Kardinal Lehmann fordert von Muslimen Bekenntnis zur Verfassung

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann · 14.07.2005
Als Reaktion auf die Terroranschläge in London hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, von den Muslimen eine deutlichere Distanzierung von solchen Taten gefordert. Gleichzeitig müssten Muslime in Deutschland ein "aktives Bekenntnis" zu den Lebenswerten unserer Verfassung abgeben, sagte Lehmann.
Heckmann: Wären es isolierte Islamisten gewesen, wäre das schlimm genug gewesen, nun aber, da sich herausstellt, dass sie wohl aus der Mitte ihrer Gesellschaft kamen, britische Pässe besaßen, macht das die Sache noch viel schlimmer. Denn die Briten sind stolz auf das, was bei der Integration von Ausländern erreicht wurde. Doch die neue Erkenntnis scheint deren Erfolg doch in Frage zu stellen. Was kann dagegen unternommen werden, dass auch hier in Deutschland Parallelwelten entstehen, die die Planung und Vorbereitung von derartigen Terroranschlägen möglich machen? Das möchte ich besprechen mit Karl Kardinal Lehmann, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Guten Morgen.

Lehmann: Guten Morgen.

Heckmann: Kardinal Lehmann, Sie haben nach den Anschlägen gesagt, Sie beten für die Opfer und ihre Angehörigen, aber auch für die Terroristen und ihre Abkehr von der Gewalt. Reicht das oder muss da nicht mehr geschehen außer zu beten?

Lehmann: Das ist natürlich nur eine Dimension des Ganzen. Im Übrigen muss man sich ja auch klar sein, dass sehr, sehr viele Muslime mit uns leben, die wir nicht in den Zusammenhang bringen dürfen mit diesen Dingen. Es ist auch ganz klar, dass der Islam selber solche Taten verabscheut, es gibt ja auch genügend klare Äußerungen. Es handelt sich also doch um eine kleinere, sehr kleine Gruppe, die wahrscheinlich auch von außen gesteuert ist. Die Integration solcher Leute ist natürlich wenn sie so jung sind, wenn sie entsprechend regelrecht abgerichtet werden für so etwas, fast unmöglich. Ich denke mir, wichtig und entscheidend ist zunächst einmal, dass sie bei uns viel stärker dazu auch verpflichtet werden müssen, unsere Sprache zu lernen, unsere Kultur zu kennen, damit diese Isolation zunächst einmal vermieden werden kann. Wenn die Täter so jung sind wie im konkreten Fall, dann ist wirklich auch die Frage, ob sie unter Umständen überhaupt schon mal Berührung hatten mit deutschen Schulen, mit deutscher Kultur. Im konkreten Fall wird man sich natürlich fragen müssen, was wird eigentlich für eine Einbürgerung, für die Verleihung der Staatsbürgerschaft wirklich verlangt? Da kann ich Ihrem vorher geäußerten Gedanken gut folgen, dass wir vielleicht doch im hohen, stärkeren Maß ein konkretes, aktiveres Bekenntnis abverlangen müssen zu den Lebenswerten, den Grundwerten unserer Gesellschaft, unserer Verfassung.
Heckmann: Also den Grundwerten Demokratie, Freiheit, Gleichberechtigung. Wie könnte aber so ein Bekenntnis aussehen?

Lehmann: Ich glaube, das kann man doch nur abverlangen, wenn zugleich Erfahrungen mit Menschen da sind, wie sie leben. Irgendwo scheint mir, genügen da nicht nur formelle Verfahren, die da auch noch vieles im Verborgenen lassen müssen. Es scheint mir schon auch, dass da eine bestimmte Zeit dazu gehört, ich glaube auch, Erfahrungen, die Nachbarn mit Menschen haben, es muss also doch etwas stärkere Vertrautheit mit unserer Lebenswelt gegeben sein. Von da aus ist mir natürlich schon auch klar, dass hier eine absolute Sicherheit nicht besteht.

Heckmann: In Brüssel distanzierten sich die Führer der muslimischen Gemeinden bei einem gemeinsamen Auftritt mit Kommissionspräsident Barroso. Drängt man nicht die friedliebenden Moslems in die Arme der Radikalen, wenn man von ihnen immer und immer wieder eine Distanzierung erwartet, sobald Terroristen im Namen der Religion, im Namen des Islams einen Anschlag verüben?

Lehmann: Ich sehe das genauso. Ich habe ja schon, längst vereinbart, am Abend nach dem Anschlag an der Universität Osnabrück mit Doktor Elyas, dem Vorsitzenden des Zentralrates des Islams in Deutschland, eine Diskussion gehabt über Fundamentalismus. Da musste ich selber auch immer wieder ein Stückweit die normal bei uns lebenden Islamangehörigen in Schutz nehmen, weil sie sofort in den Zusammenhang gebracht werden. Da und heute ist das sicher besser und beim London-Anschlag wird man das auch sagen müssen, aber sonst kann man noch einmal monieren, dass die Distanzierung von diesem Vorgehen vielleicht auch noch ein bisschen deutlicher und klarer sein kann, damit es alle hören, die irgendwie zum Islam gehören.

Heckmann: Der bayerische Innenminister Beckstein hat die muslimischen Gemeinden dazu aufgerufen, stärker zu kooperieren mit den Geheimdiensten. Sehen sie das ähnlich oder müssten die Gemeinden nicht dafür sorgen, dass so etwas wie Aussteigerprogramme aufgelegt werden, wie man das aus der Rechtsradikalenszene kennt?

Lehmann: Man darf doch sicher annehmen, dass die Menschen auch verängstigt sind und dass sie nichts zu tun haben wollen mit solchen Extremisten. Wahrscheinlich wissen sie davon auch nicht sehr viel. Aber ich denke, die Angst verfolgt zu werden von totalitären Kräften, die ist bestimmt da. Ich sehe darin schon einen Weg, die Bereitschaft zu erhöhen, Vorgänge, die in diese Szene gehören, einfach dann auch zu melden. Aber ich glaube, das ist ein langer Weg, da braucht es auch noch einmal viel Vertrauen. Ich habe im Gespräch mit Vertretern des Islam gespürt, dass zum Beispiel die 300 Moscheeuntersuchungen und 2000 Wohnungsuntersuchungen der letzten Zeit bei uns, schon auch da Verbitterung gebracht haben und zum Teil auch eine Abwehrstellung gegenüber den Geheimdiensten und der Polizei. Aber man muss eben auch dafür werben, dass das Verständnis dafür da ist, dass so etwas bei uns auch nicht willkürlich geschieht. Das ist, glaube ich, ganz wichtig auf dem Weg der Integration, man muss ihnen auch klar machen, dass wir selber, wir Einheimischen, auch von der Verschärfung dieser Maßnahmen, siehe Lauschangriff und so fort, mitbetroffen sind und dass wir alle zusammen diese Verantwortung tragen. Aber wir haben eben insgesamt doch weniger Kontakte gerade mit Muslimen und deswegen gehört das in den Gesamtkontext der Integration.

Heckmann: Über die Folgen der Terroranschläge in London war das im Gespräch mit der OrtsZeit Kardinal Karl Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.