Kampf der Energie-Lobby

05.10.2010
Dass sich die traditionelle Energiewirtschaft für Ökostrom ausspricht, ist rein taktisches Verhalten, sagt Hermann Scheer. Für ihn ist es wirtschaftlich, politisch und sozial unverantwortlich, nicht zu hundert Prozent auf Erneuerbare Energien zu setzen.
Eine Leisetreter war er nie: Herman Scheer kämpft seit Jahren, nicht ohne Erfolg, für Erneuerbare Energien und ist dabei keinem Streit aus dem Weg gegangen. Insbesondere mit den deutschen Energiekonzernen hat er sich immer wieder angelegt und deren Monopolstellung heftig kritisiert. Sie können, so argumentiert Scheer wiederholt, kein großes Interesse an ihnen haben, untergraben diese doch ihre Machtposition.

Kohle- und Atomkraftwerke sind Großindustrien, die nur zentral funktionieren, während die Erneuerbaren dezentral installiert, verteilt und verbraucht werden können. Damit entziehen sie sich der Kontrolle der Energieversorger. Dass sich die traditionelle Energiewirtschaft dennoch für Ökostrom ausspricht, entspringt Scheers Ansicht nach nur taktischem Verhalten.

Sie propagiere Großanlagen wie riesige Windparks in der Nordsee oder das Wüstenprojekt "Desertec", da diese milliardenschwere Investitionen erforderten und den Konzernen weiterhin die Kontrolle über Stromproduktion, Netze und Preisentwicklung garantierten. Da solche Großprojekte zudem Ewigkeiten bräuchten, bis sie verwirklicht seien, könne man bis dahin aus seinen Altanlagen noch möglichst viel Profit schlagen. Für Hermann Scheer ist denn auch völlig unverständlich, dass Umweltorganisationen wie der WWF solche Projekte befürworten.

Auch gegen den Emissionshandel für Kohlendioxid (zahnlos) und gegen die unterirdische CO2-Speicherung (zu riskant und teuer) spricht sich der Autor im Unterschied zu anderen Umweltexperten vehement aus. Im Schnelldurchlauf geht Hermann Scheer auf sämtliche Energiebereiche ein. Seine Argumentation ist klar, nachvollziehbar, unmissverständlich, mit vielem Zahlen unterfüttert. Für ihn ist es wirtschaftlich, politisch und sozial unverantwortlich, nicht zu hundert Prozent auf Erneuerbare Energien zu setzen.

Er widerlegt dabei auch den Vorwurf, der Ausbau der Erneuerbaren würde die Gesellschaft zu teuer zu stehen kommen. Das Gegenteil sei der Fall. So spiegelten sich unter anderem die Umweltschäden der fossilen Energie nicht in den Preisen wieder. Hier werde sauberes mit dreckigem Wasser verglichen. Dabei könne doch niemand behaupten, beides sei gleich viel wert. Beim Strom werde aber genauso argumentiert.

Viele seiner Vorschläge zum Aufbau eines Erneuerbare-Energien-Systems binnen der nächsten 25 Jahre finden sich schon in seinen bisherigen Büchern. Heftig beklagt er diesmal die zahlreichen Verwaltungshindernisse, die einer rascheren Verbreitung Erneuerbarer im Wege stehen. So werden zum Beispiel von den Ländern Bayern, Hessen und Baden-Württemberg 99,8 Prozent der Landesflächen von der Errichtung von Windkraftanlagen ausgeschlossen.

Er fordert den Aufbau neuer Energiespeichersysteme, verlangt bessere Effizienzregeln, plädiert für eine Schadstoffsteuer als Ersatz für die Ökosteuer, möchte das Stromnetz in öffentliche Hand übergeben. Dabei huscht er allerdings des Öfteren allzu leichtfüßig über die technischen Probleme der Umsetzung hinweg, erweckt den Anschein, als sei eine Umrüstung nur eine Frage des politischen Willens. Ganz so einfach wird es wohl nicht werden.

Besprochen von Johannes Kaiser

Hermann Scheer: Der energethische Imperativ - 100 Prozent jetzt: Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist
Kunstmann Verlag
270 Seiten, 19,90 Euro
Hermann Scheer (SPD)
Hermann Scheer (SPD)© Hermann Scheer, MdB
Hermann Scheer (SPD)
Hermann Scheer (SPD)© Hermann Scheer, MdB
Mehr zum Thema