Kampf gegen die "Leitkultur des Verschwendens"

Harald Welzer im Gespräch mit Susanne Burg · 31.01.2012
Bisher habe die Ökobewegung relativ erfolglos mit Katastrophenszenarien agitiert, meint der Soziologe Harald Welzer. Die Nachhaltigkeitsbewegung müsse aber vielmehr "Gegengeschichten zu der existierenden Wirklichkeit" erzählen, positive Beispiele für nachhaltige Projekte. Solche "Labore einer anderen Praxis" stellt er mit seiner Stiftung "Futur II" vor.
Susanne Burg: Was Kriege anrichten, damit hat sich der Sozialpsychologe Harald Welzer intensiv auseinandergesetzt. Im vergangenen Jahr hat er zusammen mit dem Historiker Sönke Neitzel das Buch "Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben" herausgegeben. Da ging es um Abhörprotokolle, die die Briten und Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs von den Gesprächen deutscher Kriegsgefangener angefertigt haben. Seit einiger Zeit beschäftigt er sich mit dem gleichen Aspekt, nur in die Zukunft gerichtet, etwa in dem Buch "Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird".

Nun hat er eine Stiftung gegründet und auch bei der geht es um die Zukunft, sie heißt Futurzwei und nimmt morgen ihre Arbeit auf. Über diese Stiftung will ich jetzt mit Harald Welzer sprechen, guten Morgen!

Harald Welzer: Guten Morgen!

Burg: Herr Welzer, Sie haben sich in Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn immer wieder mit der Vergangenheit beschäftigt. Warum nun dieser Sprung von der Vergangenheit in die Zukunft?

Welzer: Ach, so groß ist der Sprung gar nicht, weil, ich habe mich ja nicht als Historiker mit der Vergangenheit beschäftigt, sondern als Sozialpsychologe. Und in der Gewaltforschung, da habe ich es zum Beispiel dann mit historischen Materialien zu tun gehabt. Aber die Frage war eigentlich immer: Was bedeutet das für die Zukunft von Gewalt? Also, auch die Studie, die Sie eben erwähnt haben, über die Soldaten geht ja weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus und stellt zum Beispiel die Frage, unter welchen Bedingungen werden Menschen extrem gewalttätig, die von sich selber das niemals geglaubt hätten nur kurze Zeit davor?

Burg: Und warum nun gleich der Sprung ins Futur II, also nicht die Frage, werden wir das Ruder herumreißen, sondern werden wir das Ruder herumgerissen haben?

Welzer: Na ja, ich glaube, weil das psychologisch ganz wichtig ist. Also, die Frage, wer wird man gewesen sein und wer will man gewesen sein, was werden wir getan haben, führt ein bisschen aus diesen Konjunktiven heraus. Wir haben im Bereich von Nachhaltigkeit, Klima und ökologischen Fragestellungen alles Wissen, was man braucht, um eigentlich genau vorauszusehen, dass unsere Praxis, unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Praxis eigentlich nicht zukunftsfähig ist. Und das sagt auch jeder.

Sie können x Vorträge darüber hören, Texte lesen, Zeitungsartikel, und dann enden die immer mit so einem Konjunktiv: Wir müssten jetzt, wir sollten jetzt und so weiter. Und das hat eigentlich inzwischen, nachdem wir jetzt 40 Jahre lang solche Formen von Kommunikation und Rhetorik haben, merkt man, da funktioniert nicht allzu viel.

Wenn wir uns aber in das Konkrete hinein entwerfen und sagen, wir werden später auf diese Zeit zurückgeblickt haben als eine, in der wir etwas getan haben, dann hat man so ein bisschen anderes Motiv für das Ganze und kann gleichzeitig auch konkret werden und nicht mehr im Konjunktiv, man müsste, man könnte, man sollte, sondern: Wir haben jetzt für eine Zukunft das und das getan.

Burg: Das ist also soweit ein Gedankenspiel. Wie strahlt das dann aber tatsächlich in die Gegenwart zurück?

Welzer: Ja, Sie haben völlig recht, es ist ja nur der Titel und jedes Kind braucht einen Namen und dieser Name erschien uns im Grunde genommen auch sehr schön, weil man auch viele Wortspiele damit machen kann. Die grammatische Form Futur II kann man ja auch bezeichnen als die vollendete Zukunft, im Englischen heißt das Future Perfect. Also, im Grunde genommen hat dieser Namen auch ein bisschen eine spielerische Qualität.

