Keine Kohle mehr?

Australiens Rohstoffboom ist vorbei

Man sieht auf einer Straße eine Gruppe von Demonstranten von den pazifischen Inseln, die Plakate und Schilder für einen besseren Klimaschutz halten. Einige tragen traditioneller Kleidung.
Für einen besseren Klimaschutz - Demonstranten in Melbourne vor dem Weltklimagipfel in Paris. © AFP / Paul Crock
Von Andreas Stummer · 07.12.2015
Zwei Jahrzehnte lang Wirtschaftswachstum. Ein ungebremster Rohstoffboom hat Australien den längsten Aufschwung beschert, den je ein Industrieland erlebt hat. Doch die Zeit des leicht verdienten Geldes ist nun vorüber.
Stoßzeit im Loch. Ein Lastwagen nach dem anderen quält sich im Schneckentempo, vollbeladen, aus gut 100 Metern Tiefe eine gewundene Schotterstraße bis hinauf an den Grubenrand. Vorbei an gewaltigen Abräumhalden, turmhohen Schaufelbaggern und Fabrikhallen, in denen ein paar Jumbo Jets parken könnten. Die Drayton-Mine im Hunter Valley, 170 Kilometer nördlich von Sydney, läuft wie eine gut geölte Maschine. Etwa fünf Millionen Tonnen Steinkohle holt der Bergbau-Riese AngloAmerican hier jedes Jahr im Tagebau aus dem Boden. Aus einer Grube so groß wie das Gelände des Frankfurter Flughafens.
Erst einmal verladen wird die Kohle an die Küste gebracht und von dort direkt nach Japan verschifft. Die Mine ist rund um die Uhr in Betrieb, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ginge es nach Mark Faiman, einem der Produktionsmanager, dann soll das auch in Zukunft so bleiben. Doch dazu muß Drayton größer werden, nach Süden erweitern. Denn nur mit der alten Grube ist bald keine Kohle mehr zu machen.
"Unsere Mine ist seit mehr als 30 Jahren in Betrieb. Mit einer Ausweitung des Tagebaus könnten wir hier noch weitere 15 Jahre Kohle fördern. Technisches, Gerät, Knowhow – es ist alles da. Aber wenn wir nicht erweitern dürfen dann werden unsere 500 Mitarbeiter ihren Job verlieren."
Viermal hat AngloAmerican bereits versucht, grünes Licht für die Erweiterung der Mine zu bekommen. Jedes Mal hat die sonst so kohlefreundliche Staatsregierung von New South Wales abgelehnt. "Der Kohle-Boom bröckelt", gibt Mark Faiman zu. Australiens schwarzes Gold verliert zusehends an Glanz.
"Der Preis von Kohle steigt und fällt aber ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals so schlecht stand. Ich glaube nicht, dass australische Kohle jemals wieder so profitabel sein wird wie sie einmal war. Schon gar nicht in absehbarer Zeit."
Spinatgrüne Weiden und bewaldete Bergrücken, aber auch kilometerlange, kahl-gefräste Abbaugruben und pechschwarze Rußwolken: Das Hunter Valley ist berühmt für seine Weingüter und berüchtigt für seine Minen. Die Kohleindustrie hat über Jahrzehnte im Tal buchstäblich Berge versetzt. Die Drayton-Mine ist einer der größten Arbeitgeber der Gegend, in Betrieb seit 1983. Chris Caine war von Anfang an mit dabei.
Australien sitzt auf den viertgrößten Kohlevorkommen der Welt
Das Kohleschürfen liegt bei den Caines in der Familie. Chris' Vater war schon Kumpel, genau wie sein Großvater, der noch mit Spitzhacke und bei Petroleumlicht untertage ging. Opa's zerschrammten Helm auf den Knien erinnert sich Chris an seinen ersten Arbeitstag. Als er damals, vor 32 Jahren, frisch von der Schule, bei Drayton anfing versprach man ihm Arbeit auf Lebenszeit. Jetzt aber hat Chris Angst, dass er seinen Job und sein Haus verlieren könnte.
