Kanal gestrichen voll!

Von Udo Pollmer · 24.08.2013
Die Fachleute warnen: In der Kanalisation landen Gifte aller Art, die eigentlich entfernt werden müssten. Doch leider gelangen sie bis in die Gewässer. Denn die Kommunen wollen sich die Ausgaben für wirksame Kläranlagen sparen.
Abwasserfachleute in der Schweiz haben den Kanal gestrichen voll - voll mit Schadstoffen. Denn sie finden immer mehr Substanzen im Abwasser der Kläranlagen, also nicht im Abwasser, das in die Kläranlagen fließt, sondern das nach dem Klären in die Flüsse geleitet wird. Sorgen bereiten ihnen die vielen Medikamente für eine alternde Gesellschaft und die vielen Kosmetika, damit die Alten wieder jünger aussehen. Die Schweizer jedenfalls greifen tief in die Tasche und installieren moderne Technik, damit ihr Abwasser wieder so rein wird, wie es dem Image des Landes entspricht.

In Deutschland ist die Lage nicht so rosig. Die Belastungen liegen hier tendenziell höher als bei den Nachbarn. Jahr für Jahr konsumieren die Deutschen über 30.000 Tonnen Arzneimittel. Im gereinigten Wasser aus der Kläranlage finden sich immer noch wilde Cocktails. Spitzenreiter sind natürlich die Abwässer der Krankenhäuser. Da gelangen auch noch Kontrastmittel in die Kanalisation. Dagegen sind nicht nur die Kläranlagen machtlos, auch die Trinkwasseraufbereitung stößt an ihre Grenzen. Selbst wenn es nur Spuren bis ins Trinkwasser schaffen, so befinden sich in der Umwelt bereits erhebliche Mengen von Schadstoffen.

Schweißfußmittel im Gemüsefach
Der biologische Abbau in der Kläranlage mittels Mikroorganismen beseitigt zwar einiges, aber nicht alles. Und manches wird dadurch noch riskanter. Denn die Bazillen, die hier 24 Stunden am Tag ihre Abbau-Arbeit verrichten, entwickeln sich in Gegenwart von Antibiotika und resistenten Krankenhauskeimen zwangsläufig zu Drehscheiben für Resistenzen. Im gereinigten Wasser, das aus der Kläranlage kommt, werden mehrfachresistente Keime sogar angereichert. Diese gelangen in Gewässer, in denen dann Kinder baden, und der Landwirt beregnet damit seine Gemüsefelder.

Neben den Medikamenten tragen auch Putzmittel aus den Haushalten und Socken gegen Schweißfüße antibiotische Wirkstoffe ein – wie zum Beispiel Triclosan. Unsere Kläranlagen sind dagegen machtlos. Die eine Hälfte des Triclosan bleibt im Wasser, die andere versackt im Klärschlamm. In Europa werden 40 Prozent des Klärschlamms zum Düngen verwendet. Karotten neigen übrigens dazu, dieses Mittel anzureichern. Für anderes Gemüse liegen noch keine Daten vor. Auf diese Weise recyceln wir ein Schweißfußmittel über das Gemüsefach unseres Kühlschranks. So gesehen, haben die Karotten einen Umweltengel verdient.

Ätzend, entflammbar, giftig
Arg wird es bei den Kosmetika. Flakons, Cremetöpfchen und Pflegemittel enthalten häufig Gefahrstoffe. Wer die Inhaltsstoffe eines Parfüms als Reinsubstanzen per Post beziehen möchte, um es sich selbst zusammen zu rühren, kriegt Probleme mit der Gefahrstoffverordnung. Die Paketdienste sind nicht bereit, derart gefährliches Zeug zu transportieren. Sobald der ganze Mix im Flakon oder der Tube steckt, ist jede Gefahr gebannt. Denn hier – und nur hier – wird auf die sonst zwingend erforderlichen Gefahrenhinweise verzichtet. Die Schildchen für ätzend, entflammbar oder giftig passen nicht zum Image teurer Pflegeserien.

Bei Kosmetika sollte man einfach auf den Packungen die üblichen Gefahrstoffsymbole angeben – so wie es für alle anderen Produkte auch gilt. Nicht nur die Fische würden aufatmen, manch eine Haut würde sich vom Zuspachteln wieder erholen, und die Zahl der Allergien würde sinken.

Das Sortiment an Medikamenten ließe sich nach den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation ausmisten und die Verschreibungspraxis der Ärzte ein wenig umweltfreundlicher gestalten, wenn sie den Mut aufbringen, ihre Patienten auch mal ohne Rezept nach Hause zu schicken. Auch wenn danach zwei von drei Apotheken schließen müssten, es wäre ein großer Gewinn für die Gesundheit von Mensch und Natur. Bei Putzmitteln dürfte ein Werbeverbot wahre Wunder wirken – allein der Verzicht auf Waschmittel-Spots würde den Durchschnitts-IQ des Fernsehprogramms deutlich anheben. Mahlzeit!


Literatur:
- Götz C: Spurenstoffe im Abwasser – Suche nach relevanten Emissionsquellen. Ergebnisse der Messkampagne 2012. Amt für Umwelt und Energie, St Gallen 2013
- Hasse ES: Arzneimittel-Reste belasten die Alster-Zuflüsse. Die Welt 12. Aug. 2013
dpa: Vermehrt Kontrastmittel im Berliner Trinkwasser. Berlin.de – das offizielle Hauptstadtportal, 23. Mai 2013
- Macherius A et al: Metabolization of the bacteriostatic agent triclosan in edible plants and its consequences for plant uptake assessment. Environmental Science & Technology 2012; 46: 10797-10804
- Czekalski N et al: Increased levels of multiresistant bacteria and resistance genes after wastewater treatment and their dissemination into Lake Geneva,Switzerland. Frontiers in Microbology 2012; 3: e106
- Rüdel H et al: Retrospective study of triclosan and methyl-triclosan residues in fish and suspended particulate matter: Results from the German Environmental Specimen Bank. Chemosphere 2013; 91: 1517-1524
- Böhmer W et al: Retrospective Monitoring of triclosan and methyl-triclosan in fish: Results from the German Environmental Specimen Bank. Organohalogen Compounds 2004; 66: 1516-1521
- Compagne T: Putzmittel: Zu viel landet im Abwasser. Coopzeitung 2013; Nr. 8: S. 8-9
- Häuser S, Vengels J: Hormoncocktail im Badezimmer. BUND, Berlin 2013