Kaltblütige Handwerker

08.07.2011
Es sind erschütternde Gespräche, deren später Zeuge man beim Lesen des Buches wird. Die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der deutsche Kriegsgefangene über das Töten sprechen, schockiert.
Sönke Neitzel ist auf noch unveröffentlichte britische und amerikanische Abhörprotokolle gestoßen, die von Gesprächen deutscher Gefangener in alliierten Lagern aufgezeichnet wurden.

Erschütternd sind die Zitate aus zweierlei Gründen: zum einen, weil sie so frisch und unverstellt wirken. Sie wurden in keinem Verhör aufgezeichnet, stammen nicht aus Briefen, in denen der Autor oder Sprecher seine Worte anpassend überlegt. Hier spricht er mit seinesgleichen, ungeschützt und direkt. Zum anderen gehen die Gespräche nahe, weil sie einem Schiff ähneln, das vor vielen Jahren gesunken ist und nach seiner Bergung unmittelbar Auskunft gibt über die Zeit seiner Entstehung.

Für unsere Ohren erschreckend erscheint die Kaltblütigkeit, mit der die Soldaten über ihr Handwerk sprechen. Und sie sehen es offenbar als Handwerk, als Beruf, dessen zentraler Bestandteil das Töten ist. Der (im Übrigen etwas dick auftragende) Klappentext hat recht, wenn er verheißt, nach der Lektüre von "Soldaten" werde der Blick auf den Zweiten Weltkrieg verändert sein. Etwa, wenn man die Passagen der Bomberpiloten liest, in denen sie von ihren Einsätzen berichten und dem Spaß, den sie dabei empfanden, wenn unter ihnen alles nur so davon spritzte, wo sie "hineingehalten" hatten. Das ist nicht anders, als wenn heute ein Begeisterter von seinen Abschüssen in einem Videospiel erzählt.

Neitzel und Welzer bemühen sich eingehend, die Leser in das Umfeld der damaligen Gegenwart zu stellen, um einer allzu einfachen Beurteilung im Rückblick vorzubeugen. Immer wieder stellen sie den Bezug zum Umfeld der Soldaten her, um ahnen, wenngleich nicht entschuldigen zu lassen, warum die Soldaten der deutschen Wehrmacht so durchgängig unkritisch vielen Brutalitäten gegenüberstanden. Dennoch ist es bestürzend zu erfahren, wie wenig Zeit es benötigt, dass ein Mensch das Töten als normale Tätigkeit akzeptiert und ausführt.

Es gelingt den beiden Autoren, die spezielle Atmosphäre des Kriegs zu vermitteln und dadurch den Hintergrund manches Gesprächs nachvollziehbar zu machen. Gewalt war damals eine natürliche Größe im Alltag, für Täter wie für Opfer, ihr Auftreten hatte nicht den besonderen Charakter, den wir ihr heute beimessen.

Noch eines wird im Buch deutlich: Wie sehr die Menschen, auch die dem Nationalsozialismus nicht Nahestehenden, von der NS-Moral, gleichsam als großem Referenzrahmen, geprägt waren. Viele der Soldaten empörten sich über die Gewalttaten an den Juden, über die sie meist erstaunlich gut informiert waren, doch dass die Juden aus der Gesellschaft zu drängen seien, daran ließ kaum einer einen Zweifel. Das wurde nach Jahren der politischen Indoktrination offenbar nicht weiter in Frage gestellt.

Sönke Neitzel und Harald Welzer ist ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der Geisteslandschaft der deutschen Wehrmacht gelungen, ein nicht leicht zu verdauender Brocken, aber ein Buch, das durch eine treffsichere und pointierte Wortwahl alles andere als eine trocken wissenschaftliche Lektüre ist.

Besprochen von Stefan May

Sönke Neitzel, Harald Welzer: Soldaten – Protokolle vom Kämpfen, Töten, Sterben
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011
528 Seiten, 22,95 Euro
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