Kinderarbeit in Bangladesch

Razib, zwölf Jahre, drei Jobs

Razib bei seinem Haupt-Job: Er mag das Schlachten der Hühner nicht, tut es aber, weil seine Familie auf das Geld angewiesen ist
Razib bei seinem Haupt-Job: Er mag das Schlachten der Hühner nicht, tut es aber, weil seine Familie auf das Geld angewiesen ist © Deutschlandradio / Yvonne Koch
Von Yvonne Koch · 01.06.2017
Kinderarbeit ist in Bangladesch weit verbreitet. Unsere Autorin hat einen zwölfjährigen Jungen begleitet, der von morgens bis abends schuften muss. Und nur ganz selten Zeit für etwas findet, das er eigentlich täglich tun sollte: zur Schule gehen.
Müde schleppt sich Razib aus der Wellblechhütte zur Wasserstelle. Er ist barfuß, trägt nur ein Tuch um die Hüften. Razib lebt mit seine Eltern und seiner kleinen Schwester in einem Slum, einer Armensiedlung, mitten in der Hauptstadt Dhaka.
"Ich fang morgens um sieben an, arbeite dann eine Stunde bei einem Gemüsehändler."
... sagt der Zwölfjährige und macht sich auf den Weg zum Markt.
Dort angekommen wuchtet er Obstkisten übereinander und schichtet das Gemüse auf dem Ladentisch – nach Farben geordnet. Die Arbeit hier macht Spaß, sagt Razib und lächelt - auch weil der Gemüsehändler und sein Bruder so nett sind.
"Der Bruder des Gemüsehändlers hat ein Smartphone, auf dem er Spiele spielt und Filme gucken kann. Manchmal darf ich da mitgucken."

Sechs Stunden täglich im "Schlachthaus"

Viel Zeit hat Razib dafür aber nicht, denn schon eine Stunde später muss er bei seinem zweiten Job sein. Von acht bis zwei Uhr nachmittags arbeitet er in einem Schlachthaus.
Das "Schlachthaus" ist eigentlich der staubige Hinterhof eines Metzgerladens. Hier sind an die hundert Hühner in aufeinandergestapelten kleinen Käfigen zusammengepfercht.
Razibs Arbeitsplatz ist gleich daneben, ein winziger Raum mit einer blauen Plastiktonne und einem roten Hocker. Er kann sich kaum umdrehen, so eng ist es hier.
"Meistens muss ich die Hühner an den Flügeln und Beinen festhalten, während sie getötet werden. Manchmal muss ich das aber auch selbst machen. Und dann zieh ich die Haut ab und wasche die Hühner. Mir macht das wirklich keinen Spaß, manchmal macht mich das auch total traurig, aber ich hab keine Wahl, meine Familie braucht das Geld."

Kinder unter 14 dürfen eigentlich nicht arbeiten

Eigentlich ist Kinderarbeit in Bangladesch für Kinder unter 14 Jahren verboten. Aber ein Großteil der Menschen ist bitterarm, hat keine Alternative. Vor allem auf dem Land fehlt es an Arbeit, deshalb drängen immer mehr Menschen in die Hauptstadt Dhaka.
Den Lohn für seine Arbeit kriegt Razib immer gleich ausgezahlt. Heute gibt sein Chef ihm 50 Taka, das sind etwa 60 Cent. Und drückt ihm noch ein bisschen Essensgeld in die Hand.
Straßenszene in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch
Straßenszene in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch© dpa / picture-alliance / Jiji Press / Motoya Taguchi
Zwei Uhr nachmittags: Seit acht Stunden ist Razib jetzt schon auf den Beinen, sieben davon hat er gearbeitet. Bei einem Straßenhändler kauft er sich ein bisschen Reis mit Gemüse. Dann läuft er nach Hause, um kurz auszuruhen. Am frühen Abend bricht er dann nochmal auf. Zu seinem nächsten Job: Rikscha fahren.
"Wenn es nur Kurzstrecken sind und ich nur einen Kunden und nicht drei auf einmal hinten drauf habe, macht es mir manchmal auch Spaß. Was mich aber richtig wütend macht, sind die Kunden, die während der Fahrt das abgesprochene Ziel ändern und plötzlich ganz woanders hin wollen."

Umgerechnet 1,80 Euro verdient Razib pro Tag

Razib reißt sich dann zusammen. Holt einmal tief Luft, macht ein Hohlkreuz und holt das letzte aus seinem drahtigen Körper heraus. Und all das nur, um am Ende des Tages mit umgerechnet 1,80 Euro seine Familie zu unterstützen.
Bis auf seine kleine Schwester erzählt er, arbeiten alle in seiner Familie. Seine Mutter ist Hausmädchen in einer Familie, sein Vater arbeitet in einem Restaurant, die ältere Schwester ist Näherin in einer Fabrik und sein großer Bruder ist auch Rikscha-Fahrer. Dennoch reicht das Geld nicht, um Razib regelmäßig zur Schule zu schicken.
"Mein Bruder war zwei Jahre auf der Schule und er bringt mir manchmal Lesen und Schreiben bei. Und ganz, ganz selten, schaff ich es auch in die Schule, ich hab ein paar Bücher, die mir jemand geschenkt hat. Ich bin ganz scharf drauf, etwas zu lernen."

"Freizeit" bedeutet ausschlafen

Rechnen kann er schon ganz gut, erklärt Razib selbstbewußt. So kann er zum Beispiel bei seiner Arbeit beim Schlachter sagen, wieviel ein Hühnchen wiegt und kostet. Und der Zwölfjährige kann sich auch genau ausrechnen, wann er sich "Freizeit" leisten kann. Also Zeit, wo er machen kann, was er will.
"Was ich dann mache? Schlafen! Einfach lange schlafen! Und manchmal find ich sogar Zeit, Drachen steigen zu lassen, auf einem Feld ganz in der Nähe, wenn meine Freunde gerade von der Schule kommen. Aber das geht halt nur, wenn keine Arbeit da ist."
Und das ist sehr, sehr selten.
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