Kein Vertrauen in die Politik?

Von Corinna Emundts · 30.12.2006
Die Erwartungen an die vermeintliche Große Koalition der Vernunft waren hoch, aber nicht unrealistisch hoch. Das ist vorbei. Gemessen an der Außenpolitik und an den in diesem Jahr auf den Weg gebrachten Gesetzen ließe sich noch Positives sagen: Elterngeld, Rente mit 67, Abschaffung der Eigenheimzulage hat Schwarz-Rot im Großkonsens geschafft, was unter anderen Konstellationen jeweils von einem der beiden Lager zerstört worden wäre. "Kleine Reformschritte", wie Angela Merkel sie erwartungssenkend immer wieder betitelt - von denen man hoffen kann, dass sie langfristig Wirkung entfalten.
Doch einer ihrer dringendsten Aufgaben ist die Große Koalition nicht nachgekommen: Die der Wiedergewinnung von Vertrauen in die Politik. Angela Merkel hatte in ihrer Zeit als Oppositionsführerin viele sinnvolle Vorhaben blockiert, übrigens unter anderem die Abschaffung der Eigenheimzulage. Zum Jahresende erscheint die Regierung nun nicht nur erschöpft wie nach dem Marathon der Koalitionsverhandlungen. Ihr fehlt erkennbar der Glaube an sich selbst.

Wer soll das noch erklären können, dass Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nun doch weit reichende Änderungen an ihrer Gesundheitsreform zu Gunsten von Ärzten und Pharmaherstellern verspricht? Eben jene Jeanne d'Arc der Patienten, die nun monatelang vorgab, an sich und ihre Reform uneingeschränkt zu glauben – und regelmäßig verlauten ließ, gegen eine verbissene, egoistische Lobby-Truppe der gut organisierten Großverdiener im Gesundheitswesen vorzugehen - im Namen der Namenlosen, die sich nirgendwo organisiert haben und keinen Pressesprecher und keine teure Repräsentanz im Regierungsviertel besitzen. Im Namen aller versicherten Kassenpatienten. Wer ihr diesen heroischen Kampf noch bis zuletzt zutraute, der hat den Glauben nun verloren.

Immer wieder spürt man bei den Politikern der beiden Volksparteien dieses gewachsene gegenseitige Misstrauen, dass sich ins politische Tagesgeschäft hineinzieht und in kleinen Streitereien wohldosiert an die Öffentlichkeit gespielt wird – in dem Wahn, dass man sich sonst zu harmonisch und zu einig darstellen könnte. Und das ist, in den alten Schablonen von links gegen rechts gedacht, für die handelnden Politiker offenbar undenkbar. Sie merken bis heute nicht, dass der diffuse Wählerauftrag - wenn es den gab - eigentlich genau darum bat: Um produktive Einigung auf Zeit. Um das aktive Nutzen der immerhin vier Jahre bis zur nächsten Wahl jenseits der ewigen Polarisierung.

Es gibt sie durchaus - die Politiker im Kabinett und Parlament, die nicht nur schwarz oder rot sehen können, sondern miteinander reden. Und doch ist dieses Projekt so schief gegangen, wie es nur schief gehen konnte. Die Parteien erfüllen jedes Klischee. Es wundert daher nicht, dass die Hälfte der Bürger mit der politischen Praxis hierzulande höchst unzufrieden ist. Wer kann eine solche Politik noch verteidigen, die es nicht einmal schafft, eine Gesundheitsreform wenigstens so zu beginnen, dass ihre Beschlüsse über die nächste Bundestagswahl hinaus tragen?

Bundespräsident Köhler hat diesen Eindruck noch einmal verstärkt, indem er in kürzester Zeit zwei Gesetzen die Unterschrift verweigerte. Die Bürger fühlen sich bestätigt in ihrem Eindruck, dass in der Koalition handwerklich unsauber gearbeitet wird. Das ist fatal. Man kann über die Motive des Bundespräsidenten nur spekulieren. Jedenfalls trägt er zunächst einmal zur wachsenden Ablehnung der politischen Klasse bei.

Und dies kann keiner wollen. Denn aus der Abwendung von Politik auf Seiten der Menschen folgt nur noch mehr Misstrauen, Trotz, Häme und Protestwahl an den extremen Rändern oder im Akt des Nichtwählens. Die Bundespolitik hat noch nicht begriffen, wie dramatisch das ist. Angela Merkels spricht gelegentlich davon, doch es folgt wenig aus ihrer verbalen Aufgeschlossenheit für das Problem.

Die Kanzlerin könnte einiges tun. Das erwarten die Leute. Und zwar zu recht. Eine Bildungsoffensive in großem Ausmaß, ebenso wie Tempo in qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung. Und eine gar nicht mehr so junge, pragmatisch denkende Generation zweifelt deswegen die Zukunftstauglichkeit des Föderalismus zu recht an – hier fehlt auch die Initiative des Bundespräsidenten, der dazu schon längst eine Kommission hätte gründen können. All diese drängenden Themen finden in der Bundespolitik keine Entsprechung.

Eines ist klar: Im nächsten Wahlkampf wird es für die Parteien nicht mehr ausreichen, die richtigen Fragen zu stellen, sondern Antworten zu bieten.


Corinna Emundts, geb. 1970, schreibt für die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" online Kolumnen aus Berlin. Die Politikjournalistin (Theodor-Wolff-Preisträgerin 1995), hat auch für die "Süddeutsche Zeitung", die "Frankfurter Rundschau", "Die Woche" und andere Blätter gearbeitet.