Kamasi Washington

"Jazz steht für die Feier des Augenblicks"

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Kamasi Washington bei einem Konzert in Australien. © picture alliance / dpa / Kabir Dhanji
Kamasi Washington im Gespräch mit Martin Böttcher · 17.08.2016
Der 35-jährige Ausnahmemusiker hat maßgeblich zur neuen Popularität des Jazz beigetragen. "The Epic", das Album des Saxofonisten Kamasi Washington, hat letztes Jahr in der Jazz- wie in der Pop-Szene für große Aufregung gesorgt. Wir haben mit ihm über seine Musik gesprochen.
Kamasi Washington sprengt alle Genregrenzen, er musiziert genauso mit dem Rapper Kendrick Lamar wie mit dem elektronischen Musiker Flying Lotus – er mache Jazz, der nicht riecht, so hieß es gerade über ihn in Anspielung auf das alte Frank-Zappa-Zitat "Jazz ist vielleicht nicht tot, aber er riecht schon ein bisschen". Deutschlandradio Kultur hat mit Kamasi Washington über die Gründe der neuen Popularität des Jazz gesprochen und darüber, wie Jazz für ihn funktioniert.
Martin Böttcher: Mr Washington, ist Jazz die wichtigste Musik der Welt?
Kamasi Washington: Jazz ist ein Teil dessen, was man Musik nennt. Es gibt natürlich nicht die wichtigste Musik. Verschiedene Musiken repräsentieren unterschiedliche Menschen, stehen für unterschiedliche Erfahrungen und unterschiedliche Herangehensweisen. Aber man kann Musik nicht in verschiedene Einheiten unterteilen, es gibt nicht die Einheit "Jazz" und die Einheit "Funk", sie vermischen sich natürlich. Und wer Jazz spielt, spielt nur die Jazzseite des großen Ganzen.
Böttcher: Das Musikgeschäft verläuft in Wellen, musikalische Moden kommen und gehen, und Jazz ist gerade so ein bisschen auf dem aufsteigenden Ast. Das Interesse an dieser Musik ist größer geworden, wie erklären Sie sich das?

Jazz steht für Freiheit, für Ausdruck

Washington: Ich glaube, die Menschen öffnen sich der Idee des Jazz. Der Idee einer Musik, in der es um Ausdruck geht, um Verbindung, um Improvisation, darum, was im Hier und Jetzt passiert. Und Jazzmusiker haben sich diesem Wesen der Musik verschrieben, in dem es genau darum geht. Man kann Jazz nicht auf die musikalische Äußerung reduzieren, (hier freistehen lassen) es geht bei Jazz um den Ansatz. Und vielleicht ist das ein Nebeneffekt einer Entwicklung, die wir ja meistens eher negativ sehen.
Durch Musikstreaming haben die Menschen Zugang zu einer solchen Menge Musik, dass sich ihr Musikgeschmack auch verfeinert. Sie haben schon so viel Musik gehört, dass ihre Ansprüche steigen. Und sie begreifen Musik nicht mehr so sehr wie etwas, das nur im Zusammenhang mit etwas anderem steht, also zum Beispiel: Ich höre Musik, wenn ich in eine Bar gehe, oder wenn ich einkaufen oder essen gehe. Sie beginnen zu verstehen, dass Musik selbst etwas transportiert, und damit landet man beim Jazz, denn dafür steht Jazz: Für Freiheit, für Ausdruck, für die Feier des Augenblicks.
Böttcher: Dass Jazz aber gerade so hoch gehandelt wird, hat vielleicht auch mit Ihnen zu tun. Die New York Times nennt Sie den "meistdiskutierten Jazzmusiker, seit Wynton Marsalis vor 30 Jahren die New Yorker Szene betrat". Was machen Sie denn anders?
Washington: Ich komme aus einem Teil von Los Angeles, wo Jazz wirklich eine Befreiung darstellt. Ohne Druck kommt nichts heraus. Unser Jazz kommt wirklich aus dem tiefsten Inneren. Mein Stil kommt zum einen wirklich aus dem starken Wunsch, eine eigene Stimme zu haben. Und gehört zu werden. Und zum anderen habe ich mit so vielen verschiedenen Leuten so viele unterschiedliche Musiken gespielt, dass mich die Leute ständig mit den unterschiedlichsten Musikern vergleichen. Dadurch können sich aber auch sehr viele unterschiedliche Leute mit meiner Musik identifizieren. Ich sehe mich aber auch als Teil einer Bewegung, es gibt viele Leute wie mich, die vom selben Ort kommen. Die auch Jazz machen, auch wenn sie es nicht so nennen. Leute wie Flying Lotus, Kendrick Lamar, Robert Glasper. Wir teilen dieselbe Energie.
Böttcher: Auf Ihrem grandiosen Album "The Epic" da spielen Sie mit einer zehnköpfigen Band, plus Orchester, plus Chor, insgesamt über 60 Musiker, wie sieht das jetzt auf Ihrer Tour aus, wie viele Menschen sind da jetzt auf der Bühne?