"Der Kohleindustrie geht es immer schlechter. Sollte unsere Mine geschlossen werden, was soll dann werden? Meine Kinder brauchen sich gar nicht um einen Job im Bergbau bemühen, denn die gibt es hier in der Gegend bald nicht mehr."
Ohne Kohle keine schwarzen Zahlen. Australien sitzt auf den viertgrößten Vorkommen der Welt, der Kohleexport ist jährlich fast 30 Milliarden Euro wert. Doch seit der Abnahmepreis gesunken ist werden alte Kohleminen, wie Drayton, nicht mehr ausgebaut und gegen neue gibt es immer mehr Widerstand.
Kundgebung in Quirindi, einem Marktflecken am Rand des Hunter Valley. David demonstriert gegen Goliath – gegen den staatlichen chinesischen Bergbauriesen Shinhua, der in der Liverpool-Ebene eine Kohlemine plant. Auf Farmland, das so fruchtbar ist, dass dort sogar während Australiens Jahrhundertdürre geerntet wurde. David hat viele Namen. Die meisten sind Farmer, deren Familien seit Generationen dort Weizen, Früchte oder Gemüse anbauen. Farmer wie Tim Duddy.
"Diese Gegend gehört zum ertragreichsten Farmland der Welt, deshalb hat bisher niemand gewagt darunter nach Kohle zu graben. Wir reden nicht von irgendeinem Stück Land, sondern von einem einmaligen, hochproduktiven, unglaublich wertvollen und empfindlichen Gebiet."
Alles Gute kommt von unten. Die dunkle Erde der Liverpool-Ebene wird durch riesige Aquifere gespeist, ein weit verzweigtes Labyrinth unterirdischer Sandsteinbecken, gefüllt mit Abermillionen Kubikmetern Wasser. Ein natürliches Reservoir, das Landwirtschaft in der Gegend erst möglich und den Kohleabbau zu einem Vabanquespiel macht. Tim Duddy und seine Frau Pat sind sich einig: Würden die riesigen Grundwasserbecken verseucht oder zerstört, dann bekäme ganz Australien zu spüren, dass man Kohle nun einmal nicht essen kann.
"Wenn die Kohlemine erst einmal hier ist werden wir nie wieder das anbauen können, womit wir so viele unserer Landsleute ernähren." – "Sollten sie die Liverpool-Ebene durch Bergbau zerstören, dann wäre die Landwirtschaft nirgendwo in Australien mehr sicher."
Die Duddy's besitzen zwar ihre 4000 Hektar-Farm in der Liverpool-Ebene, aber ihnen gehört nicht die Kohle, die darunter liegt. Sie gehört der Staatsregierung von New South Wales und vielleicht bald den Chinesen. Doch die Entscheidung darüber fällt nicht da, wo Kohle gefördert, sondern gemacht wird. In den Chefetagen der Großbanken und am Aktienmarkt.
Anteile von Bergbau-Konzernen verlieren immer mehr an Wert
Im Foyer der Börse von Sydney, dem Epizentrum der australischen Hochfinanz. Aus Flachbildschirmen dröhnen die Marktupdates der Börsenkorrespondenten, Kleinanleger verfolgen vor einer riesigen Anzeigentafel das Auf und Ab der Aktienkurse. Früher das Rückgrat des australischen Rohstoff-Booms verlieren die Anteile von Bergbau-Konzernen immer mehr an Wert. Australiens große Pensionskassen und Investmentfonds wollen alles, das mit "Kohle" zu tun hat, nicht einmal mehr mit der Kneifzange anfassen.
"Heute ist Kohle noch der Rohstoff um Energie zu erzeugen – aber wie lange noch? Mit neuen Technologien bei Wind, Solar und Energiespeicherung kann das in fünf, zehn Jahren schon anders sein."
Con Banagri ist Finanzberater in Energiefragen. Kohle war für ihn gestern, er empfiehlt Anlegern verstärkt in Alternativen zu investieren. Sein Cousin Steven Fletcher will davon schon von Berufs wegen nichts wissen. Beide arbeiten in Sydneys Innenstadt im gleichen Hochhaus und auf der gleichen Etage. Fletcher aber ist vom Erzfeind, er ist Lobbyist des australischen Bergbauverbandes.
