Junges Nein zu Terror und Gewalt

Von Matthias Bertsch · 10.09.2011
Das vom Berliner Senat angeschobene Projekt JUGA - Nein eleven! wird das Ergebnis seiner interreligiösen Aktion im Rahmen der 9/11-Gedenkfeiern vorstellen. JUGA steht für "jung, gläubig, aktiv". Mit dem Wortspiel "Nein eleven!" geben die Jugendlichen ein Bekenntnis ab - gegen Terror und Gewalt.
"Keine Religion rechtfertigt Gewalt und Terror. Religionen stehen für Shalom, für Salam, für Frieden und Toleranz. Für unsere Zukunft sehen wir JUGAs eine Sweet Coexistence, ein friedliches Zusammenleben, wir sehen Liebe und nie mehr 9/11. Wir wollen eine bessere Zukunft! We build a common future!”"

""Das was ihr alle gehört habt, das war der Introtext des Songs 'Sweet Coexistence', den die JUGAS gemeinsam mit Robert Lee Fardoe entwickelt haben. Und jetzt werdet ihr den Song hören."

Rund 40 Jugendliche haben sich Ende August in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs versammelt, um einen Turm aus Kartons aufzubauen, die sie vorher bemalt oder mit Sprüchen wie "I am muslim, not terrorist" oder schlicht "peace" beschriftet haben. Das Ganze wird von einer Kamera begleitet: Als Video ist "Sweet Coexistence" ab morgen auch auf YouTube zu sehen:

"We all have the right to be free
We're different, but that's the balance we need
And if we don't agree
It doesn't mean we should be fighting.”


Während ein paar Jugendliche Karton auf Karton stapeln, erklären andere, warum sie bei dem Projekt JUGA - Nein eleven! dabei sind. Zum Beispiel Yunis:

"Wenn es eine Zusammenarbeit zwischen der Stadt Berlin gibt und den verschiedenen Religionsgemeinschaften und sie praktisch diese Plattform öffnen, dann ist für mich als Muslim eine Pflicht sogar, auch daran teilzunehmen, denn es ist nicht einfach, diese verschiedenen Religionen zusammenzubringen. Wir leben zwar teilweise in bestimmten Bezirken miteinander, nur wie oft trifft man beispielsweise einen Juden oder Christen auf der Straße, vor allem einen Juden, also ich persönlich habe vor diesem Projekt keinen Juden kennengelernt."

Die Neugier auf die andere Religion ist allerdings nur ein Grund für die Muslime, sich an der interreligiösen Aktion zum 11. September zu beteiligen. Egal wen man fragt, alle berichten von Diskriminierungen. Auch Betül, die sich von der Mehrheitsgesellschaft oft auf ihr Kopftuch reduziert fühlt. Eine Zeitlang, so die Jurastudentin, habe sie gedacht, sie müsse einfach nur abwarten.

"Es muss erst mal ein bisschen Zeit vergehen nach dem 11. September, die Leute werden von alleine merken, dass das eigentlich nichts mit meinem Islam zu tun hat, sie werden selbst wieder offener, sie werden es ein Stück weit auch vergessen vielleicht, und dann wird schon alles wieder gut. Aber so war das irgendwie nicht. Nach dem 11. September kamen die Kriege in Afghanistan, im Irak, die Anschläge auf den dänischen Karikaturisten, die Anschläge in London, Madrid, die Sarrazin-Debatte und irgendwie ging das immer so weiter, und ich hab irgendwann gemerkt, mit nur Zurückhaltung und dich verschließen kommst du nicht so weit. Du musst also offener werden."

Auch der Vorsitzende der Evangelischen Jugend Berlin-Brandenburg, Kevin Jessa, engagiert sich bei JUGA, um dem Klischee "Islam gleich Terrorismus" etwas entgegensetzen:

"Das war auch so meine Motivation, wo ich sage: Es wird jetzt wirklich langsam nötig, dass wir mal ein Zeichen setzen, vor allem nach zehn Jahren, es sind fast zehn Jahre her nach diesen Anschlägen, dass es immer noch so ist, ist eigentlich unglaublich."

Warum glaubst du denn, dass das so ist?

"Na ja, bei den ersten Nachrichten, dass in Norwegen was passiert ist, wurde als erstes Generalsverdachtsmäßig auf einen muslimischen Anschlag hingewiesen. Die Artikel sind ganz schnell kommentarlos verschwunden, aber das war wieder so der aktuellste Punkt für mich, wo ich sage: Da scheint wirklich noch so einiges im Argen zu liegen. Da ist wirklich nicht viel gereift in den letzten zehn Jahren."

"Sweet Coexistence" soll morgen, am 11. September, nicht nur bei der offiziellen Berliner Gedenkfeier im Roten Rathaus gespielt werden, sondern auch am Brandenburger Tor. Die Initiative "Religionen auf dem Weg des Friedens" will dort mit einer ganztägigen Veranstaltung an die Opfer der Terroranschläge und der nachfolgenden Kriege erinnern. Um 16 Uhr sollen Berliner und Touristen zusammen eine Friedenstaube bilden, um auf die Friedensbotschaft der Weltreligionen hinzuweisen.

