Juli Zeh: "Leere Herzen"

Über die Monstren einer seelenlosen Rationalität

Buchcover Juli Zeh: "Leere Herzen"
Juli Zeh verkörpert das moralische Gewissen der Literatur. © Luchterhand / imago/STAR-MEDIA
Von Ursula März · 29.12.2017
Juli Zeh meldet sich verlässlich zu Wort, um auf Schwachstellen im demokratischen System aufmerksam zu machen. So ist ihre Hauptfigur in "Leere Herzen" eine selbstsüchtige Geschäftsfrau, die Menschen mit Suizidwunsch an Attentäter vermittelt.
Wenn in der Bundesrepublik von engagierten Schriftstellern gesprochen wird, ist der Name Juli Zeh nicht weit: Die 1974 in Bonn geborene Erfolgsautorin, die nicht nur das Leipziger Literaturinstitut, sondern daneben ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert hat, meldet sich so verlässlich wie regelmäßig zu Wort, um auf Schwachstellen im demokratischen System und auf Irrwege öffentlicher Debatten aufmerksam zu machen.
Wie keine andere zeitgenössische Schriftstellerin verkörpert die bekennende Sozialdemokratin das moralische Gewissen der Literatur. Im Januar 2008 reichte sie beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen den biometrischen Reisepass ein, im Juli 2013 wandte sie sich in einem offenen Brief an Angela Merkel und forderte sie auf, die deutsche Bevölkerung über Spähangriffe im Zusammenhang mit der NSA-Affäre aufzuklären. Die Reihe ihrer engagierten Interventionen ist so lang wie die ihrer Auftritte in politischen Talk-Shows. Man darf Juli Zeh getrost als die rechtmäßige Erbin von Günther Grass oder Heinrich Böll bezeichnen. Oder, wie sie der Literaturchef des SPIEGEL Volker Weidermann einmal nannte, als "ihre eigene Gruppe 47".

Zeit- und Gesellschaftspolitik in Zehs Romanen

Zeit- und Gesellschaftspolitik sind zugleich ein wichtiger Faktor in Zehs umfangreichem Romanwerk. Ihr Debütroman "Adler und Engel" aus dem Jahr 2003 spielt im internationalen Juristenmilieu, ihr ein Jahr darauf erschienener Roman "Spieltrieb" erörtert am Beispiel eines Gymnasiums rechtsphilosophische Fragen, in "Corpus Delicti" von 2009 kritisiert Zeh das deutsche Gesundheitswesen, in "Unterleuten" entwirft sie das Netz wirtschaftlicher Interessen und Intrigen einer brandenburgischen Dorfgesellschaft.
Eine zeitdiagnostische Fallstudie stellt auch ihr neuer Roman "Leere Herzen" dar. Er spielt in der unmittelbaren Zukunft und prognostiziert die vollständige Entpolitisierung der Gesellschaft. Im Zentrum der Handlung steht Britta, eine Figur, die sämtliche Wertvorstellungen in sich versammelt, gegen die Juli Zeh Sturm rennt. Britta ist eigensüchtig bis zur moralischen Verkommenheit, erfolgsfixiert bis zur Brutalität, ein Monstrum seelenloser Rationalität. Mit einem Freund betreibt sie eine therapeutische Praxis, die sich auf Menschen mit Suizidwünschen spezialisiert hat. Diese vermittelt sie als Selbstmordattentäter an radikale Umweltorganisationen oder islamistische Terrorgruppen, selbstredend mit Geschäftsgewinn. "Leere Herzen" zählt zum literarischen Genre der Dystopie, ein Roman, in dem sich eine makabre Handlung mit moralischem Impetus mischt.

Grund für ihre Beliebtheit

Wie fast alle Bücher von Juli Zeh landete es unmittelbar nach seiner Veröffentlichung auf einem Spitzenplatz der Bestsellerliste. Denn diese auch international renommierte und in zahlreiche Sprachen übersetzte Schriftstellerin versteht es, politische Eindringlichkeit mit klassischem Storytelling zu verknüpfen. Genau dies dürfte der Grund für ihre enorme Beliebtheit beim Lesepublikum sein. Eine gewisse Tendenz zur sprachlichen Schlichtheit und zur Mechanik politischer Anschauungen lässt sich in Zehs neuestem Roman allerdings noch weniger als in vorangegangenen Büchern übersehen.

Juli Zeh: "Leere Herzen"
Luchterhand Verlag, München 2017
352 Seiten, 20,00 Euro

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