Wir wissen nie, was am Ende herauskommt

Washington: Das ist eine sehr starke achtköpfige Besetzung! Es ist herrlich, mit dem ganzen Ensemble zu spielen, aber mit der kleinen Besetzung bekommt man selbst ein größeres Stück vom Kuchen ab. Und das sind wirklich alles brillante Musiker! Und die Musik bewegt sich so auch schneller. Wir haben ein paar Shows mit großer Besetzung gemacht, und das ist schon sehr, sehr kraftvoll und inspirierend. Aber nur mit der Band macht es schon Spaß, wir sind viel freier und wissen nie, was am Ende dabei herauskommt. Ich würde nicht sagen, dass das eine besser ist als das andere. Mit Orchester und Chor sind die Möglichkeiten größer, aber die Freiheit geringer. Die kleine Besetzung lässt mehr Freiheit, aber sie bedeutet auch größere Verantwortung.
Böttcher: Wie sehen Sie denn Ihre Rolle in der Band? Sind Sie der Chef, oder eher ein Strippenzieher im Hintergrund?
Washington: Es ist als wären wir ein Schwarm Fische, und ich bin die Strömung. Ich gebe schon eine Richtung vor, aber ich lasse jedem die Möglichkeit, die Richtung zu ändern. Ich gebe die Richtung Norden vor, aber dann kommt Miles Mosley und spielt Richtung Westen. Dann wendet sich Ryan Porter Richtung Süden, und Patrice Quinn singt nach Süden. Und dann komme ich wieder und sage: Es geht jetzt nach Nordosten. Die Musik ist der Chef, ich bin nur sowas wie der Kurator und mache Vorschläge. Die Musik führt ihr eigenes Leben. Man muss sich ihr unterwerfen, und je tiefer man sich ihr unterwirft, umso besser fühlt die Musik sich an. Ich versuche immer, auf die Musik zu hören und ihr zu folgen. Und die will jeden Tag woanders hin.
Böttcher: "The Epic" erschien vor über einem Jahr, jetzt sind Sie auf Tour – was kommt denn nach dem ganzen Trubel und dem Erfolg, was kommt da als Nächstes, neue Platten, neue grenzüberschreitende Projekte?
Washington: Ja! Wir hatten im Mai schon eine Tourneepause und haben ein paar neue Sachen aufgenommen. Das neue Album unseres Bassisten Miles Mosley, "The Uprising", wird bald erscheinen. Unser Keyboarder Brandon Coleman hat sein neues Album fertig. Und die neuen Sachen, die wir jetzt spielen, unterscheiden sich von "The Epic", aber sie haben denselben Spirit. Wir haben jetzt auf Tour so viel miteinander gespielt, mit vielen meiner Musiker spiele ich ja schon seit Kindheitstagen, aber so viel wie jetzt haben wir noch nie gemeinsam musiziert. Ich liebe Musik, ich arbeite immer daran, wir alle machen ständig neue Sachen und ich hoffe, dass wir sie veröffentlichen können. Ich versuche, den Betrieb am Laufen zu halten.
Mehr zum Thema