Beim Bergbauverband sind die Sessel ein wenig schweinslederner, die Flokati-Teppiche ein wenig tiefer und die Antworten ein wenig weichgespülter. Nein, er sorge sich nicht um die Zukunft, flötet Stephen Fletcher. Beim derzeitigen Fördervolumen gäbe es in Australien noch genug Steinkohle für gut 200 und noch genug Braunkohle für 800 Jahre. Und die Expertenmeinung, dass Kohle endgültig im Keller sei, das hält Fletcher für ein nur mäßig amüsantes Wortspiel.
"Der Kohlepreis ist seit Jahrzehnten mal unten und dann wieder ganz oben. Minen sind im Durchschnitt 20 bis 30 Jahre in Betrieb. Deshalb ist es nicht fair ihren langfristigen Wert mit dem aktuellen Kohlepreis hochzurechnen."
Die Wirklichkeit aber sieht anders aus. Kleinere Kohleminen in Australien schreiben rote Zahlen, mussten Arbeiter entlassen oder schließen. Der Bergbauverband hofft auf Großprojekte – und größer als die geplante Carmichael-Mine in Queensland geht es nicht.
Hoch über dem Outback, im menschenleeren Hinterland des Bundesstaates Queensland. Unter der viersitzigen Cessna: Das riesige Gallilee-Becken, ein karges, knochentrockenes Gebiet größer als Großbritannien. Hier sollen unter Tage 25 Milliarden Tonnen Kohle liegen – und die Zukunft der australischen Bergbauindustrie.
Keine Straßen, keine Eisenbahnlinie, Stunden von der nächsten Ortschaft entfernt: Hier will der indische Adani-Konzern insgesamt elf Milliarden Euro investieren, jährlich bis zu 60 Millionen Tonnen Kohle abbauen, sie 400 Kilometer bis zur Küste und dann nach Indien transportieren. Mitten durch das Great Barrier Reef. Umweltschützer haben gegen die Carmichael-Mine geklagt, die Regierung aber hat sie bewilligt. Energie-Experte Con Banagri glaubt trotzdem nicht, dass das Mammut-Bergwerk jemals gebaut wird. Denn in drei Jahren will Indien keine australische Kohle zur Energiegewinnung mehr einführen.
"Es ist sehr teuer in Australien Kohle abzubauen"
"In Indien steigt zwar der Bedarf an Kohle, aber man versucht alles, um nicht länger von Importen abhängig zu sein. Ähnlich wie in China. Es ist sehr teuer in Australien Kohle abzubauen vor allem wenn man neue Minen im Nirgendwo aus dem Boden stampft. Für die Kohle solcher Großprojekte wird es keine Abnehmer geben."
Was der australischen Kohleindustrie bleibt ist der einheimische Markt. Rund drei Viertel allen Stroms wird durch das Verbrennen von Kohle gewonnen. Kein Wunder, dass Australien zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 gehört. Zwei Jahre unter dem konservativen Klimawandel-Leugner Tony Abbott haben Spuren hinterlassen: Erst wurde die Bergbausteuer, dann die Abgabe auf CO2-Emissionen abgeschafft, Fördergelder für erneuerbare Energien wurden gestrichen – die Kohleindustrie aber wurde protegiert. Seit Abbott aber von seiner eigenen Partei gestürzt wurde hat Larissa Waters wieder Hoffnung. Die Grünen-Politikerin sieht für Australiens Energie-Zukunft nicht mehr ganz so schwarz.
"Australier glauben, dass die Kohleindustrie fast im Alleingang unsere Wirtschaft am laufen hält und Massen von Arbeitern beschäftigt. Dabei sind es nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung und die Ausfuhr von Kohle macht nur sieben Prozent unseres Bruttosozialproduktes aus. Wir würden auch ohne auskommen. Wenn man Umweltverschmutzung exportiert dann hört man damit auf und andere Industrien werden aufblühen."
