch die Gewichte der Figuren und so. Aber man muss eben sehen, dass man auch das, was man auf der einen Seite einbüßt, auf der anderen Seite eben bei Filmen auch besondere Stärken hat, eben dann wieder rausholt. Und das ist zum Teil Aufgabe des Drehbuchautors, aber zum großen Teil auch Aufgabe des Regisseurs. Und das ist dann die Herausforderung, dass man das irgendwie kompensiert.

Die hatten irgendeine Vision

Burg: Wie Sie schon sagten, man muss dann ja auch Bilder finden. Das spielt in der Techno-Szene Mitte der 90er-Jahre und es gibt eindeutige Indizien, ein gigantisches Handy, die Klamotten auch so ein bisschen, wobei man auch denken könnte: Könnte auch irgendwie arg überzeichnet sein. Wie stark sollte der Film denn in den 90ern verankert sein und wie auch so ein bisschen zeitlos?
Feldhusen: Das sollte eine Grundlage sein, er sollte da verankert sein, aber ich habe nicht versucht, den Fokus darauf zu legen. Der Fokus liegt nicht unbedingt auf den Klamotten oder so, sondern auf den Figuren und wie sie zu der Zeit drauf waren. Und das war das Interessante. Die hatten irgendeine Vision so, die hatten ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das unschlagbar war, was dem Charly ja wahnsinnig entgegenkommt, und darauf sollte der Fokus liegen.
Burg: Ich frage auch deswegen, weil ich mich frage, ob sich aus heutiger Perspektive der Blick auf die 90er-Jahre auch ein bisschen verändert hat auf diese Aufbruchsstimmung, die es gab, aber natürlich auch alles, was damit verbunden war, diese ganze Partykultur, die ganze Drogenkultur et cetera.
Regener: Ja gut, ich meine, das ist ja für Kunst immer wichtig, dass man eine gewisse Distanz hat zu den Dingen, von denen man erzählt oder von denen das Werk handelt, weil man sonst leicht zu unkritisch ist und einfach nur sozusagen ein langweiliges Ding kommt, wenn man sozusagen eigentlich nur apologetisch unterwegs ist oder so. Das finde ich in solchen Sachen, also gerade bei Romanen, Theaterstücken und Filmen sehr wichtig, dass man nicht das Gefühl hat, da werden Pappfiguren herumgeschoben, die für eine Zeit stehen oder so was. Das ist dann einfach nur blöd.
Weil, die Gegenwart ist immer gegenüber der Vergangenheit ein bisschen arrogant und man denkt immer, man sei heute so viel schlauer. Das führt oft dazu, dass man, wenn man historische Stoffe macht, dass man dann urteilt und dass man der Meinung ist, man müsste so eine Meinung haben zu den Sachen. Und das ist ganz falsch, ganz, ganz falsch. Besser ist es, man erzählt davon, die Leute können sich ja selber ihre Meinung bilden oder eben auch nicht. Und das macht den Unterschied zwischen guten und schlechten Filmen aus.
DJ Westbam in einem Gastauftritt im Film "Magical Mystery, oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt"
DJ Westbam in einem Gastauftritt im Film "Magical Mystery, oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt"© DCM/Gordon Timpen
Feldhusen: Zu der Zeit noch mal: Mir hilft das, glaube ich, auch, die 90er noch mal so ein bisschen besser zu begreifen, weil die 80er für mich viel klarer sind so im Nachhinein, was da passiert ist und worauf die sich so geeinigt haben oder was da passiert ist. Und in den 90ern, ich habe die so durchgelebt. Und da, fand ich, half die Geschichte so, überhaupt diese ganze Auseinandersetzung mit dem Stoff und dem Film, mich den 90ern noch mal so ein bisschen besser zu widmen. Ich fand das sehr inspirierend tatsächlich.

Die Macht des Zuschauers

Burg: Weil Sie sagen, die 90er: Das ist ja dann auch noch mal die Techno-Szene und die war ja auch in so einer schizophrenen Situation. Auf der einen Seite war es wirklich eine Massenbewegung und gleichzeitig gab es ja auch immer dann, die das überhaupt ernst genommen haben, die sich auch immer lustig gemacht haben über diese ganze Kultur. Nun ist der Roman oder der Film ja auch, da ist ja noch so eine Brechung durch Karl Schmidt, weil der ja nun auch keine Drogen nimmt und aus seiner Perspektive heraus diese ganze Szene lustig erscheint. Wie schwierig war es, diese Gradwanderung zwischen Humor, aber sich nicht lächerlich machen zu halten?
Regener: Ja, der Film ist sicher mehr auf Witz gestrickt als der Roman, das ist mal klar. Schon einfach, weil die Perspektive teilweise eine andere ist. Und das liegt in der Natur der Sache so ein bisschen. Aber letztendlich ist es so, über was lacht man? Lacht man über Leute, mit denen man sich identifiziert hat, lacht man auch über sich selbst? Auf diese Weise sind sie dann nicht lächerlich. Sie sind dann zwar lächerlich, aber auf eine sympathisierende Weise. Oder kann man sich mit diesen Leuten überhaupt nicht identifizieren, dann lacht man, wenn man dann lacht, eigentlich nur noch über: Guck mal, die Idioten!
Das liegt aber im Ermessen des Betrachters sozusagen, was er daraus macht. Und dieses Risiko geht man immer ein. Es liegt sehr viel mehr Macht beim Rezipienten, als wir auch selber oft wahrhaben wollen. Wir sagen dann: Ja, hier ist eine Komödie oder ein heiteres Drama oder was immer das jetzt hier ist. Was haben wir eigentlich hier? Eine Komödie? Nein. Ein heiteres Drama, so wie "Don Giovanni" so ein bisschen, außer dass am Ende kein steinerner Gast kommt, also keiner untergeht. Aber die schrammen ja immer so knapp vorbei, man denkt immer, das kann nicht gutgehen, was die da machen, das wird böse enden, denkt man die ganze Zeit. Und das ist so ein bisschen die Grundspannung in dem Film und das, finde ich, ist dann doch am Ende ganz gut gelungen.

