Karl Otto Götz

Das Vokabular der informellen Maler

Karl Otto Götz im Alter von 85 Jahren in einem Atelier, im Hintergrund einige Gemälde.
Ein Blick in Götz' Atelier zur Jahrhundertwende. Mittlerweile ist der Maler nahezu erblindet. © picture alliance / dpa / Dieter Klaas
Von Carsten Probst · 22.02.2014
Karl Otto Götz ist eine Ausnahmeerscheinung: Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte er sich zu einem Hauptvertreter der informellen, gestischen Malerei und wurde gleichzeitig einer der einflussreichsten Lehrer und Forscher seiner Zeit. Vor hundert Jahren wurde er geboren.
"Die informellen Maler, soweit sie noch leben – man kann sie ja nicht totschlagen, nicht – die malen ja weiter, nicht, und bleiben informell. Aber sie modifizieren ihre Arbeit, das kommt ja von selbst."
Karl Otto Götz, am 22. Februar 1914 in Aachen geboren, ist mehr als nur ein Hauptvertreter der informellen Malerei in Deutschland. Als Lehrer an der Kunstakademie in Düsseldorf hater die westdeutsche Kunst seit den Sechzigerjahren mitgeprägt und gilt bis heute als der erfolgreichste, wenn nicht folgenreichste Kunstprofessor nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu Götz' Schülern in den zwanzig Jahren seiner Lehrtätigkeit zwischen 1959 und 1979 zählen unter anderem Sigmar Polke, Gerhard Richter, Franz Erhard Walther, Bernhard Blume oder Gotthard Graubner.
"Der Graubner war mein erster Meisterschüler. Der Graubner war Schüler bei Meistermann und kam dann zu mir und hat damals schon monochrom gemalt mit informellen Mittelpunkten, damals schon, 1960! Und das hat er weiterentwickelt mit verschiedenen Materialien, mit Kissen und so weiter."
Seine offene, kommunikative Art prädestinierte Karl Otto Götz früh für eine Lehrtätigkeit – aber zunächst lehnte er Berufungen an Kunsthochschulen noch ab, weil er sich allein seiner Malerei und seiner surrealistisch geprägten Dichtung widmen wollte.
Ein "Künstler-Forscher"
Während viele informelle Bestrebungen nach dem Niedergang des Dritten Reiches darauf zielten, einen bürgerlich-individualistischen Kunstbegriff wiederherzustellen, war und ist Karl Otto Götz bis heute ein großer Experimentator, ein Künstler-Forscher geblieben, der die Gemeinschaft suchte. Seine Malerei, auf den ersten Blick gestisch und „wild“, ist in Wirklichkeit eine stete Folge von Erprobungen, von gezielten Versuchen mit Farben, Material und Bildträgern. Psychologisch-naturwissenschaftliche Wechselwirkungen erforschte er bereits in seinem abstrakten Frühwerk in den Dreißigerjahren. Ehe Götz 1941 als Nachrichtenoffizier in den Kriegsdienst nach Norwegen abberufen wurde, entstand seine „Fakturen-Fibel“, eine Art Künstlertagebuch, in dem er seine eigene Formensprache entwickelt.
"Ich hab‘ ein ABC – sozusagen – entwickelt, in der Fakturen-Fibel, anhand der beobachteten Naturereignisse. Die hab ich zerlegt, geometrisch. Und das beschreibe ich in der Fakturen-Fibel, wie ich das in der Natur beobachtet habe und wie ich die Natur analysiere, für mich, für mich ganz allein. Das steht da drin. Und dann hab ich daraus ein Vokabular entwickelt und hab dann selber Grundelemente entwickelt mit Motiv, Thema, Variation."
Große Teile seines Frühwerkes wurden bei den Bombenangriffen auf Dresden vernichtet, wo Götz damals lebte. Zwar entging er durch Glück der Kriegsgefangenschaft, doch fand er in den ersten Nachkriegsjahren in Deutschland kaum Anerkennung, geschweige denn die Möglichkeit, als Künstler zu existieren. Zu Hilfe kamen ihm und der von ihm mitbegründeten Künstlergruppe "Quadriga“ gute Kontakte zur Pariser Kunstszene, wo abstrakte Malerei viel unbefangener rezipiert wurde und das aktuelle internationale Kunstgeschehen präsenter war, als im Nachkriegsdeutschland. In Frankreich machte er auch die Bekanntschaft mit dem Werk von Jackson Pollock und Hans Hartung.
Abkehr vom Öl
Sein "Letztes Ölbild“, datiert auf den 7.9.52, markiert einen Neubeginn für den damals 38-Jährigen. Beim Anmischen von Farben für seinen Sohn entdeckt Götz, dass seine mit Kleister versetzte Malmasse erstaunliche, halb gegenständliche und halb abstrakte Strukturen erzeugt, wenn man sie mit einem Wischgerät, einem sogenannten Rakel, vor ihrem Trocknen von der Fläche entfernt. Sie eröffnet Götz die lang ersehnte Möglichkeit einer Malerei, die er vorab in genauen Skizzen plant und die dennoch ein spontaner Akt bleibt.
"Ich hab so'n Plan aber es muss ganz schnell gehen, da kommt sehr viel Zufall rein, sehr viel Zufall. Und wenn der Zufall so ist, dass ich sage: Oh, ganz schön! – Lässt es stehen. Ist der Zufall so blöd, dann muss ich das ganze Bild abwaschen. Also, ein Prinzip bei mir: Ich wasche nie einen Teil nur ab, der schlecht geworden ist, sondern ich wasch' das ganze Bild ab."
In den folgenden Jahren entwickelt er mithilfe der Rakel-Technik zahlreiche Variationen und Farbabmischungen, immer getrieben von der Faszination eines nie allein nur vom menschlichen Willen, sondern auch von der Eigensprache des Malmaterials erzeugten Ausdrucks. Zahllose hohe Ehrungen haben die Offenheit und Konsequenz seines Werkes nicht beeinflusst. Karl Otto Götz, dieser in jeder Hinsicht erstaunliche Maler, arbeitet daran, mittlerweile nahezu erblindet, bis heute.
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