Kein Frühstück im Pelz

15.08.2013
"Wer ist uns über den Kopf gewachsen?", fragte ihr damaliger Liebhaber, Max Ernst. "Das Meretlein." Gemeint ist die Künstlerin Meret Oppenheim, die am 6. Oktober dieses Jahres 100 Jahre alt geworden wäre. Nun ist eine bild- und textreiche Monografie über die Surrealistin erschienen.
Manets "Frühstück im Grünen" hatte seinen Zeitgenossen nicht wegen der nackten Frau missfallen, die mit zwei bekleideten Männern auf einer Wiese sitzt. Schließlich handelte es sich um ein durchaus salonfeines Ungleichgewicht in der Darstellung der Geschlechter. Das Problem war vielmehr Manets Verzicht auf jedwede allegorische oder mythologische Begründung der Szenerie. Die Provokation resultierte aus der Alltäglichkeit. Mit ihrem rätselhaften "Objekt", einer mit Fell beklebten Tasse, nebst Untertasse und Kaffeelöffel, beschritt Meret Oppenheim den gegenläufigen Weg der mysteriösen Verfremdung. Bekannter ist das Werk unter jenem untilgbaren Namen, den ihm André Breton verlieh: "Frühstück im Pelz".

Nimbus der surrealistischen Kind-Frau
Bereits im Jahr seiner Entstehung, 1936, wurde es vom Museum of Modern Art angekauft, avancierte zu einem der bekanntesten Objekte des Surrealismus und besiegelte die Rezeption der gerade mal 23-Jährigen. "Wer ist uns über den Kopf gewachsen", fragt ihr damaliger Liebhaber Max Ernst und antwortet selbst: "Das Meretlein." Neben der Felltasse werden uns wohl noch ein, zwei weitere Objekte der Künstlerin in den Sinn kommen, vielleicht der Bierkrug mit Eichhörnchenschwanz oder die als Truthahn auf einen Silbertablett servierten Damenpumps. Vor allem aber denken wir an Fotografien, die gar nicht von ihr stammen. Man Ray lichtete sie in Posen rund um eine Druckerpresse ab und verlieh ihr den Nimbus der surrealistischen Kind-Frau.

Am 6. Oktober diesen Jahres wäre Meret Oppenheim 100 geworden. Im Vorfeld ist nun eine ebenso text- wie bildreiche Monografie erschienen. Gemeinsam mit einer Retrospektive in Wien und Berlin, tritt sie dieser begrenzten Rezeption mit Vehemenz entgegen und zeigt das gesamte Schaffensspektrum von 1931 bis zum Tod, 1985. So wird das skulpturale Schaffen nicht nur durch Malerei ergänzt, sondern auch durch vielfältige Mischformen, mit denen Oppenheim solche Gebietsgrenzen verwischt, sowie durch ihre wenig bekannte Dichtung. "Fische an den Sohlen / Flossen am Absatz / Die goldene Sonne in der Mitte" schreibt sie in den 1940er Jahren und vollzieht damit in der Sprache genau jene irrigen Verknüpfungen, die auch ihre Bildwerke prägen.

Bereits als Jugendliche zeichnete Oppenheim ihre Träume auf
Wie Christiane Meyer-Thoss in einem der Beiträge ausführt, wird in Oppenheims Dichtung die Relevanz von Träumen besonders deutlich. Bereits als Jugendliche hatte sie mit deren Aufzeichnung begonnen. Das Verbinden von Unverbundenem und das Aufbrechen des Rationalen war also bereits vor ihrem Aufbruch nach Paris künstlerisches Prinzip und blieb es lang nach ihrer Abkehr von der Gruppe der Surrealisten. Wie eine Prophezeiung findet sich die absurde Gleichung "X = Hase" schon in einem ihrer Schulhefte.

In seiner Venus im Pelz, der zweiten Patin der Felltasse, stellte Leopold von Sacher-Masoch 1870 fest, dass die Frau dem Mann erst dann zur Gefährtin werde, "wenn sie ihm gleich steht an Rechten, wenn sie ihm ebenbürtig ist durch Bildung und Arbeit." Oppenheim ging es jenseits dieser Gleichberechtigung um die Auflösung von Geschlechterrollen und -normen. In gleicher Weise lehnte sie auch in der Kunst Kategorien und Einsortierungen ab, allen voran in die Schublade des Surrealismus. Dieser Grundtenor zieht sich als roter Faden durch die zahlreichen interessanten Beiträge – übrigens vorwiegend von Autorinnen –, die durch überlappende Themenstellungen allerdings zuweilen redundant werden. Etwas versteckt, finden sich als Kleinode Texte der Künstlerin selbst, so jene Preisrede von 1974, in der sie prägnant ihre Lebensmaxime zusammenfasst: "Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen."

Besprochen von Dorothée Brill

Heike Eipeldauer, Ingried Brugger, Gereon Sievernich (Hrsg.):
Meret Oppenheim. Retrospektive

Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2013, 312 Seiten, 39,80 Euro
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