Zu den Vertretern der Initiative gehört der stellvertretende Vorsitzende der Islamischen Föderation in Berlin, Burhan Kesici:

"Das war auch für uns sehr wichtig, dass man nicht als Einzelreligionsgemeinschaft dort vertreten ist, sondern dass man zeigt, Religionen sind gegen Gewalt, Religionen sind gegen Terror, und auf der anderen Seite: Religionen können sehr gut miteinander auskommen. Das sollte kurz die Message sein, die wir geben wollten. Leider kam es anders."

Aus dem zunächst auf institutioneller Ebene geplanten Projekt ist inzwischen eine Initiative von Privatpersonen geworden. Die großen Religionsgemeinschaften hatten Interesse signalisiert, die Präses der EKD-Synode, Katrin Göring-Eckardt, hatte sich als Schirmherrin zur Verfügung gestellt. Doch dann sprang die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg Schlesische Oberlausitz, in deren Händen die Organisation lag, ab. Der Grund: fehlende Kommunikation. Der damalige Berliner Generalsuperintendent Ralf Meister, der sich für das Projekt starkgemacht hatte, wurde im März Landesbischof in Hannover. Seine Berliner Stelle ist seitdem vakant. "Wir hatten nicht die Kapazitäten, seine Arbeit zu übernehmen", so die Pröpstin der Landeskirche, Friederike von Kirchbach:

"Wir sehen uns als Landeskirche tatsächlich außerstande, in ganz kurzer Zeit vor dem Brandenburger Tor für alle anderen etwas auf die Beine zu stellen. Wir sind aber sehr froh, dass es Menschen gibt, die sich dafür engagieren, dass dieser Tag seinen Ort und sein besonderes Bekennen hat. Ich allerdings persönlich meine, dass das nicht der Tag eines Volksfestes ist, auch nicht eines großen Friedensfestes der Religionen, sondern ein Tag der Nachdenklichkeit, des Trauerns, auch der Stille, auch des Gebetes, das sind die Formen, die mir angemessen scheinen."

Der Koordinatorin der Initiative, Pfarrerin Gerdi Nützel, die sich seit über einem Jahr für das Projekt engagiert, ist die Enttäuschung über ihre Landeskirche anzumerken:

"Also ehrlich gesagt, es war für mich dann schon auch schwierig erst mal zu akzeptieren und dann ja auch noch an andere weiterzugeben, warum das jetzt nicht funktionieren soll. Und die Begründungen, die sie uns gegeben haben, sei es finanzieller Art oder Sicherheitsaspekte, schienen eigentlich, wenn man mit anderen gesprochen hat, die auch für diese Fragen zuständig sind, durchaus gestaltbar."

Während sich die Religionen auf institutioneller Ebene mit dem gemeinsamen Gedenken schwer zu tun scheinen, ist dies für die JUGAs weniger problematisch. Zur gemeinsamen Aktion am Berliner Hauptbahnhof Ende August gehört auch das Gebet:

"Allahu akbar ... "

Zunächst beten die Muslime, dann Christen, Juden und Bahai, während die jeweils anderen um die Betenden einen Kreis bilden.

"Lass uns in unserer Verbundenheit und Verschiedenheit nicht vergessen, dass du, Gott ein und derselbe bist, möge unser Mut unseren Überzeugungen gleich kommen und möge unsere Aufrichtigkeit so groß sein wie unsere Hoffnung."

Vorbild der Aktion ist der Tahrir-Platz in Kairo, wo sich Muslime und koptische Christen so gegenseitig vor Übergriffen schützten. In Berlin hat dieser Schutz nur symbolische Bedeutung, doch die Erfahrung, den anderen im Gebet zu erleben, hinterlässt bei Yussef einen tiefen Eindruck:

"Letztlich geht es um dasselbe, nämlich um den Glauben an Gott und die Liebe zu ihm. Und diese Liebe, die ist in allen Religionen auch gleichermaßen vertreten und die Worte bewegen einen, und das ist deswegen so spannend gewesen, als jetzt das jüdische oder christliche Gebet war, hab ich die Augen mitschließen können und hab genau empfunden, was diese Worte bedeuten, und es war einfach herrlich."

Doch trotz der Gebete: Im Mittelpunkt des JUGA-Projektes stand nicht die Religion, sondern die gemeinsame Aktion, betont der stellvertretende Leiter des jüdischen Jugendzentrums Olam in Berlin, Mike Delberg:

"Es ging halt darum, sich gegenseitig kennen zu lernen und zu sehen, dass man, egal aus welcher Ecke der Welt man stammt, man auch gut zusammenarbeiten kann, und diese gute Zusammenarbeit zu einem höheren Zweck oder Ziel führen kann, was da wäre ein Aufschrei zu 9/11: Wir Jugendlichen engagieren uns und wir wollen zusammen etwas erreichen, ein Statement abgeben, und ich glaube, das ist uns sehr, sehr gut gelungen."

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