"Kein Star-Vehikel für Tom Cruise"

Lena Bodewein und Peter Claus im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 16.12.2008
Die meisten Zuschauer seien überrascht gewesen, dass der Film "Valkyrie" über den Hitler-Attentäter Stauffenberg auf einer wahren Geschichte basiere, berichtet Lena Bodewein aus New York. Und Peter Claus gesteht, er sei mit Vorurteilen in die Vorführung gegangen, Tom Cruise habe aber in der Hauptrolle überzeugt. Der Film "Walküre" startet am 22. Januar in unseren Kinos.
Klaus Pokatzky: 'Walküre' - das war das Codewort für die Attentäter des 20. Juli. "Valkyrie" ist der englische Titel des Filmes, in dem Tom Cruise Claus Schenk Graf von Stauffenberg spielt. "Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat" lautet der deutsche Titel, wenn er am 22. Januar in unsere Kinos kommt. In den USA ist der Filmstart am ersten Weihnachtstag. Gestern gab es die Vorab-Weltpremiere in New York und Lena Bodewein war dabei. Frau Bodewein, wie haben die Amerikaner den Film aufgenommen?

Lena Bodewein: Sehr gespannt, sehr interessiert, auch weil nicht allen bewusst war, dass das eine wahre Geschichte ist und dass es auch die anderen Deutschen gab. Also ich habe auch verschiedene Reaktionen vorher wie nachher bekommen, dass die Leute sagen: Ah, Walküre, das ist doch die Geschichte über die paar Amis, die losziehen, um Hitler zu töten. Also es wird völlig falsch zugeschrieben, und eben auch, dass es eine wahre Geschichte ist, das ist gar nicht so im Bewusstsein. Tom Cruise selber hat das Drehbuch gelesen und hat danach gesagt, Super-Geschichte, will ich auf jeden Fall machen, ach, das ist wirklich so passiert, aha – und hat erst recht gestaunt. Also man hört von allen auch so fast ein Unglauben darüber, dass das wirklich so geschehen ist und dass es eben auch sozusagen die anderen Deutschen gab. Der Produzent, Christopher McQuarrie, hat selber auch gesagt, ich bin in den USA aufgewachsen und war von daher immer überzeugt, alle Deutschen während des Zweiten Weltkriegs waren Nazis. Und dass das eben nicht so ist, das bringt die Leute hier schon so, ich will jetzt nicht sagen zum Staunen, es gibt natürlich auch genügend Leute, die da ganz reflektiert sind, aber sie kommen raus und sagen: Aha, Mensch, das ist ja mal eine ganz spannende Geschichte, das finde ich ja super!

Pokatzky: Wenn dieser Film also quasi so eine cineastische Geschichtslektion für die Amerikaner ist, kann er das Deutschland-Bild vielleicht ein bisschen verändern und besser machen?

Bodewein: Ich glaube, das wollen sie damit schon ein bisschen erreichen, einfach so die anderen Deutschen zeigen. Ihnen zeigen, und das ist ja auch in dem Film immer gesagt, wir müssen der Welt zeigen, dass wir nicht alle so sind wie Hitler. Und das ist, glaube ich, schon etwas, was das Deutschland-Bild korrigieren kann. Ich denke, man unterschätzt es auch oft, wie Deutschland gesehen wird und dass einfach in vielen Bereichen immer noch gesagt wird, na ja, Deutschland, Zweiter Weltkrieg, das waren doch alles Nazis, das ist doch völlig klar! Und das ist schon etwas, was hier viel diskutiert wird. Und da ist, glaube ich, auch einfach die Besetzung mit Tom Cruise, die ja sehr umstritten war, ganz schlau gewesen, weil sie sagen: Okay, wir nehmen einen Actionhelden, und der ist einfach die perfekte Figur für diese Heldengestalt.

Pokatzky: Was das Umstrittene von Tom Cruise angeht, also die Mitgliedschaft in der Scientologen-Kirche, die ja auch in Deutschland zunächst verhindert hat, dass im historischen Bendler-Block gedreht werden durfte, was dann erst später möglich gemacht wurde – wie hat sich denn das gestern bei der Premierenfeier bemerkbar gemacht?

