Kaffeekränzchen mit Louise Bourgeois

Von Beatrice Uerlings · 02.11.2005
Die Künstlerin Louise Bourgeois hält regelmäßig Salon: Immer sonntags können junge Künstler aus aller Welt bei der weltberühmten Bildhauerin und Malerin ihre Arbeiten vorstellen. Der Termin ist ein offenes Geheimnis in der New Yorker Künstlerwelt und dient auch der Netzwerkbildung.
Sonntagnachmittag, die 20. Strasse im hippen New Yorker Galerienviertel Chelsea. Ein Dutzend junger Menschen haben sich vor Backsteinhaus Nummer 347 eingefunden und schwatzen, was das Zeug hält. Die Pariserin Nora Herman war bei einem Museumsbesuch als plötzlich ...

"... ein Mann kam auf mich zu und fragte: Sind sie eine französische Künstlerin? - Dann müssen sie unbedingt Louise Bourgeois treffen! Er hat mir sein Handy gegeben und was glauben sie: Louise hat tatsächlich abgehoben und gesagt: Kommen sie, Sonntag 3 Uhr!"

Nicht, dass man Kontakte bräuchte, um bei Louise Bourgeois eingeladen zu werden. Ihre Nummer steht im Telefonbuch, man muss sich nur anmelden. Der Maler David war schon ein paar Mal im Salon. Er versucht, die anderen zu beruhigen. Manche haben gehört, dass die Meisterin ihre Gäste mitunter richtig auseinander nimmt ...

David: "Sie interessiert sich für dich, egal was du machst. Aber sie erwartet, dass auch du dich für die anderen interessierst. Ich habe ein paar Künstler erlebt, die nur eine große Show abziehen wollen - das macht sie richtig böse! Obwohl: du musst dich schon wirklich daneben benehmen ..."

Sanfter könnte sie tatsächlich nicht sein. Louise Bourgeois lockert den Salon gleich zu Auftakt mit einem Kinderreim auf. Die 94-Jährige sieht genau so aus, wie man sich eine verschmitzte Großmutter vorstellt: Sie trägt eine rosa Wollmütze, dazu graue Pantoffeln und sie greift immer wieder zu den Schokoladenpralinen vor ihr auf dem Wohnzimmertisch. Als der Naschbedarf gestillt ist, wirft sie einen erwartungsvollen Blick in die Runde: Wer macht den Anfang?

Louise Bourgeois: "Don’t talk everybody at the same time!"

Die Französin Nora springt von ihrem Klappstuhl auf, passiert die mit Zeichnungen vollgekleisterten Wohnzimmerwände und setzt sich zu Louise Bourgeois an den Tisch. Sie erzählt, dass sie in New York ist, weil sie einen Preis von der Pollock-Krasner Foundation bekommen hat. Louise registriert, dass sie es mit einer Landsmännin zu tun hat und schaltet auf Französisch um: Sie will Arbeiten sehen.

Louise Bourgeois: " Alors, qu’est ce que vous nous avez apporte?"

Nora zeigt Abbildungen von ihren Skulpturen und Kupferstichen. Die Meisterin schaut sich jedes einzelne Werk sehr lange und sehr genau an. Ab und zu stellt sie eine Frage nach der Technik.

Louise: "C’est quoi ca?"
Nora: "Des sculptures de bronze et galets."
Louise: " C’est ca, quelle taille?"
Nora: "Toutes les tailles."
Louise: " Tres bien! "

Ein mit riesigen Kieselsteinen bestücktes Ruderboot hat es ihr angetan. Louise Bourgeois glaubt zu verstehen, was dahinter steckt. Nora habe die Idee des Weggehens ausdrücken wollen.

Louise Bourgeois: " Alors, vous n’etes pas sedentaires! Vous etes toujours partie? C’est l’idee de partir! Very good!"

Very Good: der Rückfall ins Englische deutet an, dass jetzt jemand anderer dran ist. Kika Karadi zeigt eine Leinwand, auf der sie alles verarbeitet hat, was Farbe hergibt: Tusche, Tinte, Öl, Lippenstift, ... Louise Bourgeois ist beeindruckt, doch das ändert sich, weil die Ungarin nicht sagen kann, was ihr Werk darstellt. Sie schwadroniert über Licht, Wellen, Mikrowellen und Katzen ...

Kika: "It's about light, waves, microwaves and cats … I don’t know - so abstract!"
Louise Bourgeois: " This does not make sense to me! We are only trying to understand you!"

Das macht doch alles keinen Sinn, schimpft Louise Bourgeois, Kunst ist erst dann Kunst, wenn eine Idee dahinter steckt. Gina Mauro hat einen Vogelkäfig aus Kleiderbügeln gebastelt, um ihre eigenen Zweifel zu verarbeiten. Sie überlege nach Europa zu gehen, weil ihre Arbeiten sich da vielleicht besser verkaufen. Louise Bourgeois, die selber erst in hohem Alter den Durchbruch geschafft hat, schüttelt den Kopf. Sie sei selber nie nach Paris zurückgekehrt, weil New York den Künstlern so viel mehr Freiheiten lasse.

Louise Bourgeois: " There are much more constraints in Paris. Social … here you can do whatever you want."

Um 19 Uhr ist Schluss. Die Gäste werden hinauskomplimentiert. Draußen lassen sie alles noch einmal an sich vorüber ziehen. David will unbedingt wieder kommen.

"Es geht nicht nur um Louise. Du triffst hier auch jede Menge Künstler – das ist das ultimative Networking Event! Oft sind auch Kuratoren vom MOMA oder anderen, großen Museen zugegen! "

Kika gibt zu, dass sie vorher noch nie in einem Salon war. Sie ist dankbar für die Lektion.

"Ich weiß jetzt, dass ich meine Arbeiten auch hinterfragen muss. Natürlich hätte ich mich über ein Lob von Louise Bourgeois gefreut. Aber ich schätze ihre Ehrlichkeit! "

Und vielleicht ist es gerade das, was den Salon von Louise Bourgeois ausmacht: Ehrlichkeit ohne jegliche Ironie. Ganz gleich, ob die präsentierten Arbeiten stark oder schwach sind, sie werden ernst genommen.