Ken Follet über seinen neuen Roman

"Ich ziehe es vor, ein Entertainer zu sein"

Der britische Schriftsteller Ken Follett.
Der britische Schriftsteller Ken Follett. © picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Interview: Nana Brink · 12.09.2017
Ken Follett entfaltet in seinem neuen Roman "Das Fundament der Ewigkeit" die Geschichte des ersten Geheimdienstes im 16. Jahrhundert. Der Erfolgsautor betont seine akribische Recherche. Gleichwohl stehe Unterhaltung bei ihm an erster Stelle: "Ich bin kein Lehrer".
Nana Brink: Fans von heute kennen ja den Geheimdienst von James-Bond-Filmen, aber Sie erzählen eine Geschichte, die ja weit zurück ins 16. Jahrhundert reicht. Wie sah ein Geheimdienst vor 400 Jahren aus?
Ken Follett: Es muss sehr aufregend gewesen sein, weil sie eigentlich fast alle Techniken und Tricks erfunden haben, die auch von heutigen Spionen verwendet werden. Sie haben Nachrichten gegenseitig abgefangen, sie haben unsichtbare Tinte benutzt, und sie haben verschlüsselte Nachrichten geschickt. Sie hatten Spezialisten, die Codes geknackt haben, sogenannte code breakers.

James Bond aus dem 16. Jahrhundert

Brink: Sie haben ja sogar Ihren eigenen James Bond in Ihrem Buch. Der bekämpft ja die Terroristen des 16. Jahrhunderts.
Follett: Den habe ich, ja, wobei ich das eher als Spaß gemeint habe. Meine Helden sind ja immer Mitglieder einer Familie, und James Bond hat gar keine Familie. Seine Eltern sind tot, er hat keine Brüder und Schwestern, keine Frau, keine Kinder und noch nicht einmal Nichten oder Neffen.
Wenn ich also sage, Ned Willard ist so eine Art James Bond aus dem 16. Jahrhundert, meine ich das augenzwinkernd, aber er macht eine Menge Dinge, die auch James Bond machen würde. Er ist ein Actionheld, er verfolgt Kriminelle, so in der Art, aber als Charakter ist er total anders. Er ist kein Einzelgänger, und weil die Geschichte im 16. Jahrhundert spielt, fährt er natürlich auch keinen Bentley. Er hat noch nicht einmal ein tolles Pferd.
Brink: Ehrlich gesagt, ich war sehr fasziniert von dem Bild von Europa, das Sie zeichnen. Das ist ja ein Europa in Aufruhr, ein wahres Panorama, das fast alles enthält, was man sich nur vorstellen kennen, also religiöse Konflikte, Machtkämpfe und natürlich auch Liebesgeschichten. Wie haben Sie sich dieser Zeit genähert?
Follett: Ich habe viel recherchiert natürlich. Das erste, was ich tue – und so fangen alle meine Bücher an –, ich lese andere Bücher, Geschichtsbücher besonders natürlich, um alle Einzelheiten herauszufinden über eben jene Geschehnisse, die Sie erwähnt haben, also die Machtkämpfe und den Religionskrieg. Am Schluss soll sich der Leser so in die Zeit hineinversetzen, dass er das alles vor sich sieht.

"Es gibt dafür keine Formel"

Brink: Und woher wissen Sie dann, über was genau Sie schreiben wollen?
Follett: Es gibt dafür keine Formel oder einen Algorithmus. Ich lese, ich surfe durch das Internet, ich gehe in die Bibliothek und schaue mir Sachen an, die mich faszinieren, und eines Tages kommt mir vielleicht eine Idee, wie die über Königin Elizabeth, die den ersten Geheimdienst etabliert hat, und ich denke: Aha, daraus könnte man doch eine Geschichte machen.
Brink: Als wir Sie angerufen haben für dieses Interview, da war eine ganz nette junge Dame am anderen Ende der Leitung, die hat sich gemeldet mit "Ken Follett Office". Was ist denn das "Ken Follett Office"? Klingt ja so ein bisschen wie die Werkstatt von Leonardo da Vinci im alten Florenz, da wurden ja Kunstwerke in einer Art Fabrik kreiert. Ist das bei Ihnen auch so?
Follett: Oh, ich wünschte, das wäre so einfach! Nein, die Leute in meinem Office machen alles andere außer Bücher schreiben. Sie arrangieren Termine, damit ich mit Leuten wie Ihnen sprechen kann. Sie handeln die Verträge mit den Verlegern aus, und sie sorgen dafür, dass ich meine Steuern zahle und all die anderen Dinge, damit ich nichts anderes zu tun habe, als mich darauf zu konzentrieren, meine Bücher zu schreiben.
Gelegentlich nutze ich die Dienste eines professionellen Rechercheurs. Er stellt mir eine Leseliste zusammen, findet alte Landkarten oder Menschen, die ich interviewen sollte oder Experten, die meine Arbeit gegenchecken, aber die tatsächliche Recherche mache ich. Ich lese die Bücher, gucke auf Landkarten oder Fotografien, so es welche gibt.
Und ich besuche natürlich auch die Orte. Zum Beispiel Antwerpen heute ist nicht das Antwerpen des 16. Jahrhunderts. Trotzdem gehe ich dorthin, besuche das Hafenviertel, die Kathedrale und das Stadtzentrum. Das muss ich allein machen. Kein anderer kann wissen, nach was ich suche. Ich könnte eine Ecke sehen oder eine Straße und denken, das ist der perfekte Platz für eine Szene, die ich im Kopf habe. Kein anderer würde das sehen.
Brink: Und wie wichtig sind dann historische Details? Also es gibt ja in Ihren Romanen reale, aber auch natürlich erfundene Personen.

