"Kein isolierter Fall"

Dominique Manotti im Gespräch mit Ulrike Timm · 24.05.2011
Die französische Schriftstellerin Dominique Manotti bezeichnet die Affäre um den zurückgetretenen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn als symptomatisch für ihr Land. Politische Macht sei in Frankreich eine Art Aphrodisiakum.
Ulrike Timm: Der Mann, der entscheidend Europas Weg durch die Finanzkrise steuerte, stand plötzlich in Handschellen vor dem Haftrichter in New York. Knapp eine Woche ist es her, dass Dominique Strauss-Kahn den Vorsitz des Internationalen Währungsfonds aufgab, um sich fortan seiner Verteidigung zu widmen. Der Vorwurf: Er soll in einem New Yorker Hotel versucht haben, ein Zimmermädchen zu vergewaltigen. Die Diskussion um diesen Vorwurf, die hat sich längst verselbstständigt. Und am Wochenende beschwerten sich französische Feministinnen in einem Aufruf über den Sexismus der französischen Medien, die Entgleisungen hochrangiger Politiker ganz generell einfach totschweigen würden. Eine unappetitliche Gemengelage aus viel Dunst und noch mehr Nebel, und wir sprechen darüber mit der französischen Schriftstellerin Dominique Manotti. Bonjour, madame!

Dominique Manotti: Bonjour, madame!

Timm: Frau Manotti, Sie haben gesagt, das alles habe Sie nicht überrascht. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Manotti: Nein, das hat mich wirklich nicht überrascht, weil ehrlich gesagt: Das ist etwas, was in der französischen Gesellschaft einfach stattfindet derzeit, und für mich ist die ganze Affäre um Dominique Strauss-Kahn ein Symptom für das, was in der französischen Gesellschaft eben auch geschieht.

Timm: Inwiefern?

Manotti: Es ist insofern symptomatisch für den Zustand der französischen Gesellschaft aus zwei Gründen, und der erste Grund, der offensichtlichste Grund ist der, dass die französische politische Klasse, die französischen Politiker – das sind Machos, die sich vollkommen von Frauen abgeschottet haben. Und wir sind in Europa einfach das Land, wo – in Frankreich – die Repräsentation von Frauen die niedrigste überhaupt ist in ganz Europa, was Politikerinnen anbetrifft.

Timm: Nun ist es aber so, dass die Geschichte von Dominique Strauss-Kahn, die auch eine Geschichte des Vorwurfes zumindest sexueller Belästigung ist, und die Symptome einer ganzen Gesellschaft immer noch zwei verschiedene Dinge sind. Wieso weiten Sie das soweit aus?

Manotti: Nein, ich muss das noch mal präzisieren, ich verallgemeinere das nicht, ich sage nicht, dass das die gesamte politische Klasse macht, dass das alle französischen Politiker machen. Ich sage lediglich, dass diese Art, wie Dominique Strauss-Kahn Frauen anmacht, und auch diese sehr militante Art, wie er das macht, das ist kein isolierter Fall. Das ist wirklich bekannt, das ist nicht das erste Mal so, das muss man schon trennen. Und das zweite Symptom, und das betrifft eben auch den Zustand der französischen Gesellschaft, ist einfach, dass alle das wussten, dass Strauss-Kahn zu solchen Aktionen neigt, aber es ist vertuscht worden! Es ist verschwiegen worden, eben auch von den Journalisten, und da gibt es eine Komplizität von Journalisten mit dem politischen Milieu, und das ist der zweite Punkt, den ich kritisiere.

Timm: Und die Feministinnen, die wandten sich auch vor allem gegen die französischen Medien, denen sie solche Verquickungen unterstellen und mal nachweisen zu können. Wie sehen die denn im Einzelnen aus? Wieso kann das in Frankreich Ihrer Meinung nach totgeschwiegen werden?

Manotti: Also, ich möchte Ihnen da mal ein ganz konkretes Beispiel nennen, damit Sie vielleicht verstehen, um was es mir hier geht. Es gibt einen Fall in Frankreich, wo ein Senator aus dem Département de Seine Saint Denis, also in der Nähe von Paris, der auch Bürgermeister ist – ich werde seinen Namen jetzt nicht nennen, aber der Name ist bekannt –, der ist wegen sexueller Belästigung 2002 in erster Instanz verurteilt worden, er ist dagegen vorgegangen, ist in zweiter Instanz noch einmal verurteilt worden und ist auch jetzt 2011, als er es noch einmal versucht hat, dagegen vorzugehen, zum dritten Mal rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Fall von 2002 bis 2011 eines bekannten Senators, der auch Bürgermeister ist, ist in keiner einzigen Zeitung jemals aufgegriffen worden, darüber wurde nicht berichtet.

Timm: Nun gehen Politik, Macht und Sex ja manchmal Hand in Hand. Ungut. Israel hat seinen früheren Staatspräsidenten Mosche Katsav deswegen rechtskräftig verurteilt, Italiens Premier Berlusconi macht aus seinen Affären eigentlich überhaupt keinen Hehl und kriegt damit erst in letzter Zeit Ärger – sind das alles Geschichten nach dem Gesetz: Wer die Macht hat, braucht beim Sex nicht groß zu fragen?

