Karl der Große

Der erste Kaiser des Mittelalters

Von Christian Berndt · 28.01.2014
Zu Lebzeiten wurde Carolus Magnus als Erneuerer des Römischen Reiches gefeiert, später beriefen sich Staatsmänner wie Napoleon auf ihn. Als Bildungsreformer taugt Karl der Große durchaus heute noch zum Vorbild. Vor 1200 Jahren starb der Frankenkaiser in Aachen.
Seit 1950 wird in Aachen der Karlspreis verliehen. Die nach Karl dem Großen benannte Auszeichnung für besondere Verdienste um die europäische Einigung hat nach zwei Weltkriegen einen hohen symbolischen Wert. 1954 ist Bundeskanzler Konrad Adenauer der Preisträger:
"Hier in Aachen liegt aufgeschlagen das Geschichtsbuch der europäischen Frühzeit, der Zeit, in der Europa noch eine einheitliche Ordnung besaß und der europäische Gedanke eine politisch konstruktive Macht bedeutete."
Karl der Große als Gründungsvater Europas – so sah man den Karolinger nach dem Zweiten Weltkrieg, eine Stiftungsfigur der europäischen Einigung. Tatsächlich herrschte er über viele Völker Europas, unter anderem über die Gebiete des heutigen Frankreich, halb Deutschlands und Italiens. Aber hatte er eine Vorstellung von Europa? Als der wahrscheinlich am 2. April 748 geborene Karl mit 20 Jahren König der Franken wurde, übernahm er ein bedeutendes Reich. Die Franken waren so mächtig, dass 15 Jahre zuvor sogar Papst Stephan Karls Vater Pippin um Schutz vor den Langobarden gebeten hatte und als erstes Kirchenoberhaupt ins Frankenreich gekommen war. Wie jeder Herrscher seiner Zeit war auch Karl in erster Linie Kriegskönig, nur zwei Jahre seiner Herrschaft verliefen ohne einen Feldzug.
Aber entscheidend für Karls Nachruhm war etwas anderes: Karl, des Lesens, aber nicht des Schreibens mächtig, war außerordentlich wissensdurstig. Seit dem Untergang des Römischen Reiches Ende des 5. Jahrhunderts hatte Europa einen zivilisatorischen Rückgang erlebt, nur in Italien waren Reste römischer Kultur erhalten geblieben. Die erlebte Karl, als er - um den Papst angesichts der wiederkehrenden Bedrohung durch die Langobarden nun selbst zu unterstützen - nach Italien zog. Nachdem er einen großen Teil des Landes unterworfen hatte, wurde die Begegnung mit Rom endgültig zur Initialzündung eines umwälzenden Reformprogramms im Frankenreich. Seine bevorzugte Pfalz Aachen ließ Karl prachtvoll zum "neuen Rom" ausbauen. Er holte Gelehrte aus ganz Europa an den Hof, Biograf Einhard schienen es zu viele gewesen zu sein:
"Er hatte Ausländer gern und nahm sich ihrer mit großer Sorgfalt an. Oft befanden sich so viele Fremde in seinem Palast und Reich, dass sie mit Recht lästig schienen."
Frühe europäische "Freizügigkeit"
Karls Hof galt als äußerst freizügig. Seine Töchter hatten Affären, einer der Söhne schien offen homosexuelle Kontakte zu pflegen. Der sinnenfrohe König selbst hatte Nebenfrauen und Mätressen. Aachen entwickelte sich in dieser Zeit zu einem einzigartigen geistigen Zentrum, von hier aus initiierte der gleichwohl äußerst fromme König ein Bildungsprogramm, mit dem er die Verbreitung des Christentums fördern wollte. Da das Fränkische als Gelehrtensprache untauglich war, musste Latein gelernt und gelehrt werden; Karl ließ antike Autoren in nicht gekannter Menge übersetzen und eine neue, bis heute gültige Schrift entwickeln.
Der Biograf Johannes Fried: "In meinen Augen ist Karl der Große deswegen groß, weil er das geleistet hat: Eine Kulturrevolution ins Leben gerufen hat, eine Kulturrevolution im Sinne von Wissenschaftsrevolution, Literalität, also dass die Leute lesen und schreiben können, dass das Latein ordentlich wird. Zum Lateinlernen gehört aber auch das Schreiben, die Schrift. Die Schrift, die vom Hof Karls des Großen ausgegangen ist, schreiben Sie heute noch."
Ihren Höhepunkt erreichte Karls Machtentfaltung im Jahr 800, als der Franke in Rom von Papst Leo dem Dritten zum ersten Kaiser in Westeuropa seit dem Untergang des Römischen Reiches gekrönt wurde. Man feierte ihn nun als Nachfolger der römischen Kaiser und als Herrscher des Abendlandes. Diese Deutung wirkte bis ins 20. Jahrhundert weiter. So betonte Bundespräsident Roman Herzog 1997 in seiner Dankesrede zur Verleihung des Karlspreises: „Seit mehr als tausend Jahren ist es die Schicksalsfrage unseres Kontinents, ob er in Einheit oder in Zerrissenheit leben will. Karl der Große, dessen Namen unser Preis trägt, hat darauf seine Antwort gegeben: Die erste Einigung Europas."
Von "Europa" hat Karl der Große allerdings nie gesprochen – als einer politischen Vision schon gar nicht. Als er am 28. Januar 814 starb, hatte er 44 Jahre regiert – für seine Zeit unfassbar lange. Sein Reich hat ihn nur eine Generation überdauert.