Kinderbuch

Kant und das Gespenst des Karl Marx

Karl Marx vor der Porta Nigra. Im Rahmen einer Installation des Künstlers Ottmar Hörl wurden 500 ein Meter hohe Karl Marx-Figuren aus Kunststoff um das Wahrzeichen der Stadt an der Mosel aufgestellt.
Karl Marx-Figuren vor der Porta Nigra in Trier - eine Installation des Künstlers Ottmar Hörl © picture alliance / dpa / Foto: Romain Fellens
Von Susanne Billig · 12.08.2014
Mit poetischen und amüsanten Geschichten macht der diaphanes-Verlag in einer Buchreihe Kindern Philosophie zugänglich. Die liebevoll illustrierten Bücher sind jedoch nicht immer ohne Hilfe von Erwachsenen zu verstehen.
In einer klaren Nacht löst sich ein Komet von einem fernen Planeten und legt eine Spur funkelnder Sterne über den Himmel. Eine junge Chinesin blickt zum Himmel hinauf, verschluckt vor Schreck einen Pflaumenkern und gebärt im kommenden Jahr einen Sohn. Der gibt als junger Mann geheimnisvolle Sätze von sich wie "Der Weg, den man beschreitet, ist nicht der wahre Weg" oder "Die Eltern zu achten ist leichter als sie zu lieben, ist leichter, als sie zu vergessen, ist leichter als sich vergessen zu lassen". So erhält er den Namen Laotse, der alte Weise.
Eine Reihe exquisiter französischer Kinderbücher macht der Berliner diaphanes-Verlag dem deutschen Publikum zugänglich. Verschiedene Autorinnen und Autoren im Verbund mit wechselnden Illustratoren porträtieren für Kinder berühmte Philosophen. Ob Diogenes, Karl Marx oder René Descartes - das Prinzip ist dasselbe: Die liebevoll gestalteten Bücher tauchen verspielt und assoziativ in das denkerische Universum ihrer Protagonisten ein. Dabei verschmelzen sie historisch Verbürgtes und Fantasie, Dichtung und Zitate, bis das philosophische Anliegen des Protagonisten aus der Erzählung leicht und klar aufsteigt. Erläuterungen wie im Schulbuch brauchen diese Bücher nicht.
Eine anrührend poetische Sprache
Das zeigt sich schön an dem jüngsten Band der Reihe, "Laotse oder der Weg des Drachen" von Miriam Henke. Von Fachbegriffen oder Einordnungen hält sich ihr Büchlein fern und folgt statt dessen in anrührend poetischer Sprache dem mythischen Leben des Weisen. Wenn Laotse den Kaiserhof verlässt, um in der Einsamkeit der Natur dem weglosen Weg zu folgen, wenn ihm Konfuzius nachreist, weil er begreift, um wie vieles schmalbrüstiger seine Lehre vom rechten Anstand, dem rechten Untertan-Gehorsam ausfällt als Laotses Blick in universelle Weiten - dann braucht es keine Definitionen, um zu erfassen, was Daoismus und Konfuzianismus bedeuten. Aber die Illustrationen von Jérôme Meyer-Bisch helfen sehr! Zarte Aquarelle in erdigen Farben, die den Text umranken oder ganze Doppelseiten füllen und Szenen aus Laotses Leben zeigen.
Ganz anders kommt der Band über Karl Marx daher – und das passt: die Bilder kantig und intensiv, viel Rot, kämpfende Arbeiter, Kapitalisten mit Köpfen aus Ziffern in schwarzglänzenden Limousinen. Der Text dazu von Ronan de Calan: ein Pamphlet, zackiger Revolutionsaufruf im Kinderzimmer. Doch auch "Das Gespenst des Karl Marx" hat seine Zartheit, wenn das Buch den Hunger der schlesischen Weber schildert und den Schmerz des Philosophen über die Knechtschaft des Menschen.
Denken heißt spielen und ernst machen im Kopf
Ob Kinder diesen Büchern immer folgen können? Vielleicht braucht es ab und an die Unterstützung der Großen. "Ein verrückter Tag im Leben von Professor Kant" beispielsweise von Jean Paul Mongin trägt seinen Titel zu Recht, so sprunghaft ist diese Geschichte geraten - aber auch sie witzig, kurzweilig, amüsant. Denken heißt spielen und ernst machen im Kopf, davon erzählen diese Bücher. Sie sind, auch für Menschen jenseits der zehn, eine literarische und visuelle Delikatesse.

Miriam Henke, Jérôme Meyer-Bisch: Laotse oder der Weg des Drachen
Aus dem Französischen von Thomas Laugstien
diaphanes Verlag, Berlin 2014
64 Seiten, 64 farbige Abbildungen, 14,95 Euro