"Alle historischen Einzelheiten, die euch in der Geschichte begegnen, sind wahr"

Follett: Ich möchte gerne meinen Lesern sagen, alle historischen Einzelheiten, die euch in der Geschichte begegnen, sind wahr. Wenn ich schreibe, dieses Massaker hat an einem bestimmten Tag stattgefunden, dann hat es an diesem Tag stattgefunden. Ich habe das nicht geändert um der Geschichte willen. Ich würde Geschichte nie so verfälschen, und ich denke, diese Genauigkeit wissen meine Leser sehr zu schätzen.
Brink: Ihre Geschichte spielt ja im 16. Jahrhundert – warum ist es für uns heute so spannend, darüber zu lesen?
Follett: Es ist das Zeitalter, in dem die Menschen zum ersten Mal anfangen, über die religiöse Freiheit zu sprechen. Es ist der Anfang, der Anfang des Kampfes zwischen Menschen, die gesagt haben, ich habe das Recht zu Gott zu beten, wie ich es für richtig halte, und Menschen, die gesagt haben, du musst in die Kirche gehen, wenn der König es dir befiehlt und das Leben leben, von dem der Priester sagt, wie du es leben sollst.
Es war die erste Art von Freiheit, für die wir gekämpft haben. Alles andere, wie Redefreiheit oder die Freiheit zu wählen, kam später. Viele meiner jüngsten Bücher handeln von Menschen, die um ihre Freiheit kämpfen. In "Die Tore der Welt" ging es um intellektuelle Freiheit im Mittelalter. In "Sturz der Titanen" haben Frauen für ihr Wahlrecht gekämpft, und in "Kinder der Freiheit" kämpfen Afroamerikaner um ihre Bürgerrechte.
Und diese Dramen, diese Momente, wenn Menschen für ihre Rechte und ihre Freiheiten aufstehen, die faszinieren mich, und meine Leser offensichtlich auch.
Brink: Geht es also dann in Ihrem neuen Buch, "Das Fundament der Ewigkeit", mehr um Geschichte oder um Unterhaltung oder vielleicht sogar um beides?

"Ich bin kein Lehrer"

Follett: Also ich hoffe, um beides, aber ich muss gestehen, dass Unterhaltung bei mir an erster Stelle steht. Das erste, was Menschen von meinen Büchern erwarten, ist: Sie wollen unterhalten werden und als zweites vielleicht etwas über Geschichte lernen.
Ich bin kein Lehrer. Vielleicht nicht alle, aber viele Menschen haben schlechte Erinnerungen an den Geschichtsunterricht in der Schule. Viele Dinge, die in einem historischen Roman aufregend erscheinen, fanden wir als dreizehnjährige Schüler fürchterlich langweilig. Ich ziehe es deshalb vor, ein Entertainer zu sein.
Brink: Also wenn wir uns Ihre Romane angucken, dann sind Sie ja eigentlich in jedem Jahrhundert zu Hause, zumindest in Ihren Romanen. Wenn Sie es sich aussuchen könnten, in welchem Jahrhundert würden Sie gerne leben?
Follett: Wissen Sie was, ich glaube, ich möchte in keinem Jahrhundert leben, das in der Vergangenheit liegt, und der Grund dafür ist, ich liebe Bequemlichkeit, in einem warmen Haus zu leben, in einem weichen Bett zu schlafen und einen Kaschmirpullover zu tragen. In eine Zeit zurückzugehen, in der jedes Haus kalt war, jedes Bett hart und alle Kleidung kratzig, das wäre Folter für mich. Also, ich möchte nicht in der Vergangenheit leben, sondern genau jetzt!
Brink: Kommen wir zum Heute: Glauben Sie, dass in 100 oder sagen wir: in 200 Jahren jemand einen historischen Roman über den Brexit schreiben wird?

Boris Johnson wäre eine zu unrealistische Romanfigur

Follett: Gute Frage, aber wenn ich darüber nachdenke, ein Roman über den Brexit, dann ist meine spontane Reaktion: nein. Es ist ein großes Drama für uns alle, und es ist sehr schwer zu sagen, was wir da eigentlich verlieren werden.
Die Vorteile, einer größeren Gemeinschaft anzugehören, der Europäischen Union, die kulturellen Vorteile, die wirtschaftlichen Vorteile, für mich sind sie wichtig, und ich fürchte, wir verlieren sie, aber das zu beschreiben, quasi wie unter einem Brennglas, warum die Menschen die Europäische Union verlassen wollen, das ist schwer, so wie es für Politiker schwer ist, ihnen zu erklären, dass dies eine schlechte Idee ist. Daraus einen Roman zu machen, ist schwierig.
Brink: Also dann bekommen wir in absehbarer Zeit also keine Geschichte über Machtkämpfe und verschmähte Liebe. Was ist denn mit Boris Johnson? Wäre der nicht eine interessante Figur?
Follett: Ja, schon, aber ich fürchte, einen Charakter wie Boris in einem Roman würden die Menschen für komplett unrealistisch halten! So einer könnte niemals Mitglied des Parlaments sein oder Bürgermeister von London!
Brink: Thank you, Ken Follett! It was a pleasure to talk to you!
Follett: It was a pleasure talking to you! Thank you!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Ken Follett lässt seine Leser digital nah ran
Mit mehr als 160 Millionen verkauften Büchern ist Ken Follett einer der erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Auch auf Facebook und Twitter gibt der Autor viel von sich preis: Hier eine Social-Media-Auswahl

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