Justin Bieber in Berlin

Choreografierter Hospitalismus

Der kanadische Musiker Justin Bieber steht bei einem Auftritt in Berlin am 14.09.2016 ganz in Weiß gekleidet auf der Bühne, dahinter ist er vergrößert auf einer Leinwand zu sehen.
Der kanadische Musiker Justin Bieber bei einem Auftritt in Berlin am 14.09.2016 © Deutschlandradio / Elissa Hiersemann
Elissa Hiersemann im Gespräch mit Oliver Schwesig · 15.09.2016
Vor 13.000 entrückten Fans in Berlin startete Justin Bieber seine Deutschland-Tour. Das 22-jährige Teenie-Idol verströmte extreme Lustlosigkeit und gab sich nicht mal die Mühe, zum Playback den Mund zu öffnen. Es fühlte sich an, als wäre Bieber gar nicht anwesend, meint unsere Kritikerin Elissa Hiersemann.
Seine Karriere begann vor zehn Jahren mit Musik-Videos von ihm, die seine Mutter auf Youtube hochgeladen hatte. Damals war er gerade mal 12 Jahre alt.
Teenie-Idol, Weltrekordhalter in Guinnessbuch-Einträgen, mit einer Fangemeinde auf Twitter von fast 88 Millionen und auf Instagram von 77 Millionen Followern. Justin Bieber ist einer der erfolgreichsten Popstars unserer Zeit.
Jetzt, mit 22 Jahren, präsentiert sich Justin Bieber auf seinem vierten Album "Purpose" als gereifter junger Mann. Am gestrigen Mittwoch hat er in der Mercedes Benz Arena in Berlin seinen Deutschland-Tourauftakt vor 13.000 Fans gegeben.
Elissa Hiersemann mit ihrem Bericht:
"Zunächst war da mal das Standardprogramm, was so eine Mehrzweckhalle hergibt, da hat er eher das kleine Besteck genutzt: Nebel, Wasser, Videoinstallationen, Lasershow, Hebebühnen, die ihn aus dem Boden fahren oder über den Köpfen der Fans tanzen lassen. Es hätte also ein interessanter Abend werden können, ich mag solche Shows sehr, wenn sie gut gemacht sind, Beyonce macht an der Stelle gerade vor, wie es geht.

Er tanzte ohne Körperspannung

Justin Bieber hatte eine Band dabei, die war leider recht breiig abgemischt, aber die Musiker, Tänzer und Tänzerinnen hatten Bock, in Berlin aufzutreten. Ganz im Gegensatz zu Justin Bieber, der eine extreme Lustlosigkeit verströmte. Es fühlte sich an, als wäre er gar nicht anwesend. Er schlurfte über die Bühne, und wenn er dann mal mit den anderen tanzte, dann war es ohne Körperspannung, ohne Verve.
Ich weiß nicht, ob das ein neues Konzept ist, bei Rihanna neulich war es auch schon so, dass sie dem Publikum sehr deutlich zu verstehen gab, dass sie eigentlich gerade lieber woanders wäre. Der Oberknaller war für mich aber, dass Justin Bieber in anderthalb Stunden vielleicht vier oder fünf Songs live gesungen hat, der Rest war Voll-Playback. Klar, das ist nicht wirklich eine Überraschung, aber er hat nicht mal versucht, es zu verbergen – er tanzte oder stand einfach nur rum und hat das Mikro nicht mal an den Mund genommen.
Am Anfang dachte ich noch, das ist fast wie eine Provokation, nach dem Motto: Mal gucken, wie weit ich gehen kann, ohne dass gebuht wird. Im Laufe des Abends wurde dann schnell klar, dass es ihm einfach egal ist. Selbst das kann ich nachvollziehen, wenn die Fans einfach immer kreischen, egal ob du gerade dein T-Shirt über den Kopf ziehst oder ob du dir eine Wasserflasche nimmst – aus seiner Perspektive muss das echt schräg sein, wenn bei allem gekreischt wird.

'Er sah aus wie ein Engel'

Es waren erwartungsgemäß sehr viele junge Mädchen da, die auf alles, was er machte, mit einem Kreischalarm reagierten, der durch Mark und Bein ging und an Körperverletzung grenzte.
'Hauptsache, er ist da. Es geht um die Performance. Es war sehr schön, er sah aus wie ein Engel.'
Das war eine typische Antwort, die ich von den jüngeren Mädchen im Teenie-Alter bekommen habe, "Hauptsache, er ist da und ich kann die gleiche Luft atmen wie er". Das hat viel von einer Heiligenverehrung.
Von 12 bis 50 Jahren war im Publikum alles dabei, und die Älteren fanden es schon schade, dass er so wenig gesungen hat, weil er ja singen kann, er hat eine sehr gute Stimme. Es gab auch einige wenige Momente, die schön waren, als er zu Akustikgitarre gegriffen und zwei bis drei Songs tatsächlich live gesungen hat.
Für mich wurde das aber irgendwie zur Nebensache, weil ich immer nur diesen traurigen Jungen da gesehen habe, der von 13.000 Fans angehimmelt wird, und es macht ihn offensichtlich nicht glücklich.
Er hat mal gesagt, er fühle sich wie ein Tier im Zoo. Und so kam mir der Abend vor, es war wie choreografierter Hospitalismus, mit einem Justin Bieber, der sich apathisch von einer Ecke der Bühne zur anderen bewegte."

Vier weitere Konzerte der "Purpose"-Tournee von Justin Bieber gibt es in München (16.9.), Köln (18.9.), Hamburg (14.11.) und Frankfurt am Main (16.11.)

Mehr zum Thema