Bodewein: Es gab Proteste von Scientology-Gegnern, die sich da hinstellten und riefen: (O-Ton) also: Schaut diesen Film nicht! Scientology tötet! Sie sagen, der Holocaust hat nicht so stattgefunden, wie er stattgefunden hat. Scientology ist einfach nicht gut, und Tom Cruise ist so die Figur, die für Scientology steht. Und er setzt sich dafür immer ein, und sie sagen, das kann man nicht unterstützen, geht nicht in diesen Film! Es ist uns völlig egal, was in diesem Film gezeigt wird. Man kann ja sagen, ja, gerade deshalb sollte man doch in diesen Film reingehen, wenn mal sozusagen die guten Deutschen gezeigt werden. Nein, das ist uns total egal, was in diesem Film gezeigt wird, solange Tom Cruise da mitmacht, das wollen wir nicht! Andere Zuschauer haben gesagt: Völlig wurscht, wir können abstrahieren, wir können da durchaus sehen, das ist ein Schauspieler, und was seine Religion betrifft, das ist uns völlig egal! Das ist Amerika, hier kann jeder machen, was er will, und wir verstehen die Botschaft des Filmes auch ganz unabhängig, ob er jetzt Buddhist ist oder Scientologe oder irgendwas anderes.

Pokatzky: Und was glauben Sie, welche Meinung sich letztlich an den Kinokassen durchsetzen wird?

Bodewein: Die Meinung, dass es ein spannender Thriller ist und dass Tom Cruise irgendwie doch das transportieren kann und dass sie den gerne sehen werden. Das einzige Problem ist nur, dass hier zurzeit natürlich auch "Der Vorleser" startet, ein anderer Film, "Defiance", über eine Gruppe von Juden in Weißrussland, und es noch mehrere andere Filme aus der Nazi-Ära gibt, die alle zeitgleich anlaufen und sich ein bisschen das Publikum wegnehmen könnten. Ich kann mir vorstellen, dass die Leute dann irgendwann übersättigt sind und sagen: So, jetzt haben wir aber genug von der NS-Zeit!

Pokatzky: Danke, Lena Bodewein in New York! Unser Filmkritiker Peter Claus hat den Film bereits letzte Woche gesehen. Claus Schenk Graf von Stauffenberg, dargestellt von Tom Cruise. Stauffenberg ist ja nicht nur eine der wenigen Heldengestalten, die die deutsche Geschichte aufzuweisen hat. Er war auch eine ganz ungewöhnliche, eine facettenreiche Person, die nach der schweren Verwundung an der Afrikafront auf Genesungsurlaub in Deutschland schon den Staatsstreich mitplant und nebenher gemeinsam mit seinen Brüdern Homer übersetzt. Peter Claus, trifft Tom Cruise diesen Claus Stauffenberg?

Peter Claus: Homer erleben wir nicht im Kino, aber einen Tom Cruise, der sehr zurückgenommen spielt, der nicht den Star raushängen lässt. Das ist kein Tom-Cruise-Film, das ist ein Ensemble-Film. Und er versucht mit seinen schauspielerischen Möglichkeiten, die – wie bei allen Schauspielern – in gewisser Weise beschränkt sind, ein facettenreiches Porträt zu zeichnen, und das gelingt. So wird ja beispielsweise im Film auch die Frage angerissen: Was wollten die Männer eigentlich hinterher unternehmen, wenn es denn geklappt hätte? Und Stauffenberg, dieser ungewöhnliche Mann, hat diese Frage ja damals auch gestellt. Und wie Cruise gerade dieses Zweifeln, dieses Nachdenken mit wenigen mimischen Mitteln zum Ausdruck bringt, das finde ich spannend. Und ich behaupte, es ist seine beste schauspielerische Leistung seit "Rain Man".

Pokatzky: Das heißt, es ist ein Stauffenberg-Film?

