Julia Korbik: "Oh, Simone!"

Die vergessene Ausnahme-Frau

"Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten" von Julia Korbik
"Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten" von Julia Korbik © Rowohlt; picture alliance / dpa / Foto: UPI
Von Anne Kohlick · 05.01.2018
Flott geschrieben und über weite Strecken ein gelungener Einstieg ins Werk der Philosophin Simone de Beauvoir: Das Sachbuch "Oh, Simone!" von Julia Korbik entstand aus Blogeinträgen und will die Philosophin der jungen Generation nahebringen. Das gelingt, mit Abstrichen.
Zum 18. Geburtstag bekommt Julia Korbik den Roman "Die Mandarins von Paris" von Simone de Beauvoir geschenkt – und es ist um die frankophile angehende Journalistin geschehen: Die Philosophin und Schriftstellerin erobert mit ihrem Werk Korbiks Herz - und die widmet ihr seit zwei Jahren den Blog "Oh, Simone!" mit der kuriosen URL eaudebeauvoir.de
Ihre Blogeinträge hat die 1988 geborene Autorin zu einem Sachbuch mit dem gleichen Titel erweitert. Korbiks Ziel ist es, Simone de Beauvoir für junge Leser und vor allem Leserinnen spannend aufzubereiten, denn sie findet: "Diese Frau hat das Potenzial, einen mit der Wucht ihrer Gedanken umzuhauen." Zu Unrecht kenne man Beauvoir oft nur als Sartres Partnerin. Also hat sich Korbik ihrer Wiederentdeckung verschrieben. Aber ist die überhaupt nötig?
2008 zu Beauvoirs 100. Geburtstag erschienen zwei neue Biografien, 2013 folgte eine weitere, reich bebilderte. Beauvoirs berühmtestes Zitat "Man wird nicht als Frau geboren, man wird es" aus "Das andere Geschlecht" von 1949 kommt in jedem Einführungsseminar der Gender Studies vor. Doch Julia Korbik, die 2014 das Buch "Stand up! Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene" schrieb, hat den Eindruck, dass kaum eine junge Feministin heute noch Beauvoirs Schriften liest.
Warum sich das ändern sollte, will "Oh, Simone!" erklären. Doch dem Buch fehlt ein packender Einstieg, der konkret Beauvoirs Relevanz für die Gegenwart darlegt. Stattdessen geht es nach einer kurzen Liebeserklärung von Korbik an Simone - die sie stets nur beim Vornamen nennt, Sartre aber beim Nachnamen - hinein in die Biografie dieser Ausnahme-Frau. Ohne, dass man zu diesem Zeitpunkt verstanden hätte, warum es lohnt, sich mit Beauvoir zu beschäftigen.

Die gleiche Idee wie heute beim Hashtag #MeToo

Die Antworten liefert das Buch durchaus - aber der Leser muss sie sich selbst in den unterschiedlichen Kapiteln zu Beauvoirs Leben, Lieben und Schreiben zusammensuchen. So erfährt man zum Beispiel kurz vor Schluss, dass Beauvoir 1973 in der Zeitschrift "Les Temps Modernes" eine Rubrik mit dem Titel "Le sexisme ordinaire" ins Leben rief. Leserinnen forderte sie auf, ihre Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus aufzuschreiben und ihr zuzusenden - die gleiche Grundidee wie heute beim Hashtag #MeToo hatte Beauvoir, mehr als 30 Jahre bevor es Twitter gab.
Um Beauvoir der jungen Zielgruppe nahezubringen, wählt Korbik betont lässige Formulierungen: Simone trägt "Klamotten so lange, bis sie auseinanderfallen" und ist an der Uni "eine richtige kleine Streberin". Das macht den Text lebendig. Manchmal sind Korbiks Vergleiche aber schief und wirken, als wolle sie Beauvoir auf Biegen und Brechen ins 21. Jahrhundert holen: Als die Philosophin nach der Veröffentlichung von "Das andere Geschlecht" auf offener Straße beschimpft wird, erklärt Korbik das als "40er-Jahre-Pendant zum Shitstorm". Das ist mehr als überflüssig.
Trotz dieser Schwächen ist Korbiks umfassende Kenntnis von Beauvoirs Leben und Werk unbestreitbar. Sie erklärt auch Kompliziertes wie die Moralphilosophie, die Simone aus Sartres Existenzialismus ableitet, schlüssig und verständlich. Wer Beauvoir kennenlernen will, für den oder die ist "Oh, Simone!" ein guter Einstieg. Um aber junge Leserinnen, die sich weder für Feminismus noch für Existenzialismus interessieren, für die Philosophin zu begeistern, müsste das Buch nicht nur sprachlich versuchen, Beauvoir upzudaten – sondern die Aktualität ihrer Thesen auch inhaltlich beweisen.

Julia Korbik: "Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten"
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 320 Seiten, 12,99 Euro

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