Jukeboxen in Berliner Kneipen

"Schön ist so ein Kasten, der Musike macht"

Interpreten- und Titelanzeige einer historischen Musikbox im Geschäft "Jukeland" in Berlin.
Eine historische Musikbox im Geschäft "Jukeland" in Berlin © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Christoph Möller · 08.11.2017
Lange war die Jukebox aus Kneipen nicht wegzudenken - in Zeiten von Streamingdiensten und Playlists ist sie ein Auslaufmodell. Doch einige Berliner Kneipen hegen und pflegen ihre alten Maschinen nach wie vor. Ein Streifzug durchs Liebhaber-Milieu.
Ankerklause, eine Kneipe in Berlin-"Kreuzkölln". Szene-Viertel. Cafés, vegane Burger, Menschen starren auf Smartphones. Draußen Wochenmarkt, drinnen Ludger Schallenberg vor einer Jukebox des deutschen Herstellers NSM. Modell: "The Performer". Groß wie ein Bankautomat.
"Das ist mit CD, nicht mit Schallplatte. Die kannst du halt hier so blättern, dann hast du oben immer die Nummer der CD, da drunter die einzelnen Titel mit einer Unternummer, und die kannst du dann hier anwählen über ein Tastenfeld. Und kannst auch eine ganze CD zum Beispiel drücken, das ist auch möglich."
Zwei Euro zahlt man für ein ganzes Album.

100 Alben für die eigene Party

100 Alben sind drin. Schallenberg, von allen nur Schalli genannt, bestückt die Jukebox selbst. Mit aktuellen Titeln von Sleaford Mods oder Gorillaz. Und Klassikern. Bowie, Beatles, Clash. Kleingeld rein, los geht’s.
"So, der Vorgang beginnt bei der Geldbörse. Ein Euro habe ich sogar gefunden. Klick, da hat es geklackt, das heißt, es ist drin, jetzt zeigt er mir an: ich habe fünf Credits frei. Da wollen wir doch mal gucken, The Avalanches, machen wir mal ‚Parc Music’."
Detailaufnahme einer alten Jukebox
Detailaufnahme einer alten Jukebox© Patrick Fore / Unsplash.com
Das Lied spielt an. "Ich kann hier im Prinzip so ein bisschen den DJ geben. Und das passiert abends auch. Nachts machen das viele Gäste, so hier ihre eigene Party mehr oder weniger. Wir machen das manchmal am Wochenende auch, dass wir in dem so genannten Salon hier bei uns die Tische rausräumen, und dann wird getanzt."

Besuch beim Jukebox-Doktor

Seit 1995 steht die Jukebox in der Ankerklause. Mitten im Raum. Ein Musikautomat, der viel Pflege braucht. Ist eine Box mal kaputt, landet sie häufig bei Jukeland in Berlin-Schöneberg. Der Laden: voll mit Jukeboxes im typischen Design. Unten der Lautsprecher. Drumherum Geschwungene, bunt beleuchtete Säulen. Innen blubbern Wasserbläschen.
Als ich ankomme, wuchtet Gerhard Mizera gerade eine fast 200 Kilo schwere "Rock-Ola"-Maschine durch die enge Tür. In ein paar Tagen wird sie in einer Fernsehshow stehen. Als Deko.
"Das ist eine Rock-Ola ‚Bubbler’", erfahren wir. "Das Vorbild war ein Wurlitzer-Modell, Modell 1015, das ist die klassische Jukebox schlechthin."

"Ein Stück Nostalgie mit Gebrauchswert"

Die wird aber nicht mehr produziert. Der deutsche Wurlitzer-Ableger musste letztes Jahr schließen. Der Restbestand ging an Mizera. Ein echter Jukebox-Nerd. 7500 Euro kostet sein teuerstes Gerät.
"Für manche ist das eine schöne Lampe, weil beleuchtet sehen sie alle toll aus, und für andere Leute ist das ein Stück Kulturgut, und zwar ein ganz besonderes Stück Kulturgut. Ein Stück Nostalgie mit einem Gebrauchswert, sage ich immer."
Und auch: ein Erinnerungs-Automat. Auf einer alten Seeburg-Jukebox – sehr gute Qualität, sagt Mizera – stehen Genres, die zur Zeit der Produktion gerade aktuell waren:
"Jazzmusik, neueste Schlager, Marschmusik war so eine typisch deutsche Angelegenheit, ja, ganz komisch. Und wie man sieht, der Kunde hat sowas auch drin gelassen."
Das Kölner Bläsercorps zum Beispiel. Den Fliegermarsch. Und auch den Badenweiler-Marsch. "Das ist so ein typischer Musikboxen-Song", sagt Mizera. Dann doch lieber diesen Song hier:

Die 24-Stunden-Kneipe als natürliches Jukebox-Habitat

Jukeboxes sind selten. Doch an einem Ort findet man sie noch häufig: 24-Stunden-Kneipen. Das eher ältere Publikum scheint Vinyl und CD noch zu schätzen, es gibt genug Zeit, den Inhalt der Jukebox zu studieren. Etwa im Bierbaum 2 in Neukölln.
Die Jukebox hier allerdings: digital. In Form eines Cellos. Mit Touch-Screen. 37.000 Songs. Liebevoll ausgewählt von Uschi Pilz. Sechs Wochen habe sie am Computer gesessen und die reingespielt, sagt sie. Auch für Nachschub sorgt sie:
"Immer wenn jetzt neue CDs kommen, die ziehe ich auf einen Stick und mit dem Stick gehe ich in die Musikbox rein und ziehe sie auf die Festplatte."

Besondere Qualitäten eines Auslaufmodells

Eine Jukebox ist doch viel besser als eine feste Playlist, meint Pilz.
"Jeder kann das hören, was er möchte. Ich bin also nicht gezwungen, hinter dem Tresen Musik zu machen, ah, der Gast hört das, der Gast hört das. Nee, hier drücken sie die Musik, die sie gerne hören, und es gibt nie Stress."
Wer ein paar Cent in die Jukebox einwirft, entscheidet über die Musik in der ganzen Kneipe, teilt sich mit, und kommt darüber vielleicht mit anderen ins Gespräch. In Bars ohne Jukebox geht das nicht. Im Privaten, bei digitalen Playlists, die man schnell wegklickt, schon gar nicht.
Die Jukebox ist ein Auslaufmodell. Aber eines mit besonderen Qualitäten, an die nachfolgende Medien bisher nicht mehr herangekommen sind.

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