Kampf gegen das Vergessen

"Nicht warten, bis die Gedächtnisstörung da ist"

In einem Labor im Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung der Universität Leipzig kontrolliert Biologie-Doktorantin Anne Suttkus auf einem Bildschirm
Die DNA-Färbung von Alzheimer-Hirngewebe. © picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch
Emrah Düzel im Gespräch mit Ute Welty · 19.12.2015
Neue Erkenntnisse zum Frühstadium von Alzheimer soll die "Rheinland-Studie" des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) bringen. Der Hirnforscher Emrah Güzel erwartet neue diagnostische Verfahren, die vorbeugende Therapien sinnvoll machen.
Der Neurologe Emrah Düzel vom Deutschen Zentrum für Neurogenerative Erkrankungen (DZNE) erwartet aus der Alzheimerforschung neue Möglichkeiten zur Früherkennung, die auch die Therapie maßgeblich beeinflussen werden.
"Das Wichtigste ist, dass wir nun wissen, dass die Erkrankung selber, also die Ablagerung von diesen Eiweißmolekülen zum Beispiel, die zu der Erkrankung führen, dass die schon mindestens zehn Jahre vor Beginn der Gedächtnisprobleme da ist", sagte Düzel im Deutschlandradio Kultur über die Erkenntnisse der Wissenschaft in den letzten Jahren zu Alzheimer und Demenz. Damit müsse wesentlich früher über Therapiemöglichkeiten nachgedacht werden als bisher,so der Sprecher des Standortes Magdeburg des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) und Professor am Institut für kognitive Neurologie und Demenzforschung des Universitätsklinikums Magdeburg.
Forschung zum Frühstadium
Von der im kommenden Jahr beginnenden "Rheinlandstudie" am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)- Standort Bonn, der bislang weltweit größten Bevölkerungsstudie zu Alzheimer und anderen altersbedingten Krankheiten, verspricht sich Düzel Erkenntnisse über das Frühstadium der Erkrankung und darüber, welche Faktoren das Risiko erhöhen können, später eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln. Dabei gehe es auch darum zu erforschen, warum "einige Menschen, obwohl sie solche Proteine im Gehirn haben, doch relativ lange widerstandsfähig sind. (...) Warum sind manche Gehirne mehr in der Lage, diese Veränderung zu kompensieren als andere?" Von der Bündelung wissenschaftliche Kräfte und Ressourcen verspricht sich Düzel langfristig bessere Diagnoseverfahren und neue Therapien: Bis in zehn oder zwanzig Jahren werde es möglicherweise sehr exakte diagnostische Verfahren geben, die vorbeugende Therapien sinnvoll machten. Aktuell werde darüber nachgedacht, wie eine Vorbeugung therapeutisch erreicht werden könne. Dabei werde es wichtig sein, "verschiedene Dinge miteinander zu kombinieren, zum Beispiel medikamentöse Behandlung als auch Lebensstilumstellung."
Die Krankheit durch neue Therapieverfahren hinauszögern
Wenn es gelinge, die Krankheit durch neue Therapieverfahren hinauszuzögern, würden sich vorbeugende Untersuchungen großer Bevölkerungsschichten ab einem gewissen Lebensalter auch finanziell als sinnvoll erweisen. Gelinge es, die Unabhängigkeit der Patienten lange zu erhalten, vermeide dies auch die Inanspruchnahme teurer Pflegemaßnahmen, sagte Düzel anlässlich des 100. Todestages des bayrischen Neurologen Alois Alzheimer, der als erster die später nach ihm benannte "Krankheit des Vergessens" beschrieb, bei der Hirnzellen absterben.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Ein anderer Standort des Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, das ist Magdeburg. Dort begrüße ich jetzt Professor Emrah Düzel, guten Morgen!
Emrah Düzel: Guten Morgen!
Welty: Herr Professor Düzel, was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, was die Wissenschaft in den letzten zehn Jahren über Alzheimer im Speziellen und über Demenz im Allgemeinen herausgefunden hat?
Düzel: Ich denke, das Wichtigste ist, dass wir nun wissen, dass die Erkrankung selber, also die Ablagerung von diesen Eiweißmolekülen zum Beispiel, die zu der Erkrankung führen, dass die schon mindestens zehn Jahre vor Beginn der Gedächtnisprobleme da ist. Das bedeutet für uns, dass wir wesentlich früher anfangen müssen, über Therapien nachzudenken, als wir es bisher getan haben. Also nicht warten, bis die Gedächtnisstörungen da sind.
