Kein farbenfrohes China

Von Uwe Friedrich · 13.09.2008
In Giacomo Puccinis Märchenoper terrorisiert Prinzessin Turandot die Gesellschaft. Erst als Prinz Calaf am Ende ihre Liebe gewinnt, durchbricht er wider Erwarten das Schema der Gewalt. Regisseur Lorenzo Fiorini hat mit seiner Berliner Inszenierung nicht den Mut, dem Publikum einen exotischen Raum zuzumuten. Dabei wäre ein farbenfrohes China eine wirkliche Überraschung an der Deutschen Oper.
Der Schluss von Puccinis Märchenoper "Turandot" ist ohnehin nicht besonders glaubwürdig. Das wird auch nicht besser, wenn der Regisseur Lorenzo Fioroni kurz vor dem finalen Vorhang noch die beiden Väter der Protagonisten vom glücklichen Ehepaar ermorden lässt. Nachdem die brutale Prinzessin einen Mann nach dem anderen hat umbringen lassen, gar selber den Tod der grundsympathischen Liu verschuldet hat, soll sie sich in den letzten Minuten doch noch in den Prinzen Calaf verlieben und mit ihm fürderhin glücklich leben.

Schon Puccini merkte, dass diese Wandlung nicht überzeugend darzustellen ist und ließ die Oper unvollendet. In letzter Zeit haben einige Regisseure die Oper mit dem (von Puccini noch komponierten) Tod der Liu enden lassen und verzichteten auf das Finale des Komponistenkollegen Franco Alfano.

So weit wollte Fioroni nicht gehen. Er platziert kurz vor Toresschluss noch einmal einen Einfall, und das geht ebenso daneben wie seine wenigen Einfälle im vorigen Verlauf des Opernabends. Selbstverständlich haben Fioroni und sein Ausstatter Paul Zoller nicht den Mut, dem Publikum einen exotischen Raum zuzumuten. Dabei wäre ein farbenfrohes China, egal ob historisch oder zeitgenössisch, eine wirkliche Überraschung an der Deutschen Oper.

Stattdessen schauen wir wieder einmal, wie fast immer in der Ära Harms, auf einen hässlichen Einheitsraum, in dem sich der Chor in lieblos zusammengeklaubten Second-Hand-Klamotten tummelt. Die Volksmasse ist zwar die eigentliche Hauptperson in Puccinis Oper. Die Untertanen werden vom totalitären Regime manipuliert und lassen sich freudig manipulieren. Mal fordern sie den Tod des unglücklichen Prinzen, dann haben sie wieder Mitleid. Zunächst sie sind bereit, Liu in den Tod zu treiben, doch dann empfinden sie ehrliche (oder auch geheuchelte) Trauer.

Puccinis zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Bild des Volks. Mit einer stringenten Chorführung wäre der Jungregisseur Fioroni aber offenbar überfordert. Und so verfällt er auf die Idee, ein Theater auf dem Theater bauen zu lassen, auf dem die Herrscher die breiten Massen unterhalten lassen. Dann muss der Chor nur noch reinkommen und sich hinsetzen, schon ist das Problem der Chorbeschäftigung gelöst. Leider ist das ziemlich langweilig anzusehen, und der Einfall, das Frage- und Antwortspiel zwischen Turandot und Calaf zur Quizshow zu machen, auch ein wenig platt.

Wenn Fioroni hingegen das Stück und damit auch die Sänger in Ruhe lässt, funktioniert die Oper allerdings recht gut, das ist bereits mehr, als sich über die letzte Premiere an der Bismarckstraße sagen lässt. Das Bühnenpersonal hat auch dann noch genug mit dem Dirigenten Pinchas Steinberg zu tun, der mit seinen bizarren Tempowechseln das Publikum ebenso überrascht wie die Sänger. Die geraten im ersten und zweiten Akt in beinahe jedem Ensemble aus dem Tritt, nach der Pause wird es etwas besser, doch bleibt der gesamte Abend fast durchgehend zu laut.

Wenn auf der Bühne kein Exotismus zu sehen ist, dann braucht man ihn auch nicht zu hören, scheint sich Steinberg gedacht zu haben, und braust über alle Instrumentierungsfeinheiten Puccinis hinweg. Bewundernswert, wie sich Lise Lindstrom und Marco Berti als verhindertes Liebespaar davon nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Lindstrom hat die metallische Durchschlagskraft, um sich auch gegen den größten Orchesterlärm durchzusetzen. Sie macht den Rausch der Spitzentöne zum überwältigen Ereignis, hat aber auch den Mut zu leiseren Klängen. Mit Marco Berti steht wohl der beste Calaf unserer Tage auf der Bühne. Auch er kann überwältigen, findet jedoch auch im Fußballstadionshit "Nessun dorma" noch Zwischentöne, gestaltet seine Rolle als liebestoller Naivling gelegentlich sogar anrührend.

Für die erfreulichste Erfahrung sorgt jedoch der Chor unter William Spaulding. Nach dem anhaltenden Formtief unter dem alten Chordirektor hat er nun wieder das Format, mit schönem Vollklang ebenso zu beeindrucken wie in den virtuos leisen Passagen des dritten Akts.

Zum Ende der Oper verbannt der Regisseur den Chor jedoch auf die Hinterbühne und nimmt damit der Oper den abschließenden großen Effekt. Nachdem schon Turandot ihr triumphales "Sein Name ist Liebe" akustisch unvorteilhaft weit hinten auf der Bühne singen muss, ist das sein letzter Fehler in dieser vom Publikum müde aufgenommen Premiere.