Reise des Kollektivs

Burg: Sie habe ja schon erwähnt, dass Karl Schmidt auch so eine Reise macht, eine innere Entwicklung, und das Ganze natürlich bei einer Tour, also, was ja auch irgendwie so eine Art Road Trip ist, auch wenn natürlich das Phänomen der Band-Tour noch ein bisschen anders ist. Aber so dieser Road Trip ist ja im Film sehr etabliert, das Road Movie als Genre. Inwieweit haben Sie sich angelehnt so ein bisschen?
Feldhusen: Ich habe jetzt nicht diesen Fokus unbedingt auf das Road Movie gelegt, sondern auf so eine Reise eines Kollektivs, mit der Charly umzugehen hat und sich entwickeln kann. Eher da lag so das Ziel drin.
Regener: Was eine ziemlich genaue Beschreibung für ein Road Movie ist. Also, ja, natürlich. Ich meine, das ist die ganze Idee: Du machst eine Reise und danach bist du nicht mehr derselbe. Das ist ja die …
Feldhusen: Vorbildern oder so, aber …
Szene aus dem Film "Magical Mystery"
Szene aus dem Film "Magical Mystery"© DCM/Gordon Timpen
Regener: Ja klar, Vorbilder ist immer schwierig. Das ist immer schwierig, aber letztendlich ist das genau der Punkt: Der kariolt da mit einer ziemlich seltsamen Gruppe von Leuten sozusagen, marodieren sie da einmal quer durchs Land und versuchen etwas … Natürlich ist das eigentlich eine Rock-'n'-Roll-Tour. Aber als eigentlich Techno-Leute versuchen sie, das zu machen, sie versuchen, wir machen das jetzt auch mal, so wie man irgendwann im Techno ja auch den Begriff "Das rockt!" oder so, oder Rocker teilweise … Ja, und Rocker von Alter Ego, also als Titel auch für einen Track und so …
Dass man einfach diese ganzen Sachen sich auch aneignet, diesen ganzen Hippie-Kram, der ja immer mit Road … also mit Bewegung zu tun hat, diese ganze Further-Geschichte, hier Electric Kool-Aid Acid Test und diese Geschichten, das sind ja alles Vorbilder auch für die ganzen Techno-Leute auch gewesen. Auch der ideologische Unterbau, den man später da reinzog, das ist ja was, was der Ferdi auch die ganze Zeit sagt. Im Grunde genommen knüpfen sie genau an den richtigen Punkten auch an und machen das auf ihre Weise. Und Charly benutzt das gleichzeitig und das ist eben der andere Teil der Geschichte, dass er, um sozusagen zurück in ein normales, selbstbestimmtes Leben zu führen, was sozusagen der unwahrscheinlichste Ansatz überhaupt ist, also weiter so zu sagen …
Unlogischer kann man eigentlich nicht vorgehen, was aber auf eine seltsame Weise zu funktionieren scheint. Also, woran man sieht, dass man eben so was vorher nicht unbedingt vorhersagen kann, was der richtige Weg ist für so einen, der eben auch irre war und auch daran noch zu knapsen hat, wie er wieder einigermaßen in so normales, selbstbestimmtes Leben zurückführt. Dass es eben auch über solche Freaks gehen kann, also über die ganz falschen eigentlich. Ich denke immer so an den Cassady, der damals diesen Bus fuhr für diese Ken-Kesey-Leute.
Wo man auch denkt, warum jetzt gerade der, der kommt doch aus einer anderen Zeit und so! Insofern hat das natürlich viel damit zu tun, aber man hat nie das Gefühl, dass man das so verkaufen will, sondern letztendlich ist das eben trotz alledem, obwohl das eben keine Ich-Erzählung ist oder so, merkt man immer noch, dass da dieser wichtige Handlungsstrang ist, was eigentlich in diesem Charly passiert, und dass das sozusagen auch die Klammer ist für die ganzen Erlebnisse, die sie da haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. DLFKultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen. (gem)
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