Claus: Nein, es ist kein Stauffenberg-Film, es ist ein Film über die Männer des 20. Juli. Es ist ein Ensemble-Schauspielfilm, unheimlich gut besetzt. Kenneth Branagh aus Großbritannien ist beispielsweise dabei. Einen sehr starken Eindruck hinterlassen auch deutsche Schauspieler, Thomas Kretschmann beispielsweise, Christian Berkel, in den verschiedenen Rollen. Und es ist ja eine Chronologie der Ereignisse, die uns geboten wird: Was war davor, wie lief es ab, wie ging es zu Ende, wobei – und das fand ich ganz verblüffend – die Spannung so groß ist, dass man zwischendurch im Kino sitzt und denkt, mein Gott, vielleicht klappt’s ja diesmal doch mit der Bombe, und sich sofort zusammenreißt und sagt, die Geschichte war nun mal eine andere, die kann im Kino nicht umgeschrieben werden. Wird sie auch nicht, nein, es ist kein Starvehikel für Tom Cruise, es ist ein Film, der versucht, diese Männer als Gruppe zu porträtieren, wobei Stauffenberg natürlich die führende Persönlichkeit ist und bleibt.

Pokatzky: Der Verleih wirbt mit dem Motto "Nach einer wahren Geschichte". Wie sehr ist das dann wirklich historisch getreu und wie sehr ist es noch Action? Oder ist die Gratwanderung da gelungen?

Claus: Action ist das so gut wie gar nicht, erfreulicherweise, es ist ein Kammerspiel, sehr sachlich inszeniert, sehr leise. In den besten Momenten hat es mich ganz stark – das ist ein leider oft missbrauchtes Klischee, aber es ist nun einmal so – an die guten Filme von Alfred Hitchcock erinnert, der ja auch mit ganz leisen Mitteln gearbeitet hat. Der Schrecken kommt ja nun mal auch sehr oft auf leisen Pfoten und nicht laut tönend daher. Und es ist ein Film, der im Grunde, denke ich, sich sehr eng an historische Fakten hält. Ich bin mir aber sicher, es wird historisch gebildetere Menschen, Zuschauer, als mich geben, die sagen, hier stimmt das Detail nicht, da stimmt jenes Detail nicht. Muss ich aber sagen, wenn ich Filme über die Historie sehe, sagen wir mal im alten Rom, da weiß ich auch nicht, wie es nun minutiös tatsächlich war. Das interessiert mich dann auch nicht als Zuschauer. Die große Linie, die stimmt.

Pokatzky: Jetzt mal Hand aufs Herz, als Sie in den Film reingegangen sind – Sie haben ja sicherlich auch so Ihre Tom-Cruise-Vorstellungen und -Bilder –, hätten Sie sich vorgestellt, dass Sie, nachdem Sie den Film gesehen haben, so fast hymnisch über ihn reden?

Claus: Da plaudere ich mal aus dem Nähkästchen: Ich kam raus und traf zwei von mir sehr geschätzte Kollegen, beide mit angespannten Gesichtern, und einer sagte: Wir wollten den Film doch schlecht finden! Es geht aber nicht, da waren wir uns einig. Natürlich, auch ich habe Vorurteile, gerade was Tom Cruise angeht, den ich in anderen Filmen nur schrecklich fand als Schauspieler, in einigen aber schon sehr hervorragend. Und ich hatte nicht erwartet, dass dies a) ein so stiller, ein so leiser, ein so feinsinniger Film ist, und b) nicht erwartet, dass Tom Cruise in diese Rolle passen würde. Nein, ich gebe es zu, ich bin mit großen Vorurteilen reingegangen und bin froh, dass ich noch immer in der Lage bin, Vorurteile dann, wenn es angebracht ist, abzulegen.

Pokatzky: Sie haben auch den Film von Jo Baier, den deutschen Film, also die deutsche Version über Stauffenberg gesehen. Wie unterscheiden die beiden sich?

