Kein blinder Glaube

Rezensiert von Kirsten Dietrich · 11.04.2006
In all die Begeisterung für den deutschen Papst und die Wiederentdeckung des christlichen Abendlandes passt Barbara Dobricks Buch nicht hinein. Trotzdem ist "Aber sprich nur ein Wort" nicht einfach eine Abrechnung mit der katholischen Kirche, und das ist wirkliche Stärke des Buches. Stattdessen versucht die Autorin, dem Doppelgesicht gerecht zu werden, das Religion für sie hat.
Ein "Familienroman", so heißt es unter dem Titel "Aber sprich nur ein Wort". Es geht um Kindheitserinnerungen. Ein Mädchen, sechs bis sieben Jahre alt, erzählt vom Großwerden im Nachkriegs-Hamburg der 50er Jahre. Johanna wächst in einer Großfamilie voller starker Persönlichkeiten auf, drei Generationen leben unter einem Dach. Die Mutter ist mit Inbrunst katholisch, und so wächst auch das Kind in einen intensiven Glauben hinein.

Manche Erinnerungen sind wahrscheinlich recht typisch für eine katholische Sozialisation. So wie die Kommunion, bei der das Kind in Gedanken ganz beim Herrn sein will und doch an die Gegenwart gefesselt ist, weil nämlich die Hostie am Gaumen klebt und sich partout nicht auflösen will.

Aber viele Erinnerungen sind auch aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive erzählt. Das liegt allein schon daran, dass Johanna als Katholikin in Hamburg groß wird, wo man eigentlich auf sehr zurückgenommene Art evangelisch ist und nicht etwa inbrünstig zu Maria betet.

Die Diaspora fängt aber schon in der Großfamilie an: Johannas Mutter ist als junge Frau zum Katholizismus konvertiert, die Großmutter dagegen als Tochter eines Reformpädagogen gar nicht getauft und deshalb Grund zu ernsthafter Sorge für das Kind - wie kann es Großmutter vor dem zu erwartenden Fegefeuer retten? Vor der Haustür beginnt endgültig die fremde Welt, und es ist faszinierend und erschreckend, dass Johanna zum Beispiel ihre Schulklasse bei der Einschulung vor allem als Missionsfeld fürs Seelenheil der Mitschüler betrachtet.

Schon der Titel verweist auf eine tiefe Sehnsucht nach Erlösung. Er ist ein Zitat aus dem Matthäusevangelium, wo der Hauptmann von Kapernaum Jesus bittet, einen kranken Knecht zu heilen: "Ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach gehst, aber sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund." In der Liturgie im Gottesdienst heißt es dann: "… sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund." Die Autorin interpretiert das ambivalent: ein fester Glaube an Heilung einerseits, aber auch ein tiefes Gefühl, dieser Heilung eigentlich unwürdig zu sein.

Genauso erlebt das Mädchen Johanna sein Katholischsein, und genau das kritisiert die zweite, erwachsene, reflektierende Stimme der Erzählerin Jahrzehnte später an der katholischen Sozialisation. Sie, also das Mädchen, hat sich von diesen Schuldgefühlen mühsam befreit. Die Mutter bleibt ein abschreckendes Rollenvorbild, denn die hat sich in Katholizismus geflüchtet, um für das Schuldigwerden der eigenen Mutter im Nationalsozialismus zu büßen, mit einem fremdbestimmten Leben und einer schier unüberschaubaren Zahl von Kindern.

Trotzdem ist "Aber sprich nur ein Wort" nicht einfach eine Abrechnung mit der katholischen Kirche, und das ist wirkliche Stärke des Buches. Stattdessen versucht Barbara Dobrick, dem Doppelgesicht gerecht zu werden, das Religion für sie hat.

Wir lernen Riten, Gebete und feste Glaubensgerüste mit dem kleinen Mädchen leben, mit all dem geheimnisvollen Glanz. Und wir können mit der erwachsenen Frau protestieren gegen das Fundament aus Schuldgefühlen und Abwertung von Frauen, auf dem die bunte, faszinierende Welt des Katholizismus steht.

Das Ganze ist geschrieben als innerer Dialog, die Erwachsene hinterfragt ihre Kindheitserinnerungen, aber verleugnet sie und ihren Zauber nicht - das macht das Lesen interessant, auch wenn man das Prinzip schnell durchschaut hat. Bei aller Kritik bleibt die Sehnsucht nach religiöser Verwurzelung.

Barbara Dobrick betont: Ihr Buch ist ein Roman, keine Autobiographie. Aber natürlich ist viel geschöpft aus eigenem Erleben, schon allein dadurch, dass die Eckdaten im Leben der Hauptfigur denen ihrer eigenen Biographie entsprechen. Der Ton liegt so nah an einer Autobiographie, dass man schon aufpassen muss, um das nicht zu verwechseln.

Diese Art der Auseinandersetzung mit der Kirche ist sehr typisch für die Nachkriegsgeneration: Zorn über das Schweigen der Eltern und die Schuld der Großeltern, Auseinandersetzung mit kirchlicher Sexualethik - diese Konflikte blühten in 70ern und 80ern. Aber Barbara Dobrick bindet das überzeugend an aktuelle Überlegungen zur Rolle von Religion an. Wenn zum Beispiel die reflektierende erwachsene Stimme die neue Begeisterung über christliche Werte nur ungläubig staunend wahrnehmen kann, wenn die auf einmal die Gesellschaft retten sollen. Und anmerkt, dass sie schon mal erlebt hat, dass das nicht funktioniert. Blinder Glaube sei nicht wirklich das, was die Gesellschaft brauche, und schon gar nicht als islamischen oder christlichen Fundamentalismus.



Das ist natürlich eine Stimme, die quer steht. Man begeistert sich zur Zeit ja eher daran, dass junge Menschen lieber zum Papst reisen als zu Straßenkämpfen – schon dass der antikirchliche Konsens von vor 20 Jahren heute fast außerweltlich klingt, zeigt, was sich verändert hat. Aber dadurch, dass Barbara Dobrick die Sehnsucht nach Religiösem und nach Verwurzelung im Glauben und in Ritualen nicht verrät, macht sie damit auch ihre Kritik glaubwürdig. Und dann wird auch ihre Kritik an institutionalisierter Religion relevant. Denn auch wer heute wieder wertorientiert und kritikfrei glauben will, kann irgendwann sehr plötzlich an Grenzen stoßen, die die Kirche immer noch setzt.


Barbara Dobrick: Aber sprich nur ein Wort
Orlanda Verlag, Berlin 2006, 202 Seiten