Konkret sieht das Ganze so aus, dass wir ein Redaktionsteam haben, was Geschichten des Gelingens recherchiert und schreibt, also die Beschreibung von jemandem, der eine Schuhmanufaktur betreibt und dabei nur Produkte aus der Region verwendet und gleichzeitig seinen Beschäftigten, also den Schuhmachern und so weiter, mehr bezahlt als sich selber. Das wäre so ein Projekt, wo jemand in der Gegenwart, wo alle sagen, es kommt darauf an, ein Unternehmen muss wachsen, ein Unternehmen muss Profit machen, ein Unternehmen muss möglichst kosteneffizient operieren, das genaue Gegenteil macht, und siehe da: Das funktioniert.

Beispiele dieser Art gibt es recht viele, man kann das bekannteste nennen: Die Schönauer Stromrebellen, die aus einer Bürgerinitiative heraus ein sehr erfolgreiches Energieversorgungsunternehmen gemacht haben, was nur erneuerbare Energien anbietet.

Und das Ganze interessiert uns deswegen, weil man a) damit zeigen kann, dass auch im Gegenwartszustand schon Labore einer anderen Praxis, einer anderen Wirklichkeit entstehen können, und auf der anderen Seite, dass man auch nicht auf irgendetwas warten muss, um damit anzufangen, also, auf den großen Beschluss der Kopenhagener Klimakonferenz oder der von Durban oder der von XY, sondern, dass wir Handlungsspielräume haben, die uns die Möglichkeit bieten Dinge zu tun, von denen allgemein behauptet wird, man könne ja nichts machen. Und unsere Geschichten sind im Grunde genommen die lebendigen Gegenbeispiele dazu.

Burg: Und wer ist dann Wir, an wen richten sich diese Geschichten?

Welzer: Ja, die richten sich schlicht und ergreifend an diejenigen, die sie hören wollen. Also, das ist ganz lustig, weil man natürlich immer gefragt wird, wer ist die Zielgruppe und so weiter, und wir sagen, wir machen was ganz anderes: Wir finden es wichtig, dass die Nachhaltigkeitsbewegung Geschichten erzählt, Gegengeschichten zu der existierenden Wirklichkeit. Und die stellen wir in einem Online-Journal zur Verfügung, diese Geschichten, die kann man dort nachlesen, die kann man auch in unterschiedlichen Formen aufbereitet zum Beispiel sich anschauen und dann kann man, wenn man sich dafür interessiert, kann man weiter stöbern in unseren Geschichten oder man kann es bei einer bewenden lassen oder wie auch immer.

Burg: Aber das sind ja alles Erfolgsgeschichten, so wie es klingt. Also, wie begegnen Sie der Gefahr, dass das den Menschen dann vielleicht auf die Dauer ein Tick zu viel Vorbildlichkeit ist?

Welzer: Ach, na ja, wissen Sie, wir haben jetzt 40 Jahre lang Ökokommunikation und da war nichts Vorbildliches dran, sondern die war immer nur fünf vor zwölf. Und wir haben dort die Katastrophe und die Gletscher schmelzen und der Meeresspiegel steigt und das CO2 und wir müssen und wir haben keine Zeit ... Also, rein Negativkommunikation.

Wenn wir jetzt mal mit unserer kleinen bescheidenen Initiative versuchen, positive Geschichten zu erzählen, sehe ich die Gefahr erst mal nicht so gering, dass einem das über wird. Im Übrigen sind die Leute, die das machen, manchmal so interessant, dass, glaube ich, der Eindruck, dass das inspirierend ist, zunächst mal stärker ist als der, dass die irgendwie gut sind. Sie sind ja nicht gut in einem moralischen Sinne, sondern sie machen nur Sachen, die interessant sind.

Burg: Sie haben eben die Ökobewegung erwähnt, der haben Sie auch bescheinigt, dass sie wenig effektiv gewesen sei in ihren Aufklärungsoffensiven. Wie wollen Sie das denn besser machen, effektiver sein?

Welzer: Ja, indem man das praktisch mal umformatiert. Dass ich zum Beispiel, wenn ich die Frage habe – die ist ja im Moment sehr stark, auch gesellschaftlich –, wie mache ich denn eigentlich Energiewende? Oder noch stärker: Wie mache ich die sogenannte große Transformation zur nachhaltigen Gesellschaft? Dann kann ich das viel besser realisieren, wenn ich nicht negativ argumentiere.

