Keine Beweise, keine Entschuldigung

Von Franziska Rattei · 21.05.2013
Stefan Schallers Film "5 Jahre Leben" basiert auf der wahren Geschichte des Deutsch-Türken Murat Kurnaz, der insgesamt fünf Jahre als Gefangener der USA in Afghanistan und Guantánamo inhaftiert war. Bis heute gibt es keine Beweise dafür, dass Kurnaz Terrorist oder El-Kaida-Mitglied war.
Murat Kurnaz: "Mich stört das nicht, wenn es jetzt Leute gibt, die sagen: das ist doch der Taliban und so. Das stört mich nicht."

Szene aus dem Film "5 Jahre Leben"
"What did they do with you in Kandahar, Murat?
"I guess, they didn’t put that in my file."
"No, they didn’t."


Der Film von Stefan Schaller zeigt nicht alles, was Murat Kurnaz in Afghanistan und Guantánomo erlebt hat. Die Folter durch Elektroschocks in Kandahar etwa tauchen nur als Erzählung auf, im Verhör zwischen Kurnaz, dargestellt von Sascha Alexander Gersak, und einem Verhörspezialisten der amerikanischen Regierung. Ben Miles gibt den toughen Gail Holford.

Aber vieles sehen die Zuschauer auch: zum Beispiel, wie Murat Kurnaz monatelang in Isolationshaft vegetiert und abwechselnd mit Hitze, Kälte oder überlauter Musik gequält wird.

"Mir persönlich, nachdem ich alles am eigenen Leib erlebt hab und diesen Film gesehen habe, fand ichs soft, klar. Nur: im Nachhinein, wo ich mich jetzt mit Journalisten unterhalten habe und Leuten, die sich diesen Film angesehen haben, da ist mir klar geworden, dass es schon mehr als genug ist, was zu sehen ist."

Vor den Dreharbeiten hat er sich zweimal mit Regisseur Stefan Schaller getroffen.

"Er hat mich danach nie angerufen und gefragt: wie, was. Er hat mich auch zu den Dreharbeiten nicht gerufen und nach meiner Meinung gefragt. Ich nehm ihm das auch nicht schlecht, aber ich hab am Anfang schon gedacht, dass man enger zusammenarbeitet an so einem Film."

Aber Murat Kurnaz ist keiner, der sich in den Vordergrund spielt. Und eigentlich ist er auch ganz zufrieden mit dem, was Schaller geschafft hat. Allerdings: ein paar Inhalte vermisst er schon.

"Die BND, die haben mich dort verhört, und die wurden komplett weggelassen. Die BND ist dort nicht zu sehen. Und Frank Walter Steinmeier wird auch nicht in dem Film erwähnt oder gezeigt, nachgespielt – das ist eins der wichtigsten Sachen gewesen, was man weggelassen hat."

Murat Kurnaz ist 31 Jahre alt. Er ist in Bremen geboren und hat immer dort gelebt; bis auf die fünf Jahre, wo er "weg" war – so nennt er es. Deutschland und Bremen nehme er nicht übel, was passiert ist. Das Land und die Stadt seien nicht Schuld, nur die Politiker. An seinem Heimatgefühl habe sich in den fünf Jahren Leben nichts geändert, sagt er. Er fühle sich wohl, er habe keine Albträume oder quälende Erinnerungen.

"Es läuft alles perfekt. Mir geht’s gut."

Die Arbeit in der Öffentlichkeit sei keine Therapie für ihn, sagt er. Er müsse seine Geschichte nicht erzählen, um sie zu verarbeiten.

"Ich mach das für die Leute, die immer noch dort sind, und dass es in Zukunft nicht mehr Politikern und Regierungen so leicht gemacht wird, einfach, ohne irgendein Gerichtsurteil, Menschen lebenslang festzuhalten."

Kurnaz ist viel unterwegs. Er hält Vorträge an Universitäten, gibt Interviews, geht zu Podiumsdiskussionen und arbeitet mit "Amnesty International" zusammen. Außerdem trainiert er viel. Seinem muskelbepackten Körper sieht man das Kampfsport-Training an. Irgendwie begreift Kurnaz seine fünf Jahre Leben in Gefangenschaft auch als Chance. Man erkenne ihn jetzt auf der Straße; es komme sogar vor, dass ihn junge Männer aus Bremer Problemvierteln um Rat bitten, sagt er.

Es ist mehr als zehn Jahre her, dass Murat Kurnaz sich auf den Weg nach Pakistan gemacht hat.

Filmszene
"Du musst in eine richtige Schule, Arabisch lernen. Und in Pakistan sind die besten Schulen dafür. Murat, ich denke, es wäre gut für Dich, für eine Weile aus Deutschland rauszukommen und ein anderes leben kennenlernen, unter muslimischen Glaubensbrüdern."

Fünf Jahre Leben in Folter – sie haben Murat Kurnaz nicht gebrochen, aber verändert haben sie ihn natürlich. Früher hatte er mal einen Hund und als Kind ein paar Vögel, erzählt er. Leinenzwang und Käfige – das kann er sich jetzt, in Freiheit, nicht mehr vorstellen.


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