Manotti: Nun, wissen Sie, ich bin ja Romanschriftstellerin, und als Romanschriftstellerin interessiere ich mich sehr wohl für diese Verbindungen zwischen Sex und politischer Macht, und wenn man mit französischen Politikern beispielsweise darüber diskutiert, dann geben sie wirklich zu, dass politische Macht eine Art Aphrodisiakum ist. Eins muss man vielleicht verstehen, das ist, wenn Dinge möglich sind, und wenn sie nicht bestraft werden, dann geschehen sie einfach. Ich werde Ihnen jetzt ein sehr, sehr extremes Beispiel nennen, was jetzt nicht direkt mit dieser Affäre zu tun hat, aber an der mexikanisch-amerikanischen Grenze werden jährlich 1000 Frauen ermordet in Ciudad Juárez, weil es einfach unbestraft bleibt und weil sich Männer diese Gewalt einfach leisten können, auch ungestraft leisten können. Und die Politiker beispielsweise, die sexuelle Übergriffe auf Frauen einfach machen, die Frauen einfach anmachen, sexuell belästigen, die tun das, weil sie es sich leisten können, weil auch sie unbestraft bleiben.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit der französischen Schriftstellerin Dominique Manotti, und gehen jetzt noch mal zurück zum Fall Dominique Strauss-Kahn und sprechen über die Reaktionen französischer Feministinnen zu dieser Affäre. Frau Manotti, nun sind die Feministinnen eine klare Minderheit. Laut einer Umfrage glauben 57 Prozent der Franzosen an eine Verschwörung, und was wirklich passiert ist, das wissen bei solch einem Verdacht genau ja immer nur zwei Menschen. Zugleich verwahren sich die Demonstrantinnen dagegen, die Unschuldsvermutung außer Acht zu lassen. Wie geht das zusammen?

Manotti: Wissen Sie, diese Meinungsumfrage und diese Zahl der 57 Prozent, das hat stattgefunden einen Tag, nachdem diese Affäre publik geworden ist, das war ja wie ein Erdbeben in Frankreich, und die Leute waren unglaublich überrascht und auch ins Mark getroffen. Ich bin mir nicht sicher, dass wir heute – eine Woche nach dieser Affäre – immer noch auf solche Zahlen bei einer Meinungsumfrage kämen, das muss man vielleicht auch mal ganz deutlich sagen. Aber natürlich: Trotzdem sind diese Feministinnen eine wirkliche Minderheit in Frankreich, sie sind, wenn Sie so wollen, wie die Haut auf der Milch. Sie sind wirklich nur an der Oberfläche, und man findet Sie eigentlich auch nur in sehr kulturellen Schichten, und sie sind wirklich nicht verwurzelt in der französischen Gesellschaft, das stimmt. Diese Unschuldsvermutung, die trifft natürlich für alle zu, auch für Dominique Strauss-Kahn, aber unabhängig jetzt von diesem Prozess muss man einfach sagen: Diese Affäre war eine Art Donnerschlag, es war ein Auslöser für ganz andere Fälle, für Fälle, die wirklich bekannt sind. Es geht hier nicht nur um Dominique Strauss-Kahn, es geht auch um andere Politiker, die zeigen, dass solche Unsitten wirklich auch in Frankreich verbreitet sind. Man muss natürlich hier einen Unterschied machen zwischen Männern, die Frauen anmachen, auch auf eine sehr plumpe Art und Weise anmachen, und Männern, die aggressiv werden Frauen gegenüber. Das darf man natürlich nicht in einen Topf werfen! Man kann nicht sagen, jeder, der eine Frau plump anmacht, wird auch sofort aggressiv, aber als Romanschriftstellerin erlebe ich eigentlich eher das Gegenteil, und diese psychoanalytische Diskussion, die zur Zeit stattfindet, ist dafür in diesem Fall nicht so relevant. Um hier bei dem Strauss-Kahn zu bleiben, es gibt eben diese Gerüchte, dass in dem Moment, wo er verhaftet worden ist, dass er seine Hände auf den Hintern einer Stewardess gelegt hat und gesagt hat: Sie haben aber einen schönen Arsch!

Timm: Aber die Geschichte an sich, die klingt schon so perfekt abstrus – IWF-Chef fällt über Zimmermädchen her, dass er nie zuvor gesehen hat –, hätten Sie sich als Autorin von Politthrillern getraut, sie für ein Buch zu entwerfen oder hätten Sie sie als absurd verworfen.

Manotti: Nein, das hätte ich mich nicht gewagt. Weil man hätte es mir nicht geglaubt, es hätte als unglaubhaft gegolten.

Timm: Der wichtigste sozialistische Präsidentschaftsanwärter ausgeschaltet wegen Vorwurfs der Vergewaltigung, und DSK – sein Kürzel – beteuert seine Unschuld. Madame Manotti, eigentlich ist das doch schon jetzt Stoff für einen Thriller mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle, oder?

Manotti: Also ich sehe da lieber George Clooney!

Timm: Das ist jetzt aber auch sexistisch, von der anderen Seite her!

Manotti: Ja, ja, auf jeden Fall!

Timm: Merci beaucoup, madame! Die französische Schriftstellerin Dominique Manotti zur "Affaire DSK", wie es in Frankreich heißt – zur Affäre um den früheren IWF-Chef Dominique Strauss Kahn.

Links bei dradio.de:
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