Es gibt ja gute Gründe eine Gesellschaft zu entwickeln, die viel verantwortlicher, viel achtsamer mit Ressourcen umgeht, als wir das jetzt tun in der Leitkultur der Verschwendung. Da brauche ich aber nicht den Klimawandel oder das Katastrophenszenario, um zu sagen, jetzt müssen wir was verändern, sondern man kann auch ganz umgedreht sagen: Wenn wir zum Beispiel eine autofreie Stadt haben, dann ist das ein Wert an sich, das wird die Lebensqualität stark erhöhen. Das ist auch dann toll, wenn es gar keinen Klimawandel gibt.

Und Sie können über die Geschichten, die wir erzählen, eben auch positive Motivationen erkennen bei den Akteuren, die sagen, mir macht das Spaß, das zu machen, und ich fühle mich viel besser, seit ich so wirtschafte, gegenüber dem Zeitpunkt, wo ich das noch ganz konventionell gemacht habe.

Burg: Morgen nimmt die neue Stiftung Futur II ihre Arbeit auf, ich spreche dabei hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Stiftungsgründer und Sozialpsychologen Harald Welzer. Herr Welzer, braucht es nicht trotzdem eine politische Vernetzung, um den Geschichten, die sich ja dann in so einem virtuellen Raum befinden, dann auch politische Taten folgen zu lassen?

Welzer: Absolut. Wir würden ja auch gar nicht in Anspruch nehmen, dass damit dann alles getan ist. Das ist im Grunde genommen nur die Veränderung einer Perspektive und auch sozusagen das Zurverfügungstellen von solchen Geschichten, die vielleicht vorbildhaft wirken, die auch nachahmenswert sein können. Sie sind ja nicht so hoch organisiert wie Greenpeace oder so große andere Organisationen, sondern zum Teil sind das auch einzelne Personen. Und da sieht man, dass es eben diese Handlungsspielräume gibt wie erwähnt, dass man Dinge machen kann, so. Und damit ist natürlich nicht die Transformation der Gesellschaft schon geleistet, selbstverständlich bedarf es dafür der Politik.

Aber auch die Politik braucht Impulse, sie braucht auch einen neuen Druck aus der Zivilgesellschaft, um sozusagen Fehlentscheidungen zu immer mehr Wachstum, zu industrieorientierter Politik nicht beständig fortzuschreiben. Und wir verstehen ja diese Geschichten, die wir erzählen, tatsächlich auch als Labore, als Experimentierfelder, als Beispiele für solche Experimente, wie man denn eigentlich eine zukunftsfähige, nachhaltige Gesellschaft bauen kann. Denn so richtig wissen tun wir das ja nicht.

Burg: Haben Sie eigentlich der Wissenschaft den Rücken gekehrt? Was passiert mit Ihrer Forschung am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen?

Welzer: Na ja, ich habe der Wissenschaft zunächst einmal den Rücken gekehrt, weil jetzt andere Prioritäten gesetzt werden. Aber wenn Sie das vom Material her anschauen, wenn wir über eine Zeit hinweg solche Projekte recherchieren, beschreiben und auch im Verlauf verfolgen, dann bekommt man ja auch was sehr Interessantes, nämlich eine Art Wissen darüber, wie Veränderung im Konkreten eigentlich passiert. Und dieses Wissen kann man auch wissenschaftlich auswerten. Wir nennen das Transformationsforschung. Und ich glaube, dass Futurzwei auch zu solchen Fragestellungen, wie macht man eigentlich Transformation, dann einen wissenschaftlichen Beitrag leisten können wird.

Burg: Geleistet haben werden kann ...

Welzer: ... geleistet haben werden könnte ...

Burg: Zum Abschluss in diesem Sinne noch eine Frage an Sie im Futur II: Wer möchten Sie denn gewesen sein?

Welzer: Ach, ich möchte eigentlich jemand gewesen sein, der das, was er tut, selber ernst genommen hat. Und das hört sich vielleicht ein bisschen doof an, aber mir fehlt ganz häufig die Transferleistung. Wenn ich Gewaltforschung gemacht habe, habe ich sie immer deshalb gemacht auch, damit man Wege findet, dass die Zukunft weniger gewaltvoll wird. Wenn ich über Klimafragen geforscht habe, dann habe deswegen gemacht, damit man nicht sehenden Auges zusieht, wie der Planet in einen immer schlechteren Zustand gerät. Und insofern möchte ich jemand gewesen sein, der dazu beigetragen hat, dass es besser gewesen ist, als wenn ich es nicht getan hätte.

Burg: Dann viel Erfolg dabei! Morgen nimmt die Stiftung Futurzwei ihre Arbeit auf, ich habe mit dem Stiftungsgründer gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Welzer!

Welzer: Sehr gerne!
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