Karl Marx über Spekulation und Religion

"Ich hätte viel Geld auf der hiesigen Börse gewonnen"

Der deutsche Philosoph, Schriftsteller und Politiker Karl Marx in einer Aquatinta-Radierung von Werner Ruhner "Karl Marx in seinem Arbeitszimmer in London".
Und wäre er nicht 1883 gestorben - er säße vielleicht immer noch in der London Library und schriebe. © dpa/picture alliance
Karl Marx im Gespräch mit Dieter Kassel · 04.05.2018
Wir haben 2018 - und Karl Marx hockt immer noch Tag für Tag in seinem Londoner Exil in der British Library und schreibt emsig weiter an seinem Werk. Höchste Zeit, mit dem alten Herrn kurz vor seinem 200. Geburtstag über Aktien, Religion und speziell den Islam zu sprechen.
Dieter Kassel: Herr Marx, sind Ihre Thesen zum Kapitalismus eigentlich zeitlos aktuell?
Karl Marx: Oh, es ist möglich, dass ich mich blamiere. Indes ist dann immer mit einiger Dialektik wieder zu helfen. Ich habe natürlich meine Aufstellungen so gehalten, dass ich im umgekehrten Fall auch Recht habe.
Kassel: Erklären Sie uns bitte, warum im Kapitalismus die Reichen immer reicher werden, aber die Menschen, die Mobiltelefone zusammenschrauben, eher nicht.

Marx zu "Arbeitswelt 4.0"

Marx: Die kapitalistische Produktion ist nicht nur die Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, dass er überhaupt produziert. Es muss Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert.
Filmszene: Karl Marx (Mario Adorf) lässt sich in Algier 1882 von einem Fotografen ablichten.
Karl Marx - der deutsche Prophet, verkörpert von Mario Adorf in der ZDF/Arte-Doku.© ZDF und Reda Laaroussi
Kassel: Und wie wirkt sich die Digitalisierung auf das alles aus – Stichwort "Industrie 4.0"?
Marx: Jede neue Erfindung, welche es ermöglicht, in einer Stunde zu produzieren, was bisher in zwei Stunden produziert wurde, entwertet alle gleichwertigen Produkte, die sich auf dem Markte befinden. Die Konkurrenz zwingt den Produzenten, das Produkt von zwei Stunden ebenso billig zu verkaufen wie das Produkt einer Stunde. Die Tatsache, dass die Arbeitszeit als Maß des Tauschwertes dient, wird auf diese Art zum Gesetz einer beständigen Entwertung der Arbeit.

"Es gibt keinen größeren Humbug als das Finanzwesen"

Kassel: In der Tat! Der Deutsche Gewerkschaftsbund sprach jüngst von digitalem Proletariat und moderner Sklaverei. Das Kapital dagegen vermehrt sich wie von selbst, etwa in der Finanzwirtschaft. Was halten Sie davon?
Marx: Es gibt wahrscheinlich keinen größeren Humbug in der Welt als das sogenannte Finanzwesen. Die einfachsten Operationen werden von den Jüngern dieser "Geheimwissenschaft" mit den abstrusesten Ausdrücken bezeichnet; in einer Weise, dass das Publikum von dieser abscheulichen Börsenscholastik ganz verwirrt ist.
Kassel: Immerhin kann sich jeder Aktien kaufen. Halten Sie persönlich die Aktienkurse im Auge?
Marx: Hätte ich während der letzten zehn Tage das Geld gehabt, so hätte ich viel Geld auf der hiesigen Börse gewonnen. Jetzt ist wieder die Zeit, wo mit very little money Geld gemacht werden kann in London.

Es geht immer um "money"

Kassel: Stimmt, die Kurse sind dort gestiegen, trotz Brexit. Aber ich schätze, weil Sie kein Geld haben, müssen Sie wieder jemanden anpumpen. Es geht also doch immer nur um money.
Marx: Yes! Was durch das Geld für mich ist, was ich zahlen, das heißt, was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer des Geldes. So groß die Kraft des Geldes ist, so groß ist meine Kraft. Das, was ich bin und vermag, ist also keineswegs durch meine Individualität bestimmt. Ich bin hässlich, aber ich kann mir die schönste Frau kaufen. Also bin ich nicht hässlich, denn die Wirkung der Hässlichkeit, ihre abschreckende Kraft, ist durch das Geld vernichtet.
Kassel: Herr Marx, das klingt zynisch und chauvinistisch. Verachten Sie die Frauen?
Marx: No! Der gesellschaftliche Fortschritt lässt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts - die Hässlichen eingeschlossen.

Und wie halten wir es mit der Religion, Karl Marx?

Kassel: Bevor wir jetzt in Teufels Küche kommen, wechseln wir das Thema. Nicht Revolution, Religion ist das Reizwort unserer Tage. Warum kommen die Menschen von der Religion nicht los?
Marx: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Das religiöse Elend ist der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt ...
Kassel: Stopp, Herr Marx, stopp! Sie wollen uns sicher sagen, Religion ist das Opium des Volkes. Aber was bedeutet das?
Marx: Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusion über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der religiösen Illusionen bedarf.

Ein Wort zum Islamismus...

Kassel: Ich fürchte, soweit sind wir noch lange nicht. Dafür reden alle über die Gefahren des – in London nicht unbekannten - politischen Islamismus. Hat der etwas mit dem Koran zu tun?
Marx: Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedensten Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen.
Kassel: Herr Marx, solche Thesen bringen Sie in die Nähe der AfD. Lassen wir das! - Es heißt, dass sie in London nicht nur denken, sondern auch dichten. Würden Sie Deutschlandfunk Kultur zum Schluss eine Kostprobe geben?
Marx: D'accord, so be it!
Darum lasst uns alles wagen,
Nimmer rasten, nimmer ruhn.
Nur nicht dumpf so gar nichts sagen
Und so gar nichts woll'n und tun.
Nur nicht brütend hingegangen,
Ängstlich in dem niedern Joch,
Denn das Sehen und Verlangen
und die Tat, sie bleibt uns doch.

Ein bisschen Spaß muss sein: Das waren Antworten - echte Antworten - aus dem Werk von Karl Marx. Gefunden und gegeben natürlich nicht vom Urheber selbst aus seinem Londoner Exil, sondern von unserem Kollegen Arno Orzessek.

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