Welty: Inwieweit ist denn eine solche Studie wie jetzt angedacht und angelaufen quasi schon, oder auch das Netzwerk für Bildgebung, das gerade gegründet wurde, inwieweit sind solche Einrichtungen hilfreich?
"Wir müssen verstehen, wann geht es eigentlich mit den Veränderungen im Gehirn los?"
Düzel: Nun, es ist gerade wichtig, dass wir sehr viele gesunde ältere Menschen, aber auch solche, die eben schon eine Demenz haben, untersuchen, damit wir eben diese sehr frühen Stadien der Erkrankung verstehen. Wir müssen verstehen, wann geht es eigentlich mit den Veränderungen im Gehirn los. Wir müssen auch verstehen, warum eben manche Menschen, obwohl sie solche Proteine im Gehirn haben, doch relativ lange widerstandsfähig sind in dem Sinne, dass ihre Gedächtnisstörungen eben später anfangen, als wir das erwarten würden. Das heißt, warum sind manche Gehirne eher in der Lage, diese Veränderung zu kompensieren, als andere? Und gleichzeitig brauchen wir deutschlandweit eben sehr viele Teilnehmer auch an potenziellen Präventions-, also Vorbeugungsstudien. Deshalb muss man eben solche großen Studien durchführen und die vorhandenen Ressourcen in Deutschland miteinander bündeln.
Welty: Wer sollte sich denn wann und wie untersuchen lassen?
Düzel: Im Moment ist es so, dass wir diese Untersuchung in Studien durchführen und für diese Studien dann gezielt über Zeitungsannoncen zum Beispiel einladen. Grundsätzlich kann man sagen, dass man, wenn man für sich selber subjektiv das Gefühl hat, dass die Gedächtnisleistung merklich abgenommen hat, dass man dann darüber nachdenken kann, sich untersuchen zu lassen.
Welty: Aber wir haben ja eben schon gehört, dass es dann ja eigentlich schon zu spät ist, dass der Prozess im Gehirn unumkehrbar sei?
Ziel: Neue diagnostische Methoden, die "sehr genau vorhersagen, wann es los geht."
Düzel: Nun, wir werden möglicherweise in den nächsten zehn oder 20 Jahren zu der Situation kommen, dass wir diagnostische Methoden haben werden, mit denen wir wirklich sehr genau vorhersagen können, wann es losgeht. Und bis dahin wird es möglicherweise auch vorbeugende Therapien geben. Und es wäre dann sicherlich sinnvoll, darüber nachzudenken, ob man in einem größeren Stil vorbeugend untersucht und solche Vorbeugungsuntersuchungen dann einer größeren Bevölkerungsschicht zum Beispiel ab einem bestimmten Alter verfügbar macht.
Welty: Solche Reihenuntersuchungen kosten sehr viel Geld, wir reden gerade in Zeiten, wo die Krankenkassen ihre Beiträge erhöhen. Wer soll das bezahlen und lohnt sich dieser Aufwand?
Düzel: Das ist genau das Problem, dass wir natürlich jetzt gerade darüber nachdenken, wie man eine Vorbeugung therapeutisch erreichen kann. Da wird es wichtig sein, verschiedene Dinge miteinander zu kombinieren, zum Beispiel medikamentöse Therapien, als auch Lebensstilumstellung. Und wenn es uns tatsächlich gelingt, die Erkrankung durch neue Therapieverfahren hinauszuzögern, dann würde sich das finanziell in der Tat lohnen.
Welty: Warum?
Düzel: Nun, es ist so, dass das größte Risiko für die Alzheimererkrankung eben ein hohes Alter ist. Und deshalb ist es zu erwarten, dass bei der steigenden Lebenserwartung, die wir in unseren Gesellschaften haben, die Anzahl der Erkrankten steigen wird. Und da muss man eben individuell angepasst rechtzeitig behandeln, damit man die Erkrankung hinauszögern kann, die Unabhängigkeit der Patienten möglichst lange erhalten kann, verhindern kann, dass die in einem Pflegeheim landen und eine teure Pflege in Anspruch nehmen müssen. Dadurch lassen sich natürlich Kosten sparen.
Welty: Der Hirnforscher Emrah Düzel über Alzheimer, Demenz und die Hoffnung in die Forschung. Ich danke sehr für dieses Gespräch!
Düzel: Danke, Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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