Kaiser's Tengelmann

Nervenstärke trifft auf Gockelgehabe

Eine Kaiser's-Tengelmann-Filiale
Unter den Mitarbeitern von Kaiser's Tengelmann herrsche nachgerade eine Art Familiensinn, war zu hören. © dpa/picture alliance/Oliver Berg
Von Thomas Weinert · 17.10.2016
An der total verfahrenen Situation bei Kaiser's Tengelmann trifft die Mitarbeiter keine Schuld, kommentiert Thomas Weinert. In den Chefetagen aber würden Freund- und Feindschaften mehr gepflegt als unternehmensstrategische Überlegungen.
Vielleicht kommt morgen die Rettung für Kaiser's Tengelmann? Oder übermorgen die nun wirklich endgültige Zerschlagung? Vielleicht könnte sich doch durch die Rücknahme der juristischen Gegenwehr eine Lösung finden – wie es sich in der ersten Oktoberwoche angedeutet hatte? Vielleicht hilft doch das Wort der Kanzlerin, die sich heute über ihren Regierungssprecher in die Diskussion eingeschaltet hat? Vielleicht, vielleicht. Hin und Her. Auf und Ab.
Dort, wo die Öffentlichkeit nur noch verwirrt den Kopf schüttelt zum Thema Kaiser's-Tengelmann, wo sich nicht nur Journalisten in der Einschätzung der Lage praktisch täglich im Kopf neu sortieren müssen, da sorgen sich die Mitarbeiter des Lebensmittelkonzerns um ihre Zukunft. Die Politik in Berlin, dem hauptstädtischen und auch dem des größten Standorts des Konzerns, sie ringt um Einfluss und gibt Ratschläge. Die Chefs streiten sich wie die Kesselflicker, der Ton wird von Tag zu Tag unschöner. Den Journalisten gehen die Metaphern aus im Kontext Krieg und Krimi und auch die Register des Zynismus sind irgendwann komplett gezogen.
Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit Jahren bangen und hoffen? Wenn es etwas zu kommentieren gibt am Ende, dann ist es die Nervenstärke der Belegschaft, dieses jahrelange Aushalten von Existenzängsten. Wie sagte es doch Anfang Oktober ein Tengelmann Mitarbeiter, beschäftigt in der Logistik in Mariendorf, auf der letzten großen Betriebsversammlung: Ich will nur endlich Gewissheit, was wird.

Familiensinn auf dem sinkenden Schiff

Wenn es darum geht, die Schuld zu suchen für die total verfahrene Situation, dann ist es am Übersichtlichsten, man geht die Sache von hinten an: Keine Schuld, das haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, da ist nachgerade von einer Art Familiensinn zu hören, von nur wenigen, die das sinkende Schiff verlassen haben. Das, was in den letzten Wochen und Monaten über den Zusammenhalt in der Belegschaft zu lesen und zu hören war, das verdient uneingeschränkte Anerkennung.
Zu loben wären auch die Gewerkschaftler und Betriebsräte, die unermüdlich versuchten in Tarifverhandlungen das Beste für die Kolleginnen und Kollegen rauszuholen, den Bogen dabei nicht zu überspannen, auf die Gesamtsituation der Branche Rücksicht nehmend. Die sich in immer wieder einberufenen Betriebsversammlungen bemühten die Stimmung nicht ins Bodenlose fallen zu lassen, die Rat gegeben haben und Hoffnung gemacht. Und die übrigens auch der Presse jene Informationen gaben, ohne die diese ganze Dichte der Berichterstattung nicht möglich gewesen wäre. Unermüdlich gaben Gewerkschaftler und Betriebsräte Interviews und Statements, schafften Orientierung und Urteilssicherheit.

Zankhähne in den Firmenzentralen

Damit landen wir bei den Schuldigen, als da sind der Wirtschaftsminister und vor allem die Zankhähne in den Firmenzentralen. Wie konnte man davon ausgehen – in den Chefetagen von Tengelmann und Edeka, aber auch im Ministerium, dass eine solche Marktkonzentration wie die von Edeka zusammen mit Kaiser's Tengelmann –, dass eine solche Marktkonzentration ohne Widerstand hingenommen wird?
Dass die Konkurrenz nicht schläft und die vielen qualifizierten Fachleute im Kartellamt und in der Monopolkommission auch nicht, dass hätte weder die Chefs von Edeka und Kaisers überraschen dürfen noch Siegmar Gabriel. Freund- und Feindschaften mehr zu pflegen als unternehmensstrategische Überlegungen, davon haben die Tengelmänner- und -frauen ebenso wenig wie von einem Wirtschaftsminister, der als Parteichef handelt.
Wenn heute der Einzelverkauf der Kaiser's-Tengelmann-Märkte losgeht mit Schwerpunkt Nordrhein-Westfalen, dann hätte man das auch einfacher und früher haben können. Mit mehr Nerven-Schonung für die Belegschaft und weniger Gockelgehabe in Chef- und Ministeretagen.
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