Claus: Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Deutschland und Hollywood. Die US-Amerikaner haben das Filmemachen ja industrialisiert, sie haben Standards gesetzt in der Produktion, und wir als Zuschauer haben Standards im Gucken übernommen. Und dieser Film entspricht sehr viel stärker diesen Standards. Er ist weniger sperrig, er ist weniger mit Ecken und Kanten ausgestattet. Allerdings, und das, meine ich, ist das große Verdienst, er stellt stärker als der deutsche Film die Frage eben, ich habe sie schon einmal erwähnt: Was wollten die Männer eigentlich danach unternehmen? Und er zeigt die große Unsicherheit, auch das Nichtwissen. Und da entsteht dann der sehr spannende Effekt, dass natürlich die Männer des 20. Julis geehrt werden, aber sie werden nicht auf einen Sockel gehoben.

Pokatzky: Ecken und Kanten hat es gegeben, was die Behandlung der Journalisten, der Filmkritiker anging. Es gab, ja, man kann das fast so als eine Art Maulkorb-Vertrag bezeichnen seitens des Verleihs, der United Artists, wo Sie sich verpflichten mussten, wenn Sie die Pressevorführung besuchen wollten, dass Sie keine Filmkritik vor dem 18. Dezember veröffentlichen würden. Das hat dann gestern der Verleih zurückgezogen, also diese Sperrfrist aufgehoben. Durften Sie überhaupt all das, was Sie jetzt gesagt haben, auch wirklich jetzt so sagen, oder müssen wir uns jetzt Sorgen machen, dass Sie da mit einem Bußgeld hinterher bewehrt werden?

Claus: Das werden wir mal sehen. Ich glaube nicht, ich hoffe nicht. Ich habe natürlich jetzt vor dem Gespräch auch noch mal mit dem Verleih telefoniert und habe gesagt, die jetzige Freigabe, keine ausführliche Kritik zu liefern, aber doch schon über den Film sprechen zu dürfen, ist ja ein bisschen schwammig. Antwort: Ach, machen Sie es doch oberflächlich! Konnte ich nur sagen: Das machen wir ja immer im Radio.

Pokatzky: Warum, glauben Sie denn, hat der Verleih jetzt doch, zumindest teilweise, so ein bisschen zurückgerudert, was diese rigide Vorschrift, nichts darüber zu sagen, nichts Tiefgründiges darüber zu sagen?

Claus: Da kann ich ein bisschen nur im Kaffeesatz lesen. Bei uns Journalisten, auch ein Vorurteil, herrscht die Meinung vor, wenn wir so was unterschreiben müssen, dann haben die Leute Angst, der Film käme nicht gut an. Inzwischen haben sie wohl mitgekriegt, wie gut er angekommen ist. Ich stehe ja mit meiner überaus positiven Meinung nicht alleine da. Diese Angst ist genommen, und vielleicht auch die Angst, wenn zu viel zu früh berichtet würde, könnte die Spannung bei den Zuschauern verpuffen. Das ist eine berechtigte Angst. Wir haben schon Filme erlebt, da wurde Monate vorher berichtet, und man hat sich auch als Journalist gefragt: Mein Gott, müssen die Kollegen denn so früh das Maul aufreißen! Das ist nicht immer glücklich, aber in diesem Fall glaube ich, wo der Film ja gerade in Deutschland so heiß erwartet wird – es gab Diskussionen während der Dreharbeiten bis hin zu so absurden Fragestellungen, darf der US-Amerikaner Tom Cruise einen Helden des deutschen Widerstands spielen. Alles Kokolores, er darf nicht nur, er kann es einfach, also warum soll er nicht.

Pokatzky: Davon abgesehen, wie wirkt sich diese Praxis sonst noch auf Ihre Arbeit als Filmkritiker aus?

Claus: Erschwerend. Es macht einem die Arbeit tatsächlich schwerer, nicht nur die zeitlichen Abläufe um die einzelne Aufführung herum werden in die Länge gezogen, wenn man dann auch noch ein Verbot hat zu einem bestimmten Zeitpunkt, der vielleicht für ein Magazin, für eine Radiostation, für einen Fernsehsender gut wäre, zu berichten, nein, man darf erst in letzter Sekunde. Das macht einem das Leben schwerer, aber das muss ich natürlich auch mal sagen, das ist jetzt von mir meckern auf äußerst hohem Niveau.

Pokatzky: Danke, Peter Claus, und trotz allem noch viel Spaß bei der Arbeit!
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