Kindern Lust aufs Zeitungslesen machen

Günter Rager im Gespräch mit Nana Brink · 01.03.2013
Derzeit wachse nur noch die Hälfte aller Kinder in einem Zeitungshaushalt auf, sagt der Zeitungsforscher Günter Rager. Insofern müssten sich die Journalisten auch um die kleinsten Leser bemühen und beispielsweise attraktive Kinderseiten gestalten.
Nana Brink: Heute ist es passiert: Die "Frankfurter Rundschau", so, wie sie der Stammleser gewohnt war, ist Geschichte. Seit heute ist sie Bestandteil des Verlages der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", zwar mit eigenem Titel noch und eigener Redaktion – 27 Redakteure –, aber für viele ihrer Stammleser, und das waren viele, die seit den 68-ern mit ihr groß geworden sind, natürlich ein Grund zum Heulen. Bleibt die Frage: Gibt es das eigentlich noch, dass eine bestimmte Generation eine bestimmte Zeitung liest? Und das will ich jetzt besprechen mit Professor Günter Rager, Zeitungsforscher. Er leitet das Media Consulting Team in Dortmund, das unter anderem Zeitungsprojekte für Schulen entwickelt. Schönen guten Morgen, Herr Rager!

Günter Rager: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Die "taz" hat heute eigentlich eine ganz tolle erste Seite, da steht "Frankfurter Rundschau", aber nicht üblich, sondern "Frankfurter Rundschau" in den Lettern der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben.

Rager: Ja, sieht schön aus.

Brink: Sie haben es auch gesehen?

Rager: Ja, ich habe es auch gesehen.

Brink: Das hat mich im ersten Moment komplett irritiert, weil ich dachte: Was ist denn das eigentlich? Und dann habe ich genauer hingesehen, das führt mich zu der Frage: Gibt es das eigentlich heute noch, so etwas wie eine Zeitgeist-Zeitung, nenne ich das jetzt mal?

Rager: Ich glaube, nicht wirklich. Also Zeitgeist-Zeitung heißt ja, dass jetzt eine bestimmte Ideologie, sage ich jetzt mal, dahintersteckt, dass eine bestimmte Meinung dahinter steckt, und das die Menschen, die damit leben, dass das ihr Lebensgefühl ausdrückt. Und ich glaube, das ist das Problem fast aller Tageszeitungen, dass es ihnen nicht gelingt, das Lebensgefühl der Menschen so auszudrücken wie zum Beispiel auf den Zeitschriftenmarkt, Landlust für die Leser der "Landlust".

Brink: Obwohl ich das Gefühl habe, bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" funktioniert das schon noch.

Rager: Ja, das heißt nicht, dass alle Zeitungen schlechte Arbeit machen oder so. Das heißt nur, dass es sehr viel schwieriger geworden ist, so was zu erzeugen wie Lebensgefühl, und das tatsächlich das ausdrückt, was diese Vielzahl der unterschiedlichen Leserinnen und Leser, die eine Zeitung hat, tatsächlich auch gleichmäßig ausdrückt. Das ist, glaube ich, das wirkliche Problem. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ist relativ erfolgreich auf dem Markt, die "Süddeutsche" ist relativ erfolgreich auf dem Markt, die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" hat vielleicht am ehesten noch so eine Lücke entdeckt, wo sie das Lebensgefühl mancher Menschen ausdrücken kann.

Brink: Früher nannte man das ja ganz altmodisch Leser-Blatt-Bindung. Wie funktioniert denn das heute? Funktioniert es überhaupt noch?

Rager: Ja, das funktioniert schon noch bei vielen Lesern, die an die Zeitung gewöhnt sind. Das kennen wir aus vielen Untersuchungen, dass die hochzufrieden sind mit ihrer Zeitung, egal wie die ist, und auch egal, wie die Eigentumsverhältnisse wechseln. Das ist eine Bindung an die Marke, das setzt aber voraus, wie jede Markenbindung voraussetzt, diese Loyalität zu einer Marke, dass ich hohes Vertrauen in die Marke habe und auch einen gewissen Stolz habe auf diese Marke, also dass ich das Gefühl habe, wenn ich – was weiß ich – mit diesem Handy herumlaufe, dieses Auto fahre, oder wie bei Jugendlichen, dieses Kleidungsstück trage, dass ich dann tatsächlich in bin, dass ich darauf stolz sein kann, so was zu haben. Und das ist in Zeitungen weitgehend verloren gegangen, dass Menschen stolz sind, am Morgen mit dieser Zeitung gesehen zu werden.

Brink: Sie machen ja nun Zeitungsprojekte vor Schulen, sind also ganz nahe dran, eigentlich auch an den jungen Leuten. Wie können denn Medien junge Leute, junge Leser binden?

Rager: Die Schwierigkeit aller Zeitungen ist, dass nur noch zirka die Hälfte aller Kinder in einem Zeitungshaushalt aufwachsen, also in dem die Tageszeitung zuhause abonniert ist und Mutter und Vater Zeitung lesen. Das ist ein wichtiger Punkt, der eigentlich gegen die Markenbindung spricht. Weil wir wissen aus der Markenforschung, dass eben tatsächlich die Markenbindung ganz früh ansetzt – zwischen drei und fünf Jahren bei manchen, spätestens aber eben im Alter der Grundschule.

Brink: Da können die ja noch gar nicht lesen, mit drei und fünf.

Rager: Ja, das ist ja das Erstaunliche, aber sie wissen, dass Vater oder Mutter immer zu Hause mit diesem Produkt in der Hand rumlaufen oder morgens am Frühstückstisch saßen, und dass das Produkt vielleicht irgendwas in der Schule für sie getan hat, oder im Kindergarten, dass die präsent waren. Also das hat nichts mit Lesen zu tun. Übrigens, viele Kinder lernen mit den großen Buchstaben der Überschriften und der Zeitungsköpfe auch, bestimmte Buchstaben zu lesen. Also insofern ist es schon eine gewisse wechselseitige Wirkung. Also das ist sicher, diese Präsenz muss da sein, und damit kämpfen alle, dass wir aus den Schulprojekten überhaupt Kinder erreichen, die zu Hause keine Zeitung haben.

Brink: Und wie können Zeitungen es dann machen, andersrum gedacht?

Rager: Ja, die Zeitungen müssten natürlich sehr viel mehr, als sie es bisher tun, Rücksicht nehmen auf die Wünsche der Kinder und auch Stoff für die Kinder zu bringen, das ist ein wichtiger Punkt, und das machen ja viele in der Zwischenzeit, also die Kinderseiten, die zwischenzeitlich völlig verschwunden haben, die haben im Augenblick wieder eine hohe Quote, und das halte ich auch für richtig, dass täglich in der Tageszeitung etwas enthalten ist, wo Kinder Lust haben, da mal reinzugucken.

Brink: Professor Günter Rager, Zeitungsforscher und der Leiter des Media Consulting Team in Dortmund. Schönen Dank, Herr Rager, für das Gespräch!

Rager: Bitte sehr!


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Gibt es das überhaupt noch: Dass eine bestimmte Generation eine bestimmte Zeitung liest? Wie können Zeitungen junge Leser binden?
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