Karl Bruckmaier: "Obi und das Streben nach Glück"

Geschmacksverirrung als Widerstand

Rote Geranien an einem Fenster in Bayern
Ist das Kitsch oder kann das weg? Rote Geranien an einem Fester in Bayern © imago/Westend61
Karl Bruckmaier im Gespräch mit Max Oppel  · 05.10.2016
Plastik-Rehkitze im Vorgarten oder Geranien am Fenster: Das ist nicht einfach nur Kitsch, meint der Journalist Karl Bruckmaier, sondern ein "gereckter Mittelfinger" - gegen die Eliten, die sich in der Provinz breit machen. Und damit habe der Kitsch das Zeug zur Subkultur.
"Das System Baumarkt: Ein riesiger Materialienspeicher an Schund und Hochwertigem, der einen surrealen Überfluss der Möglichkeiten symbolisiert und landauf, landab bedienen sich die Menschen aus diesem Speichersystem und werkeln geradezu tollkühn an ihren Häuschen, Fassaden und Vorgärten herum und scheren sich einen Teufel um Architektur, künstlerischen Wert oder darum, was der aus München aufs Land verzogene pensionierte Gymnasialprofessor von ihrem Rehkitz aus Polyester denkt."
Der Journalist Karl Bruckmaier beobachtet die Ästhetik seiner ländlichen bayerischen Heimat, der Provinz. "Obi und und das Streben nach Glück" heißt das Buch: Geranien, Ytong-Steine und Plastik-Rehkitze verleiten Bruckmaier zu einer Tirade zwischen Liebeserklärung und Rant.
Denn genau diese Geranien und Plastik-Rehkitze sind "nicht einfach schlechter Geschmack, sondern ein gereckter Mittelfinger gegen das ästhetische Diktat der Eliten", meint Bruckmaier. Für ihn ist diese Elite der urbane aufgeklärte Beobachter, Menschen, die aus Berlin, Düsseldorf oder München in die Provinz ziehen, weil sie es dort schön finden und weil es billig ist. "Da entsteht ein gewisses Spannungsfeld, aber auch eine Art von passiv-aggressiven Verhalten", sagt Bruckmaier. Sein Buch sei kein Best of der Provinzscheußlichkeiten, sondern eher der Versuch zu zeigen, wie ein Großteil der Bundesrepublik Deutschland lebe und was so vielen Deutschen gefalle.

Der Baumarkt als Speicher für Hässlichkeiten

"Hier braust ein Deko-Tornado übers Land und jeglicher Anspruch auf touristische Domestizierung und Brauchtumspflege wird von ihm mit einem aberwitzigen Aufjauchzen hinweggerrissen",
schreibt Bruckmaier in seinem Buch. Aufgeweicht werde das aber durch den Tourismus: In seiner Heimat Niederbayern würden mittlerweile alpenländische Häuser gebaut - nicht, weil sie dort hingehörten, sondern weil die Touristen das erwarteten, sagt Bruckmaier. "Das sind Dinge, die es in meiner Jugend in diesem Landstrich einfach nicht gegeben hätte", erzählt er.
Zwei Hügel weiter sei von dieser "Bajuwarisierung", wie er es nennt, nicht mehr viel zu sehen: "Da spreizt sich etwas ein, was gemeinhin als hässlich empfunden wird." Der Baumarkt ist ein großer Speicher für solche Dinge, meint Bruckmaier. "Heute bedient man sich da und rekombiniert es - und mich hat das ganz stark erinnert an die Sachen, die in der Popmusik passiert sind: Der Baumarkt als verstecktes Materiallager einer Subkultur. Wie in der Popmusik ist es, dass 90 Prozent von dem, was da rumsteht, was da gemacht wird, Quatsch ist, Müll ist. Aber es sind zehn Prozent da, die eine innere Kraft haben, die eine intrinsische Stärke zeigen."