Doppelt so viel Sonne wie Deutschland, 15 Mal mehr Platz für Wellen-Kraftwerke oder Offshore-Windräder vor den Küsten: Australien müsste eigentlich Vorzeigeland für alternative Energien sein, kommt aber nur unter ferner liefen. Denn Jahrzehnte kohlefreundlicher Politik haben innovative Solartechnik ins Ausland vergrault, obwohl die Nachfrage der Australier nach Sonnenenergie das Angebot längst in den Schatten stellt.
Zwei Reihen Solarzellen-Panele auf der Garage und keine Probleme: Wie George Hotz in Sydney sagen immer mehr Australier "Nein" zu Kohlestrom. Vor zehn Jahren hatten nur ganze 700 Haushalte Solarzellen auf dem Dach, heute sind es mehr als eineinhalb Millionen – Tendenz steigend. Im Jahr 2020 will man in Australien 20 Prozent des Energiebedarfs durch grüne Alternativen erzeugen. "Alles unter 40 Prozent ist ein Anfang aber nicht gut genug", glaubt Larissa Walters von den Grünen. Andere Industrienationen setzten auf eine CO2-ärmere Zukunft, Australien aber immer noch zu sehr auf schmutzige Kohle.
"Wir stecken in einer Klimakrise und sollten all unsere grünen Energiequellen, die uns zur Verfügung stehen, auch nutzen. Einmal um unseren Lebensstil und auch um australische Wirtschaftsbereiche zu schützen, die von einer sauberen Umwelt abhängig sind. Wir müssen unsere Wirtschaft umkrempeln, damit wir nicht der übrigen Welt bei der Erzeugung alternativer Energie hinterherhinken."
Malcolm Turnbull, Premierminister von Australien.
Zum Weltklimagipfel nach Paris ist Premier Malcolm Turnbull höchstpersönlich angereist - ein Fortschritt für Australien© picture alliance / dpa / MAXPPP
Steigende Temperaturen und lang anhaltende Dürreperioden, immer häufigere und stärkere Buschfeuer, verheerende Überschwemmungen: Australien lebt schon längst mit den Folgen der Klimaerwärmung. Trotzdem war der konservativen Regierung die Kohleförderung wichtiger als der eigene Ausstoß von CO2 oder globale Klimaschutzabkommen. Zum letzten Weltklimagipfel in Peru sandte Australien nicht einmal den Umweltminister, diesmal – nach Paris – fährt Premier Malcolm Turnbull höchstpersönlich. Kritiker murren das hätte wohl mehr mit dem Eiffelturm und dem Louvre zu tun, Frankreichs Botschafter in Australien aber nimmt Turnbull in Schutz. Christophe Lecourtier ist fest davon überzeugt, dass sich das Klima an der australischen Regierungsspitze geändert hat.
"Ich habe immer gehofft, dass sich Australien in Paris wieder auf die Seite der Länder schlagen wird, die schon immer etwas für den Klimaschutz unternommen haben. Das war die beiden letzten Jahre anders. Jetzt aber werden der Klimawandel und seine Folgen von der australischen Regierung nicht länger aus purer Ideologie verleugnet. Der neue Premierminister macht den Eindruck als wolle er sich den Herausforderungen stellen. Das sind gute Nachrichten für die Klimakonferenz, gute Nachrichten für Australien und die übrige Welt."
Australiens Exportmärkte China, Indien und die USA wollen weg von Kohle, sie wollen weniger Treibhausgas-Emissionen und mehr grüne Energie. Die Jahre des ungebremsten Kohlebooms und des leicht verdienten Geldes sind vorbei, auch wenn die Regierung die Förderquoten beibehalten will. "Australien muss radikal umdenken", glaubt der Ökonom Tim Buckley. Denn weiter von Kohle abhängig zu sein wenn sich die übrige Welt davon abwende, das könne sich die australische Wirtschaft schon bald nicht mehr leisten.
"Ob mir oder Umweltgruppen das gefällt oder nicht: Australien wird über Jahre ein bedeutender, weltweiter Kohleexporteur bleiben. Aber der Wandel hin zu alternativer Energie ist in vollem Gange. Egal was Australien tut."
Mehr zum Thema